In Südafrika spitzt sich die Lage vor dem Gipfel der Corona-Pandemie weiter zu. Mit knapp 500.000 Corona-Fällen liegt der Schwellenstaat weltweit auf Platz fünf der am stärksten betroffenen Länder. Zu überlasteten Krankenhäusern kommt eine soziale und wirtschaftliche Krise.
Schon vor Ausbruch der Pandemie im März galt Südafrika als Land mit den größten Einkommensunterschieden; in kaum einem anderen Land prallen Reich und Arm so aufeinander wie am Kap. "Südafrika ist eine Warnung an den ganzen Kontinent, dass das Virus schwer zu kontrollieren wird und schnell um sich greift, sobald es unterprivilegierte Gegenden erreicht hat", warnte kürzlich der Direktor der kontinentalen Gesundheitsbehörde, John Nkengasong. "Pandemien machen sich Ungleichheiten zunutze und verstärken diese."
Soweto: Ein Corona-Hotspot
Soweto - der Flickenteppich aus Wellblech und Backstein - ist nicht nur das größte Township Südafrikas, sondern seit kurzem auch einer der Corona-Hotspots. "Überbevölkerung macht Abstandhalten schwierig, nicht überall gibt es Wasser zum Händewaschen und die Menschen sind auf überfüllte Minibus-Taxis angewiesen", sagt der Politologe Steven Friedman. Experten sind sich mittlerweile einig: Den Startvorteil, den Südafrika durch einen harten Lockdown und die wochenlange Ausgangssperre gewann, hat es mittlerweile verspielt. Täglich kamen in den vergangenen Tagen zwischen 9.000 und 13.000 Neuinfektionen hinzu. Ärzte berichten von Corona-Patienten, die trotz kritischen Zustands nach Hause geschickt wurden.
Öffentliche Krankenhäuser am Limit
Auch hier werden die sozialen Unterschiede deutlich: Während öffentliche Krankenhäuser an ihr Limit stoßen, holen Berichten zufolge immer mehr zahlungskräftige Südafrikaner dank privaten Anbietern die Klinik zu sich nach Hause - inklusive Sauerstoffgerät, mobilem Labor und Physiotherapie. Für einen Aufschrei sorgten außerdem zwei Minister, die sich nach einem positiven Coronatest in Privatkrankenhäusern behandeln ließen. "Es beweist, dass sie kein Vertrauen in das öffentliche Gesundheitssystem haben", kritisierte ein Aktivist.
Auch auf die Gesundheit von Nicht-Corona-Patienten schlägt sich die Pandemie nieder, weiß Sean Christie, Sprecher von Ärzte ohne Grenzen in Kapstadt. So habe jeder zehnte HIV-Patient aus Angst, sich mit dem Virus zu infizieren, seine Medizin nicht abgeholt; Tests für Tuberkulose seien um die Hälfte zurückgegangen. "Der Kollateralschaden von Covid-19 trifft die Armen unverhältnismäßig hart", so Christie.
Journalistin Wiener: Politiker hätten "spektakulär versagt"
Vergangene Woche verkündete Präsident Cyril Ramaphosa im Staatenfernsehen die erneute Schließung von Schulen. Die Einrichtungen galten in den Slums als der Ort, an dem Kinder die einzige warme Mahlzeit des Tages erhielten. Zeitungen berichteten, dass Eltern ihren Kindern in der Provinz Ostkap Wildpflanzen zu essen gaben. Eine Umfrage fand außerdem heraus, dass drei Millionen Südafrikaner seit dem Beginn der Corona-Krise ihre Arbeitsplätze verloren haben und knapp der Hälfte aller Haushalte das Geld fehlte, um Nahrung zu kaufen. Für die Journalistin Mandy Wiener steht fest: "Hungernde Kinder sollten das letzte Maß sein, mit dem wir unsere Regierung messen." Die Verantwortlichen in Pretoria hätten "spektakulär versagt".
Townshipbewohner ausgegrenzt
Politologe Friedman sieht ein weiteres Problem: Townshipbewohner würden im Kampf gegen Corona ausgegrenzt. "In den Augen von Südafrikas Elite, zu der die heutige Regierung gehört, fehlt es einkommensschwachen Bewohnern an Raffinesse und Reife. Man verwechselt Armut mit Unfähigkeit." Tatsächlich werden Präventionsmaßnahmen wie das Tragen von Masken in etlichen Townships ignoriert; prügelnde Polizisten und patrouillierende Soldaten während des Lockdown haben das Vertrauen zwischen Bürgern und Regierung erschüttert.
Nichtsdestotrotz, warnen Ökonomen, könne Südafrika weder den Kampf gegen Covid-19 noch gegen Massenarbeitslosigkeit ohne die Bevölkerungsmehrheit gewinnen. Wie es funktioniert, zeigt eine Gruppe Jugendlicher in Langa, dem ältesten Township Südafrikas. Als die Bevölkerung aufgerufen war, zu Hause zu bleiben, gründeten sie mit "Cloudy Deliveries" ihren eigenen Fahrrad-Lieferdienst: eine Brücke zwischen Tante-Emma-Laden und Kunden für 9 Rand (0,50 Euro).