DOMRADIO.DE: Es sollen keine unnützen oder kraftlosen Institute entstehen, damit es nicht zum Zerfall in kleine Gruppen kommt, so heißt es. Warum zieht der Papst denn jetzt bei Neugründungen so deutlich die Zügel an?
Pater Hans Zollner SJ (Leiter des Kinderschutzzentrums und Vizerektor der Päpstlichen Universität Gregoriana): Offensichtlich geht es dem Papst darum, dass er eine Ordenslandschaft hat, in der lebensfähige Gemeinschaften auch existieren, wo auch darauf Verlass sein kann, dass es über eine Gründungsgeneration hinweg weitergeht. Dass das auch blühen kann, dass sie auch einen Einfluss haben auf die Pastoral oder die Mission, die Arbeit der Kirche in dem jeweiligen Land oder in der jeweiligen Gegend - und dass es eben nicht zu Missbrauch kommt.
DOMRADIO.DE: Es ist nicht das erste Mal, dass die Regelungen bezüglich Ordensneugründungen verändert wurden. 2016 war das schon einmal der Fall. Da ging es aber nur darum, dass eine Beratung durch den Vatikan "verpflichtend" sein soll. Jetzt kommt also nicht nur die Beratung, sondern die letzte Entscheidung aus Rom. Sieht der Papst da dringenden Handlungsbedarf?
Zollner: Nachgebessert wurde ein Punkt: "Um Rat fragen" wurde geändert zu "Entscheidungen durch Rom akzeptieren lassen". An dieser Änderung von einem Wort merkt man, dass offensichtlich das, was man sich von den Bischöfen erwartet hatte - dass sie nämlich auf den Rat Roms hören -, nicht genügend gefolgt wurde.
Man kann sich vorstellen, dass manche zwar ein negatives Urteil aus Rom bekommen haben, aber dann sagen konnten, sie hätten sich Rat eingeholt und sind dann trotzdem weiter gefahren mit der Etablierung neuer Gemeinschaften. Offensichtlich ist es dem Papst und der entsprechenden Behörde auch ein Dorn im Auge. Wenn man in Rom nach vier Jahren schon ein Gesetz nachbessert, dann heißt es, dass da durchaus dringender Handlungsbedarf ist.
DOMRADIO.DE: Eigentlich steht Papst Franziskus ja für etwas anderes, nämlich für eine Dezentralisierung der Kirche, eine Stärkung der Kirchen vor Ort - der Bischöfe, der Bischofskonferenzen. Widerspricht jetzt diese Neuregelung nicht dem bisherigen Kurs von Papst Franziskus?
Zollner: Nur dann würde es das, wenn man das als ein einseitiges Dezentralisieren von Verantwortung sieht. Die katholische Kirche lebt aus und in dieser Spannung zwischen Zentrale und Ortskirchen. Oder bezogen auf die Ordensgemeinschaften: Aus der Führung eines Ministeriums, das für die Ordensgemeinschaften zuständig ist und eine gewisse Oberhoheit auch über die Statuten und das Vorgehen dieser Orden behalten muss. Sonst verliert sich auch die Gemeinsamkeit sehr leicht.
Ein Subsidiaritätsprinzip, das in der katholischen Soziallehre eine große Rolle spielt, muss sich eben in beide Richtungen verhalten. Das heißt, die Zentrale gibt das ab, was auf der lokalen Ebene gut und eindeutig und rechtssicher auch gewährleistet werden kann. Sie muss aber auch schauen, dass eben dies gewährleistet ist und dass das nicht einfach die Standards aufweicht. Ich glaube, dass das offensichtlich eine zentrale Oberaufsicht braucht.
DOMRADIO.DE: Auch in Orden und neuen geistlichen Gemeinschaften kam und kommt es bis heute zu Machtmissbrauch in unterschiedlichsten Formen und Ausprägungen. Ist diese Neuregelung auch dazu geeignet, sexuellem oder geistlichem Missbrauch in der Phase der Neugründung vorzubeugen?
