Die Mohammed-Karikaturen von 2005, vom französischen Satiremagazin "Charlie Hebdo" im September erneut veröffentlicht, heizen die Stimmung in vielen muslimischen und arabischen Kreisen an. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan wettert über "Faschismus" und ruft einen Boykott französischer Produkte aus, Frankreichs Emmanuel Macron warnt Franzosen vor Reisen in die Türkei.
Auffallend einstimmig stellen sich dabei Vertreter verschiedenster Kirchen in Nahost an die Seite der muslimischen Kritiker - und fordern eine Grenze für legitime Meinungsfreiheit. Mit Angst vor Repressionen durch muslimische Nachbarn hat diese Haltung gar nicht unbedingt etwas zu tun.
Kirchen sind sich einig
"Das Verspotten religiöser Symbole wird nicht als Meinungsfreiheit angesehen, sondern als Anstiftung zu Hass, der Gesellschaften spaltet und zerstört", äußerte sich etwa exemplarisch der anglikanische Bischof Munir Hanna Anis auf Twitter. Der Verantwortliche für die anglikanische Kirche in Ägypten und Nordafrika stellte sich explizit hinter die Entscheidung des Großimams der Kairoer Al-Azhar-Moschee, Scheich Ahmed Mohammad Al-Tayyeb, Klage gegen Charlie Hebdo einzureichen.
Ähnlich äußerten sich der Rat der Kirchenführer in Jordanien, der griechisch-orthodoxe Patriarch von Jerusalem, Theophilos III. oder der Patriarch der mit Rom unierten chaldäischen Kirche, Kardinal Louis Raphael I. Sako. Gewalt im Namen von Religion wird verurteilt - die Ermordung und Enthauptung eines französischen Lehrers, der die Karikaturen in der Klasse gezeigt hatte, ebenso wie Übergriffe auf unschuldige muslimische Zivilisten. Gefordert werden Dialog, Koexistenz und Brüderlichkeit; als Vorbild wird verwiesen auf die Harmonie zwischen Muslimen und Christen in Nahost.
Christen im Orient wütend auf westliche Säkularisierung
Ist der muslimisch-christliche Schulterschluss gegen Frankreich einer radikalen Meinungsfreiheit tatsächlich einer Angst von Christen angesichts einer wachsenden Islamisierung geschuldet, wie manche Beobachter nahelegen? Nicht unbedingt, sagt ein palästinensischer Kirchenvertreter in Jerusalem. Christen in Nahost lebten in schwierigen Wirklichkeiten: Einerseits glaubten sie nicht, dass Macrons offensive Politik weise sei, wenn auch gesetzeskonform. Andererseits missfalle ihnen die Art und Weise, in der Muslime dagegen protestierten.
"Christen im Orient sind näher an der muslimischen Zunge, wenn es um die Verletzung religiöser Überzeugungen geht - und mit ihrer konservativeren Haltung sind sie wütend auf die westliche Säkularisierung", sagte der Kirchenmann der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Streit über verschiedene Werte müsse "friedlich und nicht durch Provokation" gelöst werden.
Muss Meinungsäußerung beleidigend sein?
Doch nicht nur einen Graben zwischen religiös und säkular machen die Mohammed-Karikaturen deutlich. "Viele im Nahen Osten, Muslime wie Christen, sind beunruhigt, wenn die Ausübung von freier Rede zur Beleidigung dessen genutzt wird, was heilig ist", erläutert der israelische Jesuit und frühere Patriarchalvikar der hebräischsprachigen Katholiken in Israel, David Neuhaus, die kulturelle Nähe beider Religionen in Nahost. Auch wenn die schreckliche Gewalt, die solche Provokationen auslösen können, nicht zu rechtfertigen sei, bleibe doch die Frage: "Ist es notwendig, beleidigende Bemerkungen und Karikaturen zu wiederholen, die bereits einen hohen Preis gekostet haben?"
Das legitime Recht auf Meinungsäußerung sollte nicht zum Recht auf Beleidigung werden, meint auch der neuernannte Patriarch von Jerusalem, Erzbischof Pierbattista Pizzaballa. "Ich habe die letzte Karikatur gesehen", so der Italiener. Im Bild sitzt der verzerrt gezeichnete türkische Präsident Erdogan in weißer Unterwäsche auf dem Sofa und entblößt einer verschleierten Frau den Hintern. Die Karikatur "ist auch für mich beleidigend, und ich bin ein absolut überzeugter Christ", so Pizzaballa.
Wichtige Symbole sollten nicht missbraucht werden
Zuletzt gingen übrigens im Januar 2019 Muslime und Christen gemeinsam (und nicht in allen Fällen gewaltfrei) in Haifa gegen als religionsverletzend empfundene Kunst auf die Straße. Streitpunkt damals: das Kunstwerk "McJesus" des finnischen Künstlers Jani Leinon, das Maskottchen der Fastfoodkette McDonalds, Ronald McDonald, gekreuzigt zeigte.
Meinungsfreiheit, betonten die Kritiker damals, sei ebenso legitim wie Kritik an der Konsumgesellschaft. Für viele Christen wie Nichtchristen der Region sei aber nicht hinnehmbar, dafür das wichtigste Symbol der christlichen Religion zu missbrauchen.