Ob Winterregen in Kapstadt oder sengende Sonne im Norden des Landes, der Anblick zu Zeiten von Corona ist in ganz Südafrika der gleiche: elendslange Schlangen. Geduldig verbringen die wartenden Massen den Tag vor dem Sozialamt, um ihre staatliche Krisenhilfe von umgerechnet 18 Euro abzuholen. Das Geld sichert das Überleben; für einen vollen Magen reicht es aber selbst in dem jungen Schwellenland nicht aus.
"Drakonische Notverordnungen"
Mit teils drakonischen Notverordnungen versuchte die Regierung in Pretoria, die Ausbreitung des Virus zu verhindern. Doch Präsident Cyril Ramaphosa bringt die Corona-Pandemie in eine Zwickmühle.
In erster Linie gelte es natürlich, Leben zu retten. Ob dies aber durch eine Abriegelung gelingt oder das genaue Gegenteil, nämlich eine wirtschaftliche Öffnung, ist umstritten.
"Der Lockdown hatte einzig die Zerstörung unserer Wirtschaft zur Folge. Dafür müssen sich Präsident und Regierung verantworten", erklärte jüngst der Chef der größten Oppositionspartei "Demokratische Allianz" (DA), John Steenhuisen.
"Nie da gewesene Herausforderungen"
Auch Südafrikas katholische Bischöfe sind besorgt. "Wir stehen vor noch nie da gewesenen wirtschaftlichen Herausforderungen", erklärte das bischöfliche Parlamentsbüro in Kapstadt. Während einige "importiert" seien, darunter das Corona-Virus, seien andere "selbstverschuldet". Als solche verbuchen die Bischöfe etwa den jüngsten Korruptionsskandal um Schutzausrüstung. Statt davon Masken anzuschaffen, seien hohe Geldsummen in die Taschen von Politikern und deren Freunden gewandert.
Präsident Ramaphosa, der eine Aufklärung des Skandals versprach, betont: "Wir können nicht weitermachen wie gehabt." Seine Regierung wolle den "Augenblick der Krise nutzen, um eine neue Wirtschaft aufzubauen". Massive Infrastrukturprojekte sollen in den kommenden Jahren gleichzeitig Jobs und Entwicklung schaffen.
In doppelter Hinsicht betroffen
Eine solche Reform hätte das Land dringend nötig. Nach dem Gini-Koeffizienten, der in der Wirtschaft genutzt wird, die Ungleichverteilung von Einkommen anzugeben, hat Südafrika seit Jahren mit die größte Schere zwischen Arm und Reich. Nirgends sonst auf der Welt haben die Reichen kontinuierlich so viel und die Armen so wenig wie um das Kap der Guten Hoffnung. In der Corona-Krise hat sich dieser Trend noch verschärft.
Das massivste Problem ist die Arbeitslosigkeit: Bereits vor Ausbruch der Pandemie lag die Quote bei 30 Prozent. Durch den "Lockdown" verloren etwa drei Millionen weitere Südafrikaner ihre Jobs. Dabei ist der informelle Arbeitssektor besonders betroffen; und zwar in doppelter Hinsicht, wie die Leiterin des Außenbüros der Deutschen Investitions- und Entwicklungsgesellschaft (DEG) in Südafrika, Anne Keppler, erklärt.
"Zum einen konnten die Menschen wegen des Lockdown natürlich vielfach ihrer Arbeit nicht mehr nachgehen. Durch Einkommenseinbrüche in der Mittelschicht verlieren zum anderen viele ihre Arbeitsgrundlagen, da sie schlicht nicht mehr bezahlt werden können." Das gelte etwa für Angestellte im Gastgewerbe ebenso wie für Haushaltshilfen.
13.000 Neuinfektionen täglich
Ein Weg, diesen Menschen zu helfen, ist, die Privatwirtschaft zu fördern. Die DEG finanziert in Südafrika über Kredite und die Beteiligung an Unternehmen oder Fonds rund 50 Unternehmen mit mehr als 100.000 Angestellten. Neben der finanziellen Förderung geht es dabei auch um eine nachhaltige Unternehmensentwicklung.
"Die Firmen sollen langfristig stabilisiert und in der Krise zusätzlich gestärkt werden", betont Keppler. Damit geht auch die so wichtige Sicherung der Arbeitsplätze einher. "Wegen der in Südafrika sehr ausgeprägten Familienabhängigkeit sind vom Einkommen eines Hauptverdieners nicht selten fünf oder mehr Familienmitglieder abhängig. An jedem verlorenen Arbeitsplatz hängen also noch weitere Schicksale", so Keppler.
Einige Experten sehen jetzt den perfekten Zeitpunkt gekommen, um Südafrikas ungerechte Wirtschaft einem Neustart zu unterziehen. Das Land hat den Ansteckungsgipfel hinter sich. Kamen Anfang August noch bis zu 13.000 Neuinfektionen täglich hinzu, ist es heute etwa noch ein Zehntel davon. Der Mediziner Francois Venter plädiert gegenüber dem Portal "News24" für das Tragen von Masken und den Schutz von Kranken und Älteren. Einschränkungen wie die nächtliche Ausgangssperre seien aber "wenig sinnvoll".