Stadionpfarrer über fehlenden Fangesang in Fußballstadien

"Gesänge gehören zur Liturgie des Spiels"

Wie in der Kirche ist auch im Fußballstadion der Gesang ein wesentliches Element. Geisterspiele ohne Zuschauer wirken daher blutleer, es kommt keine Stimmung auf. Das setzt dem Fußball zu. Die Liturgie des Spiels fehlt, so Stadionpfarrer Eckert.

Fans jubeln im Fußballstadion / © Vasyl Shulga (shutterstock)
Fans jubeln im Fußballstadion / © Vasyl Shulga ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Es sieht so aus, als ob es nach der Sommerpause immer noch Geisterspiele geben wird. Vielleicht gibt es eine Lösung, aber dann ohne laute Fangesänge und Emotionen. Sie sind evangelischer Stadionpfarrer der Commerzbank-Arena in Frankfurt, zurzeit aber Pfarrer einer Gemeinde auf der ostfriesischen Insel Spiekeroog. Wie kommen Sie zurecht auf der Insel Spiekeroog?

Eugen Eckert (evangelischer Stadionpfarrer der Commerzbank-Arena Frankfurt): Es ist alles eigenartig. Gottesdienste sind so, dass die Zahl der Teilnehmenden begrenzt ist. In eine Kirche, die 500 Plätze hat, dürfen im Augenblick 50 Menschen mit Abstandsregelung, jede zweite Bank muss freigehalten werden. Die Gemeinde muss, wenn sie einen Choral mitsummen will, sich eine Maske um Mund und Nase binden. Auch zum Glaubensbekenntnis ist diese Maske erforderlich. Es stehen Desinfektionsmittel in den Eingängen. Das ist eine gespenstische Atmosphäre. Das muss ich einfach so beschreiben.

DOMRADIO.DE: Wie gehen die Menschen denn damit um?

Eckert: Ich hatte gestern Abend einen Liederabend. Da kommen normalerweise 250, 300 Leute. Gestern durften wir maximal 80 aufnehmen. Normalerweise singe ich Lieder, die die Menschen übernehmen, die sie mitreißen und packen. Gestern Abend war ich der Einzige, der richtig lauthals gesungen hat und alle anderen saßen entweder schweigend da oder haben dann schon irgendwie vor sich hingesungen. Es ist einfach keine Atmosphäre, wie ich sie kenne. Es ist nicht diese Leidenschaft, Emotion, die mit dem Singen ja eigentlich verbunden ist.

DOMRADIO.DE: Dann geht es mal ab von der Insel Spiekeroog ins Fußballstadion. Sie sind ja Stadionpfarrer in der Commerzbank-Arena. Was sagen Sie denn zu den Plänen des Deutschen Fußballbundes, Fans wieder in die Stadien zu lassen, aber ohne Gesang und laute Rufe?

Eckert: Das ist vornehmlich die Deutsche Fußball-Liga, die die Bundesligaspiele organisiert. Ich glaube, dass der Druck einfach groß ist. Die Vereine merken, dass diese Geisterspiele komplett tote Hose sind. Man hört die Schreie der Spieler und der Trainer zum ersten Mal ganz konkret. Aber es kommt ja keine Stimmung auf.

Man merkt auch, dass die Fans sich vom Fußball abwenden. Es gibt eine große Faninitiative, die sagt: Das hat mit unserem Sport überhaupt nichts mehr zu tun. Die Spiele finden statt, weil Geld umgesetzt wird, weil die Fernsehanstalten dann bezahlen. Das hat mit uns, als dem zwölften Mann, wie sich Fans definieren, eigentlich nichts mehr zu tun.

DOMRADIO.DE: Woher kommt dann diese Idee?

Eckert: Die Idee kommt daher, dass es in der deutschen Vereinslandschaft knistert und kriselt. Am stärksten sind die Ligen ab der dritten Liga betroffen, denen die Zuschauer komplett und damit die Einnahmen weggebrochen sind. Auf der Ebene Bundesliga versucht man den Geldumsatz noch zu erhalten, damit der Ligabetrieb überhaupt durchgeführt werden kann. Wir haben es ja bei Schalke 04 inzwischen mitbekommen, dass da eine ganz große Wirtschaftskrise ist.

Man versucht halt irgendwie, der Pandemie zum Trotz, den Spielbetrieb aufrecht zu erhalten. Leipzig hat ja inzwischen ein Konzept vorgelegt, das das Gesundheitsamt mitträgt: 20.000 Zuschauer sollen wieder kommen können. Wir halten aber die Luft an, ob das gut geht. Denn wir wissen, die Pandemie ist nicht beherrscht, sondern sie grassiert weltweit. So eine Lockerung kann auch sehr riskant und sehr gefährlich werden.

DOMRADIO.DE: Wie sehr brauchen Profi-Fußballer die Fangesänge und auch die emotionalen Reaktionen der Fans?

Eckert: Diejenigen, die sich dazu geäußert haben, die sagen, es fehlt ihnen komplett die Stimmung und die Atmosphäre. Ich bin ja Pfarrer einer Gemeinde, wenn die Gemeinde mitsingt, dann wird das eine dialogische Veranstaltung. Dann merkt man, es gibt Rufe und Antworten.

Im Fußball ist es ja nichts anderes. Es gibt die Liturgie des Fußballs, und dazu gehören natürlich die Gesänge vor dem Spiel, mit denen man die eigene Mannschaft begrüßt. Dazu gehört die Stimmung, mit der man die eigene Mannschaft vorantreibt und ihr den Rücken stärkt. Es gehören auch die Trotzgesänge dazu. Eigentlich lebt das ganze Stadion von der gelebten Liturgie. Wenn die nicht stattfindet, dann fehlt eine wichtige Komponente des Spiels.

DOMRADIO.DE: Abgesehen von den finanziellen Schwierigkiten, inwieweit belastet die Corona-Krise den deutschen Fußball?

Eckert: Es betrifft nicht nur den Fußball, sondern den gesamten Sport. Dadurch, dass ich für die evangelische Kirche als Referent für Kirche und Sport tätig bin, bekomme ich das auch bei anderen Sportarten mit. Es gibt breite Diskussionen darum, ob zum Beispiel das Internationale Deutsche Turnfest im kommenden Jahr, das zeitgleich mit dem ökumenischen Kirchentag stattfinden soll, überhaupt durchgeführt werden kann. Die Olympischen Spiele und die Fußball-Europameisterschaft sind verschoben worde. Es ist eine Belastung im gesamten Sport, die nicht anders ist als in der Wirtschaft. Wenn es nicht läuft, wenn es überall knirscht, dann sinkt die Stimmung und die Möglichkeiten, und dann wird es ganz problematisch.


Pfr. Eugen Eckert / © Friederike Schaab (privat)
Pfr. Eugen Eckert / © Friederike Schaab ( privat )
Quelle:
DR