"Mit Erschütterung habe ich die ausufernden Proteste in Berlin am vergangenen Wochenende wahrgenommen," erklärte Bischof Bätzing in einer Pressemitteilung der Deutschen Bischofskonferenz.
"Die Grundrechte auf freie Meinungsäußerung und auf Versammlungsfreiheit stehen außer Frage. Aber die Szenen vor dem Deutschen Bundestag sind inakzeptabel. Wir sollen uns als Bürgerinnen und Bürger und als Christinnen und Christen friedlich einsetzen, um unsere Demokratie zu schützen. Entgleisungen wie am Wochenende in Berlin dürfen nicht wieder vorkommen. Als Gesellschaft müssen wir – über alle Meinungsverschiedenheiten hinweg – zusammenstehen," so der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz.
Klein: "Angriff auf das Herz der Demokratie"
"Es ist schockierend und eine Überschreitung einer roten Linie", sagte der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, zu den Szenen vor dem Reichtstagsgebäude am Montag auf Anfrage. Schwarz-weiß-rote Fahnen sollten "schlimmste Erinnerungen" wachrufen.
"Das ist ein Angriff auf das Herz der Demokratie", betonte Klein. Nach dem Vorfall müsse über die Bannmeilenregelung am Reichstagsgebäude nachgedacht werden. Aus seiner Sicht sollte es künftig auch dann eine Bannmeile geben, wenn der Bundestag nicht tagt.
Am Rande einer Großdemonstration gegen die Corona-Politik hatte am Samstagabend eine Gruppe von Demonstranten Absperrungen am Berliner Reichstagsgebäude überwunden und war auf die Treppe des Parlamentsgebäudes gelangt. Dabei waren auch schwarz-weiß-rote Flaggen zu sehen, die als Symbole von Rechtsextremen gelten.
Kritik auch von Bischof Overbeck und der EKD
Nach den Worten des katholischen Sozialbischofs Franz-Josef Overbeck setzt sich "eine eigentümliche Allianz aus Rechtsextremisten, Impfgegnern und Anhängern von Verschwörungsideologien" zum Ziel, "die Symbole unserer Demokratie zu beschädigen". Dies sei nicht hinnehmbar, so der Bischof von Essen. Er dankte "allen Sicherheitskräften, die in einer für sie persönlich gefährlichen Situation standgehalten und vorbildlich unserer Demokratie verteidigt haben".
Christen müssten sich deutlich positionieren, "wenn unsere älteren Geschwister im Glauben wieder offenem Antisemitismus ausgesetzt sind", forderte Overbeck.
Die Evangelische Kirchen in Deutschland (EKD) äußerte sich nach einem Gespräch mit dem SPD-Präsidium ebenfalls zu den Vorkommnissen. "Insbesondere in Zeiten, in denen Demonstrationen von Rechtspopulisten und Verschwörungstheoretikern instrumentalisiert werden und offen antidemokratische Symbole vor unserem Parlamentsgebäude gezeigt werden, müssen alle Demokraten zusammenstehen", hieß es.
Zuvor hatten auch der Zentralrat der Juden und der Zentralrat der Muslime die Vorfälle in Berlin verurteilt.
Seibert: Missbrauch des Demonstrationsrechts
Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat die Eskalation bei den Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen in Berlin scharf verurteilt. Man habe am Wochenende ein Beispiel dafür erlebt, wie aus einer Demonstration heraus von einigen die Demonstrationsfreiheit missbraucht worden sei, sagte der Sprecher der Kanzlerin, Steffen Seibert, am Montag in Berlin. "Das Ergebnis waren schändliche Bilder am Reichstag", sagte er im Zusammenhang mit der Szene am Samstagabend vor dem Reichstagsgebäude, als Demonstranten die Absperrungen durchbrochen, die Treppe gestürmt und unter anderem Reichsflaggen vor dem Parlamentsgebäude geschwenkt hatten.
Seibert dankte im Namen von Merkel insbesondere den drei Polizisten, die sich zunächst allein den Demonstranten entgegenstellten, um den Bundestag zu schützen. Das sei "geistesgegenwärtig und tapfer" gewesen, sagte Seibert. Er würdigte zudem die Arbeit aller Polizisten, die am Samstag im Einsatz waren.
Der Sprecher von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) sagte, man habe vor dem Reichstagsgebäude offensichtliche Rechtsextremisten gesehen. Er wandte sich aber dagegen, die ganze Gruppe, die die Treppen stürmte, als Rechtsextremisten zu bezeichnen. Man habe dort insgesamt eine "bunte Mischung" gesehen, sagte er. Seibert sprach von "Antidemokraten", die versucht hätten, sich auf den Stufen des demokratischen Parlaments breitzumachen.
Seit der Szene gibt es in Berlin eine Diskussion über eine mögliche Verschärfung der Sicherheitsbestimmungen des Bundestags.
Nach Angaben des Innenministeriumssprechers ist der Bund in der Hauptstadt etwa für die Sicherheit von Schloss Bellevue als Sitz des Bundespräsidenten und das eigene Ministerium zuständig. Der Bundestag fällt demnach bislang in die Zuständigkeit der Landespolizei in Berlin. Die Regelungen sollen nun geprüft werden. Ob es in der Folge zu einer Veränderung der Zuständigkeiten kommt, könne man noch nicht bewerten, sagte der Sprecher.
Polizei ermittelt wegen Verdacht auf Landfriedensbruch
Wegen der Besetzung der Reichstagstreppe bei den Demonstrationen am Samstag in Berlin ermittelt inzwischen die Polizei wegen des Verdachts auf Landfriedensbruchs. Das sagte ein Sprecher am Montag. Möglicherweise könnten noch weitere Delikte dazukommen. Das müssten die Untersuchungen ergeben. Ob die Demonstranten versucht hätten, mit Gewalt in den Reichstag einzudringen oder das Gebäude zu beschädigen, sei noch nicht bekannt.
Auch gegen die Frau, die auf der Bühne einer Reichsbürger-Demonstration direkt vor dem Reichstag zum Sturm auf das Gebäude aufgerufen habe, würden Ermittlungen laufen. Die Identität der Frau sei der Polizei bekannt. Nach einem Bericht des "Tagesspiegel" soll es sich um eine bekannte Vertreterin der Reichsbürgerszene handeln, die aus der Eifel stammt, als esoterische Heilpraktikerin arbeitet und schon oft bei Demonstrationen öffentlich auftrat.
Die drei Polizisten, die auf dem oberen Absatz zwischen Demonstranten und dem Besuchereingang des Bundestags zu sehen sind, gehören laut Polizei zu einer sogenannten Alarmhundertschaften eines Polizeiabschnitts der Direktion 5, die zuständig ist für die Innenstadt, also den Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg und Teile von Neukölln und Mitte.
Alarmhundertschaften bestehen aus Polizisten, die regulär in normalen Revieren oder Polizeiwachen arbeiten und nur in bestimmten Fällen und für einen kurzen Zeitraum zu größeren Einheiten zusammengestellt werden.
Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) teilte mit, dass sich sieben Polizisten oben im Eingangsbereich der aufgeheizten, aber gewaltfreien Menge entgegengestellt hätten. Auf Videos sind vor allem drei Polizisten aus der Nähe zu sehen.