DOMRADIO.DE: Wirklich ungewöhnlich ist es ja nicht, wenn ein 96 Jahre alter Mann stirbt. Vor seinem Tod hatte Georg Ratzinger noch einmal Besuch von seinem Bruder, dem emeritierten Papst Benedikt XVI., bekommen. War das abzusehen?
Tanja Bergold (Leiterin Programmentwicklung des Münchner Kirchenradios): Nachdem Benedikt XVI. vor gut zwei Wochen wirklich Knall auf Fall nach Regensburg gereist ist, um seinen, wie es hieß, schwerkranken Bruder zu treffen, war uns das klar. Dazu muss man ja auch wissen: Ein Papst, egal ob emeritiert oder nicht, der kann nicht einfach so verreisen – vor allem nicht privat. Also wussten wir: Es ist ernst. Georg Ratzinger liegt wohl im Sterben. Daher kam die Nachricht heute für uns nicht wirklich überraschend.
DOMRADIO.DE: Georg Ratzinger hat ja hauptsächlich im Bistum Regensburg gewirkt. Welche Bedeutung hatte er denn für das Erzbistum München und Freising, in dem Sie arbeiten?
Bergold: Als junger Student hatte er in Traunstein – das liegt im Erzbistum – das Priesterseminar besucht. Dort wurde er übrigens unter dem Spitznamen "Orgel-Ratz" bekannt, weil es die Musik ihm damals schon angetan hatte. Und er wurde 1951 zusammen mit seinem Bruder Josef in Freising zum Priester geweiht.
Der Mittelpunkt seines zumindest beruflichen Lebens war dann aber Regensburg: 30 Jahre lang war er dort Domkapellmeister, später auch Leiter der Regensburger Domspatzen. Über 1.000 Konzerte hat er mit diesem weltberühmten Chor im In- und Ausland gegeben.
In unserem Erzbistum München und Freising ist er wieder etwas mehr in den Mittelpunkt gerückt, als sein Bruder zum Papst gewählt worden ist. Die beiden hatten ja wirklich ein enges Verhältnis. Durch den – ich sage mal – Hype um Benedikt XVI. hier bei uns ist natürlich auch Georg Ratzinger wieder interessant geworden.
DOMRADIO.DE: Welche Beziehung hatten denn die beiden Brüder?
Bergold: Eine enge. Die Wahl seines Bruders 2005 zum Papst hat Georg Ratzinger mit mindestens einem weinenden Auge gesehen. Die beiden wollten ihren Lebensabend gemeinsam in einem Haus in Pentling verbringen – das ist ein Ort bei Regensburg. Daran sieht man: Die beiden hatten wirklich ein inniges Verhältnis.
Zweimal im Jahr ist Georg Ratzinger nach Rom geflogen, immer Weihnachten und im Sommer. Die beiden haben regelmäßig telefoniert und sich ausgetauscht. Dass Benedikt XVI. vor kurzem diese ja auch für ihn selbst wirklich anstrengende Reise auf sich genommen hat, um seinen Bruder noch einmal in diesem Leben zu sehen, zeigt: Sie standen sich wirklich äußerst nahe.
DOMRADIO.DE: Kapellmeister war Georg Ratzinger und Komponist. Bei den Domspatzen gab es aber nicht immer nur Sonnenschein...
Bergold: Nein, auch die Domspatzen, muss man leider sagen, hatten ihren Missbrauchsskandal. Georg Ratzinger selbst hat auch zugegeben, bei Chorproben bis Ende der 70er Jahre wiederholt Ohrfeigen verteilt zu haben. Vor drei Jahren gab es bei den Domspatzen auch einen offiziellen Abschlussbericht über Missbrauch und Gewalt. Darin hieß es, er müsse sich unter anderem vorwerfen lassen, dass er zu oft weggeschaut hat.
DOMRADIO.DE: Welche Möglichkeiten gibt es denn jetzt für den emeritierten Papst Benedikt XVI., also für den Bruder von Georg, zur Beerdigung zu kommen?
Bergold: Ich persönlich meine: Wenn es seinen Wunsch und Wille wäre, würde man es möglich machen. Ich persönlich glaube es nicht. Wie ich schon gesagt habe: Ein emeritierter Papst kann nicht so einfach reisen. Man muss auch bedenken: Er ist ja wirklich gesundheitlich angeschlagen. Er ist auch ein alter Mann. Corona tut sein übriges.
Wenn er kommen würde, wäre es auch wieder ein wahnsinniger Medienrummel. Ich denke, die zwei Brüder haben persönlich Abschied genommen – und er wird bestimmt im Gebet mit dabei sein.
Das Interview führte Dagmar Peters.