Historiker: Langlebigkeit ist Erwartungshaltung geworden

Pandemien kommen und gehen

Ein langes Leben und ein umfassender Gesundheitsschutz sind laut des Sozialhistorikers Hartmut Berghoff zu einer Erwartungshaltung der heutigen Gesellschaft geworden. "Wohlstandsbedingt" habe sich die Einstellung zu Krankheit und Tod verändert.

Symbol der Gelassenheit  (shutterstock)

Viele tödliche Infektionskrankheiten von einst hätten durch Impfungen ihren Schrecken verloren, sagte Hartmut Berghoff, der Direktor des Göttinger Instituts für Wirtschafts- und Sozialgeschichte im Interview der "Welt" (Samstag). "Umso größer ist der Schock, wenn plötzlich eine neuartige Bedrohung auftaucht und man sich wehrlos fühlt", so Berghoff mit Blick auf die Corona-Krise.

Tod war früher "viel präsenter"

Der Historiker verwies auf die Asiatische Grippe in den 1950er Jahren. Damals habe es zwei bis vier Millionen Todesopfer weltweit und 30.000 bis 50.000 in der Bundesrepublik gegeben. Die Behörden hätten die Gefahren unterschätzt, die Medien wenig und zumeist Falsches oder Abstruses berichtet. Insgesamt sei die Pandemie ruhig hingenommen worden.

Zur Begründung sagte Berghoff, der Tod sei damals allgemein "viel präsenter als heute" gewesen und als "unvermeidbar akzeptiert" worden. Die Erwartung der Beherrschbarkeit tödlicher Krankheiten wie Tuberkulose oder Masern "hatte sich noch nicht durchgesetzt". Auch habe "das millionenfache Sterben im Zweiten Weltkrieg noch keine Generation zurückgelegen", so der Historiker.

Zur Rolle der Medien sagte er, diese hätten in den 50er Jahren noch zu beruhigen versucht. "Die Medienlandschaft war noch nicht so sehr vom Wettbewerb und dem Kampf um Aufmerksamkeit geprägt." Heute verstärkten die Medien mit unablässiger und oft sensationslüsterner Berichterstattung die Ängste der Menschen.

"Pandemien gehen auch vorüber" 

Für den Umgang mit zukünftigen Pandemien rät der Historiker trotz der gestiegenen Kenntnisse um Gefahren und Risiken auch zu mehr Gelassenheit. "Pandemien treten historisch gesehen immer wieder auf, aber sie gehen auch vorüber, selbst ohne oder nur bei geringer Intervention", so Berghoff.

Das bedeute keineswegs, dass Interventionen überflüssig seien, denn sie retteten viele Leben, und: "Dass wir diese Leben wertschätzen und des Leiden nicht mehr teilnahmslos hinnehmen, ist ein echter humanitärer Fortschritt."


Quelle:
KNA
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