Bischof Heße zum Anliegen des Katholischen Flüchtlingsgipfels

"Beim Familiennachzug fehlt der politische Wille"

Beim katholischen Flüchtlingsgipfel stehen Flüchtlingsfamilien im Fokus und das Thema Familienzusammenführung. Die findet im Moment in Deutschland kaum statt. Woran es hakt und was die Kirche tut, um das zu ändern, erklärt Erzbischof Stefan Heße.

Erzbischof Stefan Heße mit Flüchtlingen (Archiv) (KNA)
Erzbischof Stefan Heße mit Flüchtlingen (Archiv) / ( KNA )

DOMRADIO.DE: Die Familie funktioniert für viele Flüchtlinge als Integrationsfaktor. Warum ist das so?

Erzbischof Stefan Heße (Erzbischof von Hamburg und Sonderbeauftragter der Deutschen Bischofskonferenz für Flüchtlingsfragen): Die für mich tiefste Antwort besteht einfach darin, dass der Mensch auf Gemeinschaft ausgerichtet ist. Jeder Mensch sehnt sich nach Beziehung, nach Gemeinschaft, nach einem Miteinander. Für uns Christen ist die Familie sozusagen die grundlegendste Form der Gemeinschaft, die dem Staat und allen anderen sozialen Zusammenschlüssen noch voraus geht.

Deswegen besteht für die katholische Kirche schon immer der Gedanke, sich für die Personen als einzelne aber auch gleichzeitig für die Familie als Ganze einzusetzen. Das eine kann man nicht vom anderen abgrenzen.

DOMRADIO.DE: Was bedeutet das für die katholische Flüchtlingsarbeit, wenn sie bei den Familien ansetzt...

Heße: Unser Ziel ist, einen Beitrag zur gelingenden Integration zu leisten. Stellen Sie sich vor, Sie müssen permanent um einen oder mehrere Familienangehörige bangen und sich Sorgen machen. Dann ist das wahrscheinlich sehr schlecht für alles andere in Ihrem Leben.

Ganz zu Beginn des so genannten Flüchtlingssommers 2015 hatte ich in einer Flüchtlingsunterkunft hier in Hamburg ein sehr bewegendes Erlebnis: Ich durfte den Moment miterleben, in dem ein Vater nach Monaten zum ersten Mal wieder seinen minderjährigen Sohn in die Arme schließen konnte. Es war ein gigantisches Erlebnis zu sehen, wie die beiden sich wiedergefunden haben, wie glücklich sie waren.

Ich glaube, so geht es jedem Menschen, der seine Familienangehörigen wiederfindet. Und das ist noch einmal potenziert bei Menschen, die aufgrund von Krieg oder Flucht ihr normales Umfeld haben verlassen müssen.

DOMRADIO.DE: Sie sprechen damit die Familienzusammenführung an. Da kommt die katholische Kirche immer wieder mit dem Staat in Konflikt…

Heße: Das Problem ist klar erkannt: Die Familienzusammenführung ist im Moment quasi außer Kraft gesetzt. Deswegen bin ich der Meinung, dass es da eine rasche Änderung braucht und dass dies auch so unbürokratisch wie möglich gemacht wird und eben nicht durch weitere Hürden verkompliziert oder in die Länge gezogen wird.

Im Moment ist es so, dass nicht einmal 1.000 Personen pro Monat zusammengeführt werden. Das ist ein Hohn!

DOMRADIO.DE: Auch auf den griechischen Inseln hängen viele Menschen fest, deren Familien auseinandergerissen wurden. Nur einige wenige unbegleitete Kinder aufzunehmen, wie Deutschland das bisher getan hat, ist ein bisschen wenig, oder? 

Heße: Das ist peinlich, das habe ich immer wieder gesagt. Die genaue Zahl der Kinder in Deutschland war 47; Luxemburg hat 12 aufgenommen. Angesichts der Zahlen all derer, die auf den Inseln festsitzen, und angesichts der gefahrvollen Situation gerade jetzt zu Corona-Zeiten, ist das einfach peinlich. Da gilt es, einzuschreiten und zu helfen.

Deswegen habe ich auf diese beschämende Situation immer wieder hingewiesen. Ich hoffe, dass wir weitere Wege finden, wie Menschen auf einem sicheren und gesteuerten Weg unter anderem auch nach Deutschland kommen können. Aber letztlich ist nicht nur Deutschland gefragt, sondern alle EU-Staaten.

DOMRADIO.DE: Katholische Flüchtlingshelfer an der Basis sagen, dass sie sich beim Familiennachzug noch größere Entschiedenheit von ihren Bischöfen wünschen…

Heße: Die Kirchenoberen sind schon entschieden. Sie wissen, was sie wollen und die machen das auch deutlich. Ich als Flüchtlingsbischof, die Migrationskommission, das Katholische Büro, die Deutsche Bischofskonferenz und andere mehr, wir alle sind zum Beispiel mit dem Bundesinnenministerium und dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) im Gespräch. Das können Sie uns schon glauben, dass das Thema Familienzusammenführung für uns ganz oben aufliegt, weil es einen Schlüssel für die Integration der Menschen darstellt.

Daneben setzen wir uns natürlich auch dafür ein, dass die Menschen, die zu uns kommen, zum Beispiel Zugang zu Bildungsangeboten bekommen, dass die Frauen gefördert werden, die ja oft in Sachen Sprachförderung vernachlässigt werden.

Wir setzen wir uns für die Rechte der Frauen ein, aber auch gerade für die der Kinder. Wir versuchen an mehreren Ecken anzupacken und Beiträge zu leisten für diese Menschen, die in wirklich ganz prekären Verhältnissen leben.

DOMRADIO.DE: Sie sagen, der Familiennachzug steht ganz oben auf Ihrer Agenda. Aber welche Einflussmöglichkeiten hat die Kirche überhaupt?

Heße: Man darf das Wort der Kirchen nicht unterschätzen. Und man muss klar sagen, dass wir ja hier auch ökumenisch gemeinsam unsere Überzeugungen vertreten. Auf katholischer Seite arbeiten wir zum Beispiel im Verbund mit der Caritas. Es sind also verschiedene Player am Werk, und wir unterstützen sie. Jeder Diözesan-Bischof wird es auf seine Weise in seiner Diözese tun, um sich für die Flüchtlinge einzusetzen.

Es sind manchmal sehr konkrete Hilfestellungen, die wir da leisten. Das gelingt im Einzelfall. Aber im Moment ist es so, dass Corona den politischen Willen, viel mehr Flüchtlinge aufzunehmen und ihnen eine Sicherheit zu geben, unterbunden hat. Das ist im Moment unser Problem. Unser Problem ist ja nicht, dass wir keine Flugzeuge, Schiffe oder Flugzeuge oder logistische Faktoren hätten. Sondern der politische Wille, Menschen nach Deutschland zu lassen, um dann ein faires Verfahren durchzuführen, der fehlt im Moment.

Das Interview führte Hilde Regeniter.


Debatte um Familiennachzug / © Swen Pförtner (dpa)
Debatte um Familiennachzug / © Swen Pförtner ( dpa )
Quelle:
DR