Der Vatikan hat Disziplinarstrafen gegen den des sexuellen Kindesmissbrauchs beschuldigten polnischen Kardinal Henryk Gulbinowicz (97) verhängt. Der frühere Erzbischof von Breslau (Wroclaw) darf keine Gottesdienste mehr feiern oder an öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen, gab die Vatikanbotschaft in Warschau am Freitag bekannt. Zudem wurde ihm die Nutzung von Bischofsinsignien verboten und ausgeschlossen, dass es nach seinem Tod in der Kathedrale eine Trauerfeier für ihn gibt und er dort beigesetzt wird.
Kein konkretes Vergehen genannt
Der Kardinal müsse auch eine "angemessene Geldsumme als Spende" an die 2020 von der Polnischen Bischofskonferenz für Betroffene von sexueller Gewalt gegründete "Sankt-Josef-Stiftung" zahlen, so die Apostolische Nuntiatur. Die Stiftung bietet Unterstützung durch Psychologen, Pädagogen, Juristen und Priester und engagiert sich in der Prävention. Die Vatikanbotschaft nennt in ihrer Mitteilung kein konkretes Vergehen des Kardinals. Sie teilte nur mit, die Disziplinarentscheidung sei das Ergebnis einer Untersuchung der gegen Gulbinowicz erhobenen Vorwürfe und der Analyse weiterer Vorhaltungen gegen ihn aus der Vergangenheit.
Der Breslauer Dichter Karol Chum hatte den Kardinal im Mai 2019 öffentlich beschuldigt, ihn als Priesterseminarist 1990 kurz nach seinem 16. Geburtstag in seiner Bischofsresidenz sexuell missbraucht zu haben. Darauf leitete das Erzbistum Breslau eine Untersuchung ein.
Gulbinowicz wies die Anschuldigung zurück. Sein Anwalt warnte damals vor der "Verbreitung von Unwahrheiten" und drohte mit juristischen Schritten.
Strafanzeige wegen Verjährung abgewiesen
Chum, der mit bürgerlichen Namen Przemyslaw Kowalczyk heißt, war von September 1989 bis Januar 1990 im Vorseminar im schlesischen Legnica (Liegnitz). Von dessen Rektor war Chum demnach zu Gulbinowicz geschickt worden, um dessen Korrespondenz abzuholen. Als er in der Breslauer Kurie in einem Zimmer übernachten sollte, sei der Kardinal dorthin gekommen und habe ihn mit der Hand missbraucht. Wegen Verjährung wies die Staatsanwaltschaft Chums Strafanzeige gegen den Kardinal ab.
Der Sprecher des Erzbistums Breslau nannte die Entscheidung des Vatikan "für uns als Breslauer Kirche insofern schmerzhaft, weil sie zeigt, dass in der Vergangenheit sicherlich Personen von dem Geistlichen verletzt wurden, der unsere Diözese leitete". Diese Menschen verdienten das Wort "Entschuldigung". "Wir drücken unseren Respekt für sie aus und erklären unsere Bereitschaft, sie zu unterstützen und ihnen zu helfen", fügte der Sprecher hinzu.
Polnische Kommentatoren sprachen von einem "Erdbeben". Kein Bischof könne "mehr ruhig schlafen", wenn er ein Kind sexuell missbraucht habe, so die Online-Ausgabe der "Rzeczpospolita".
Unterstützer der Solidarnosc-Bewegung
Gulbinowicz, heute zweitältester Kardinal der katholischen Kirche, war von 1976 bis 2004 Erzbischof von Breslau. 1985 machte ihn Papst Johannes Paul II. (1978-2005) zum Kardinal. Während des von 1981 bis 1983 von den kommunistischen Machthabern über Polen verhängten Kriegsrechts zählte er zu den Verteidigern der Freiheits- und Gewerkschaftsbewegung Solidarnosc. Er bot in seiner Bischofsresidenz Dissidenten Unterschlupf und versteckte 90 Millionen polnische Zloty vor dem Staatsapparat. Das Geld hatte die Solidarnosc vor der drohenden Beschlagnahmung durch den Geheimdienst von ihrem Bankkonto abgehoben.
Der Vatikan führt laut polnischen Medienberichten derzeit auch ein Disziplinarverfahren gegen den Krakauer Weihbischof Jan Szkodon durch. Ihm werden sexuelle Übergriffe auf ein damals 15-jähriges Mädchen vor mehr als 20 Jahren vorgeworfen. Szkodon wurde demnach vorläufig die seelsorgliche Arbeit mit Minderjährigen untersagt.