Zollner: De facto haben wir in den letzten Jahren ja gesehen, dass viele der Gemeinschaften - da rede ich ja nicht nur von Ordensgemeinschaften oder Kongregationen, sondern auch von Laienbewegungen - auch das Phänomen gezeigt haben, dass Gründerpersönlichkeiten, Männer, aber auch Frauen unter Umständen, missbräuchlich vorgegangen sind, und zwar in verschiedenen Bereichen. Da spielt oft das Finanzielle und das Sexuelle ineinander.
Aber die Wurzel von all dem ist der Machtanspruch, wenn eine Gründerpersönlichkeit offensichtlich für sich in Anspruch nimmt, dass man sich alles nehmen darf, was einem so vorschwebt, im wahrsten Sinne des Wortes. Und da braucht es eben eine Kontrolle, eine Supervision - und nötigenfalls eben auch ein Einschreiten. Und genau das ist für eine zentrale Leitung, die auch klare Maßstäbe vorgibt, notwendig.
DOMRADIO.DE: Jetzt gibt es diesen sexuellen oder geistlichen Missbrauch ja nicht nur bei Neugründungen, sondern teilweise auch in Jahrhunderte alten Orden. Das hat ja zuletzt für Deutschland auch eine Umfrage der Deutschen Ordensoberenkonferenz gezeigt. Wie können die Orden denn da in Prävention und Aufarbeitung besser zusammenarbeiten?
Zollner: Missbrauch geschieht natürlich überall. Auf der anderen Seite waren besonders in den letzten Jahren diese neueren Gemeinschaften im Fokus, weil sich leider - entgegen dem Eindruck - viele dieser Gemeinschaften nicht an das Kirchenrecht gehalten haben und z.B. vermischt haben, wenn es um geistliche Leitung, Begleitung ging und um Entscheidungen, die den Lebensraum oder den Auftrag einer Person betroffen haben. Also das, was man im Kirchenjargon die Unterscheidung zwischen der geistlichen Begleitung und dem Auftrag - das Forum Internum und das Forum Externum - nennt.
Aber die Ordensgemeinschaften, speziell auch in Deutschland, stehen vor einer großen Herausforderung, was auch die Aufarbeitung angeht. Es ist ja auch in den letzten Monaten publik geworden. Diese Befragung, die die Deutsche Ordensoberemkonferenz durchgeführt hat, hat gezeigt, dass da noch sehr viel Bedarf vorhanden ist. Die Ordensgemeinschaften in Deutschland leiden natürlich darunter, dass in manchen - in sehr vielen - ein ganz gravierender Nachwuchsmangel da ist und dass die Führungspersönlichkeiten sowieso schon sehr, sagen wir mal, belastet sind. Wenn sie sich diesem Thema widmen wollten, bräuchten sie auf jeden Fall die Unterstützung, meines Erachtens, auch der Bischofskonferenz. Ohne das wird es vermutlich nicht gehen. Auch auf dem Hintergrund dessen, was in den Diözesen nach der Vereinbarung mit dem unabhängigen Beauftragten der Bundesregierung, Herrn Rörig , ja geschehen soll. Aber die Ordensgemeinschaften müssen sich auch untereinander verständigen, es ist de facto so, dass die kleineren oder auch die sehr überalterten Gemeinschaften das nicht alleine leisten können. Deshalb muss man aber auch versuchen, andere Wege zu finden und besser zusammenzuarbeiten, was dann manchmal mit dem Argument abgewehrt wird, dass man eine andere Spiritualität hat oder dass die anderen diese oder jene Lebensform nicht verstehen oder nicht nachvollziehen können. Aber dann muss man versuchen Wege zu finden, zusammenzuarbeiten und sich gegenseitig zu helfen, unter Umständen auch finanziell.
Das Gespräch führte Gerald Mayer.