Verband: Schlimme Zustände bei osteuropäischen Pflegekräften

Bedingungen wie in der Fleischindustrie?

Experten prangern die Arbeitsbedingungen osteuropäischer Pflegekräfte an: 24 Stunden Arbeit, sieben Tage die Woche, kein Urlaub, wenig Geld. Doch Pflegebedürftige und ihre Familien stehen oft mit dem Rücken zur Wand.

Die Hand einer Pflegerin liegt auf dem Handrücken eines Patienten auf der Intensivstation im Cura Krankenhaus Bad Honnef. / ©  Harald Oppitz (KNA)
Die Hand einer Pflegerin liegt auf dem Handrücken eines Patienten auf der Intensivstation im Cura Krankenhaus Bad Honnef. / © Harald Oppitz ( KNA )

Neu ist das nicht: Seit Jahren wissen Politik und Öffentlichkeit, dass die Pflege alter und hilfsbedürftiger Menschen in ihren eigenen vier Wänden häufig nur deshalb funktioniert, weil Zehntausende von Frauen aus Osteuropa aushelfen - unter oft fragwürdigen Bedingungen.

So richtig aufgefallen ist es wieder durch Corona - als sich die Grenzen nach Osten zwischenzeitlich schlossen und in immer mehr deutschen Familien der "Hausengel" aus Polen vermisst wurde. Am Freitag legte der Bundesverband der Betreuungsdienste (BBD) noch einmal den Finger in die Wunde und beklagte illegale Beschäftigung und schlechte Bezahlung.

300.000 Pflegekräfte

Bis zu 300.000 Osteuropäerinnen füllen derzeit nach Schätzungen von Experten in deutschen Haushalten Lücken bei der Versorgung alter und kranker Menschen. Sie organisieren den Alltag, sorgen für Freizeitgestaltung und übernehmen Pflegeaufgaben. Meist arbeiten sie zwei oder drei Monate am Stück; danach geht es zurück in die Heimat.

BBD-Geschäftsführer Thomas Eisenreich verglich die Situation sogar mit den Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie: Osteuropäische Pflegekräfte verdienten zwischen 1.500 und 1.700 Euro. Bei einer 24-Stunden-Betreuung entspreche das einem Stundenlohn von 2,08 Euro, sagte er der "Rheinischen Post". Oft gebe es keinen Arbeitsvertrag, keine Versicherungen und keinen Urlaub. Die Unterbringung sei teilweise skandalös, etwa wenn Betreuer im ehemaligen Ehebett neben der Pflegeperson schlafen müssten. "Wenn wir nationale Maßstäbe an eine 24-Stunden-Betreuung anlegen, sind das etwa 3,5 Stellen, damit Urlaub, freie Tage und Urlaubszeiten gewährt werden können. Das wären circa 9.100 Euro pro Monat." Das könne sich aber niemand leisten.

Millionen Pflegebedürftige - Tendenz steigend

Rund 3,5 Millionen Pflegebedürftige gibt es in Deutschland, Tendenz steigend. 2,6 Millionen werden zu Hause betreut. Nach Angaben der Verbraucherzentralen gibt es mehrere Modelle, ausländische Betreuungskräfte legal zu beschäftigen: Wer ausländische Helferinnen selbst beschäftigt, muss deutsches Arbeitsrecht beachten und den in Deutschland gültigen Mindestlohn bezahlen. Zusätzlich fallen die Arbeitgeberbeiträge zu den Sozialversicherungen an. Mit Kosten von 3.000 Euro pro Monat ist zu rechnen.

Wenn man stattdessen einen ausländischen Dienstleister beauftragt, entfallen für den Pflegebedürftigen die Arbeitgeberpflichten.
Allerdings gilt auch hier wenigstens der deutsche Mindestlohn. Zusätzlich muss das Unternehmen für seine Arbeitnehmer im Heimatland Beiträge und Abgaben zahlen. Auch so liegen die Kosten bei mindestens 2.000 Euro pro Monat. Hinzukommen die Gebühren der Vermittlungsagentur.

Auch rechtlich problematisch

Eine 24-Stunden-Betreuung durch eine einzige Person sei legal gar nicht möglich, so die Verbraucherzentralen. Die tägliche Arbeitszeit darf durchschnittlich nicht mehr als 8 Stunden betragen, die Wochenarbeitszeit darf 48 Stunden nicht überschreiten. Dazu kommen Urlaubsansprüche.

Vorgaben, die selten eingehalten werden. Entstanden ist eine riesige Grauzone. Immer wieder haben Juristen, Wissenschaftler und Pflegeexperten die Politik aufgefordert, klare rechtliche Bedingungen für diesen Bereich zu schaffen. Wissenschaftler der Universitäten Cottbus und Breslau (Wroclaw) etwa verwiesen 2018 auf das österreichische Vorbild. Dort werde die Pflege zum Beispiel auch aus Finanzmitteln eines Schwerbehindertenfonds bestritten. Zudem sollten die Leistungen der Pflegeversicherung erhöht und der Steuerfreibetrag für Pflegeleistungen erhöht werden, so der Cottbuser Rechtswissenschaftler Lothar Knopp.

Caritas bietet Alternative

Ein alternatives Konzept für eine legale Beschäftigung hat die Caritas im Erzbistum Paderborn seit 2010 entwickelt. In Zusammenarbeit mit der polnischen Caritas unterstützt das Projekt "CariFair" Pflegebedürftige und ausländische Arbeitskräfte gleichermaßen. Durch polnische Caritasverbände werden interessierte Arbeitskräfte in Polen geschult und auf Deutschland vorbereitet.

Die Betreuungskräfte würden nach Tarif bezahlt, hätten Urlaub und Freizeit und würden durch die jeweiligen Caritas-Sozialstationen begleitet, so das Konzept. Statt Rund-um-die-Uhr-Betreuung gibt es einen Mix aus häuslicher und ambulanter Pflege, Familien- und Nachbarschaftshilfe.

Christoph Arens


Quelle:
KNA