Es ist in diesem Jahr patriotische Pflicht in Italien, im eigenen Land Urlaub zu machen - "dem schönsten Land der Welt", wie Werbespots, Kommentatoren und Politiker in Aufrufen betonen. Trotzdem bleibt die Tourismusbranche des "bel paese" auf ausländische Touristen angewiesen. Auch können 2020 nicht alle Italiener so urlauben, wie sie es gerne würden. Vielen fehlt schlicht das Geld.
Kultur- und Tourismusminister Dario Franceschini kündigte daher für die Fremdenverkehrssparte des Landes eine halbe Milliarde Euro Unterstützung an. Geld soll bekommen, wer im Juni Umsatzeinbußen von mindestens einem Drittel gegenüber dem Vorjahr erlitten hat. Die Halbjahreszahlen der Branche sind durchwachsen.
Zahlreiche kirchliche Pilgerhäuser schließen dauerhaft
Um 57,5 Prozent sank die Zahl italienischer Touristen, um gar 75 Prozent die ausländischer Reisender. An absoluten Zahlen nennt der Bund italienischer Hotel- und Tourismusverbände Federalberghi ein Minus von gut 159 Millionen Übernachtungen; bis Jahresende könnten weitere 116 Millionen ausfallen. Angestellte in Bars und Restaurants in Rom schätzen auf Nachfrage ihre aktuelle Gästezahl auf 5 bis 25 Prozent der sonst üblichen.
40 Prozent der kirchlichen Pilgerhäuser in der Ewigen Stadt würden auf Dauer geschlossen bleiben, berichtet Werner Demmel, Leiter des deutschsprachigen Pilgerbüros. Schuld ist aber nicht nur Corona. Für viele Häuser in Trägerschaft eines Ordens sind Pandemie und Lockdown Anlass für einen Schlussstrich - weil ihnen wegen Nachwuchsmangel Mitarbeiter fehlen und sie Angestellte höher bezahlen müssen. Zudem setzt ihnen die vor einigen Jahren eingeführte Grundsteuer zu; deren Berechnung zu korrigieren, fordern auch Tourismusverbände.
Insgesamt gibt es in Italien 3.500 kirchliche Herbergseinrichtungen. Bereits im Juni berichtete Fabio Rocchi, Vorsitzender der Vereinigung kirchlicher Gästehäuser in Italien, mindestens 100 solcher Häuser müssten endgültig schließen. Bei befürchteten Einnahmeeinbußen von 40 bis 90 Prozent könnten es noch deutlich mehr werden. So springt die Regierung in Rom nicht als einzige ein. Die Italienische Bischofskonferenz spendiert auf Antrag verarmten Einzelpersonen und Familien eine Woche Aufenthalt in einem kirchlichen Gästehaus.
Kaum einer wagt eine Prognose, wie viele Ausländer sich noch zu einem Urlaub zwischen Dolomiten und Sizilien entschließen. Kommen werden wohl Einzelreisende, Familien, kleine Gruppen. Großgruppen, deren Organisatoren langfristig planen, erwartet in diesem Jahr niemand mehr. Immerhin dürfen ab dieser Woche wieder Kreuzfahrtschiffe ab- und anlegen.
Außerdem: Gibt es eine zweite Infektionswelle? Falls ja, wie groß? Und wie umfangreich wird ein Lockdown? Zuletzt gab es mehrere Berichte über junge Menschen, die in Kroatien, Spanien oder auf Malta ihr Abitur feierten und mit dem Virus nach Italien zurückkehrten; einige von ihnen schwer erkrankt.
Sorglosigkeit an Stränden und in Clubs
Dabei verhalten sich die im Lockdown so disziplinierten Italiener mittlerweile unterschiedlich. Während vielerorts Mundschutz, Abstand, Desinfektionsgel und Thermometer wie selbstverständlich, wenn auch laxer als früher gehandhabt werden, geht es in Clubs und an Stränden vereinzelt zu, als hätte es Corona nie gegeben.
In Roms Touristenvierteln wie Trastevere oder der Altstadt rund um den Campo de' Fiori sind Restaurants recht gut gefüllt: sehr viele Italiener, außerdem Spanier, Deutsche, Franzosen, einige Osteuropäer, auch Briten. Die in den vergangenen Jahren recht zahlreichen Asiaten bleiben aus, ebenso US-Amerikaner.
Schlangen vor dem Petersdom
Vor dem Petersdom bilden sich seit August wieder Schlangen. Dass sie bis zu 100 Meter lang werden, liegt am Mindestabstand, den die Besucher einhalten sollen - und das meist auch tun. Zwar ist die Peterskirche nicht mehr leer wie im Juni, aber weit entfernt von den Touristenmassen, die sie sonst füllen. Vor dem Pantheon in der Innenstadt sind die Schlangen ebenso lang, aber etwas dichter gedrängt.
Drei Katakomben haben seit 22. Juni wieder geöffnet: Domitilla, San Callisto und Priscilla. Nachdem die Behörden das Belüftungskonzept der unterirdischen Anlagen genehmigten, können jetzt Gruppen von maximal zehn Personen durch die Grabkammern geführt werden. Aus den Priscilla-Katakomben ist zu hören: "Die Besucherzahlen, die heute während eines ganzen Tages kommen, hatten wir früher in einer Stunde."
In der Stadt bieten inzwischen einzelne Werber wieder ihre Info- und Führungsdienste an. Wenige Straßenverkäufer und mobile Souvenirstände versuchen, den Pandemie-Folgen zu trotzen. In seiner Heimat sei die Lage noch schlechter, sagt ein junger Portugiese. Hier in Rom habe er wenigstens einen Job als Handzettelverteiler für Restaurants.