DOMRADIO.DE: Welche Gedanken kommen Ihnen, wenn Sie von solcher Gewalt, die da von jungen Menschen ausgeht, hören oder sehen?
Sabine Christe-Philippi (Polizeiseelsorgerin in Hessen): Als Polizeiseelsorgerin betrachte ich das mit großer Sorge. Die Polizeibeamtinnen- und Beamten sind natürlich von ihrem Berufsbild her darauf eingestellt, auch in Auseinandersetzungen mit Menschen eintreten zu können. Das erlernen sie in ihrer Ausbildung. In Hessen ist das ein dreijähriges Studium, das sie absolvieren. Sie sind auch mental vorab darauf vorbereitet.
Aber das, was uns jetzt gerade wie am vergangenen Wochenende in Frankfurt da begegnet, ist neu. Es stellt sich schon seit längerer Zeit das besondere Phänomen dar, dass dort, wo so eine aufgeheizte Stimmung entsteht, auch eine Solidarisierung von Menschen stattfindet, die sich mit einem Mal, ohne dass es einen konkreten Anlass dafür gibt, gegen die Polizei richtet.
Wenn wir an den vergangenen Samstag denken, dann war die Situation ja so, dass Polizeibeamtinnen- und Beamte zur Unterstützung und zur Streitschlichtung auf die Menschen zugegangen waren, die sich dort gestritten und geschlagen haben. In dem Moment, in dem sie dann eingriffen, richtete sich die Aufmerksamkeit auf einmal auf die Polizeibeamtinnen- und Beamte. Es begann damit, dass dann Flaschen auf diese Menschen flogen.
DOMRADIO.DE: Sie sind neben dem polizeipsychologischen Dienst für die Beamtinnen und Beamten da, haben ein offenes Ohr. Mit welchen Sorgen und Nöten kommen die dann zu Ihnen?
Christe-Philippi: Es ist so, dass die Frauen und Männer in der Polizei einfach feststellen, dass es stellenweise schwierig wird, für alle Rechte, die wir in unserem demokratischen Staat haben, dort einzutreten.
Wenn Sie in dieser Art und Weise, wie es dort in Frankfurt geschehen ist, mit den flaschenwerfenden Menschen, die dann auch noch jedes Mal grölten und johlten, wenn entweder eine Person oder aber auch ein Fahrzeug der Polizei getroffen worden war, konfrontiert werden, dann ist es schwer, noch trennen zu können, dass es jetzt nicht gegen mich als konkrete Person gerichtet ist, sondern gegen die Polizei als Organisation unseres demokratischen Staates.
DOMRADIO.DE: Ist das auch eine Stimmung, die sich innerhalb der Polizei jetzt verändert, oder kriegen die das ganz gut hin?
Christe-Philippi: Ich habe kürzlich einen Einsatz bei einer Demonstrationslage begleitet und sprach in diesem Zusammenhang mit vielen, vor allen Dingen auch jüngeren Menschen, die in der Bereitschaftspolizei tätig sind und speziell auf diese Einsatzlagen vorbereitet und gerüstet sind.
Es war wirklich für mich sehr beachtlich, zu hören, mit welcher Selbstverständlichkeit diese Frauen und Männer mit diesen Situationen umgehen. Also sie schaffen es, eine persönliche Distanzierung hinzukriegen und zu sagen: Wir stehen hier, weil wir für die Rechte unseres Landes eintreten, wie beispielweise dafür, dass bei einer Demonstrationslage die freie Meinungsäußerung möglich ist.
DOMRADIO.DE: Wie haben sich denn die Sorgen und Nöte, mit denen die Beamten zu ihnen kommen, über die Jahre verändert?
Christe-Philippi: Es verändert sich, denke ich, für die konkrete Person an der Stelle, wenn sie einfach eine belastende Erfahrung macht. Da hörten wir jetzt bei den Einsätzen am Wochenende davon, dass es Schürfwunden und Prellungen gab. Ich sag mal, wenn wir jetzt auf einer äußeren Ebene schauen, dann sind das Verletzungen, die sich sicherlich noch in einem Rahmen bewegen. Es gibt diese Verletzung am Leib.
Aber es gibt natürlich ja auch Verletzungen an Leib und Seele. Und das, was etwa so ein Angriff auf die Person, der Wurf einer Flasche, die Zerstörung eines Polizeiwagens, in dem man sitzt, nach sich zieht, das hat einfach auch nochmal Folgen für die konkrete Person. Nämlich, dass sie sich fragt: Kriege ich diese Bilder, die sich mir eingeprägt haben, auch wieder los?