14 Neuzugänge in der Ausbildungsgemeinschaft der Priesterseminare in Wien - diese überraschende Zahl vermeldete das Erzbistum Wien Ende Oktober in einer Pressemitteilung. Elf Kandidaten gehen dabei auf das Konto der Erzdiözese Wien, drei weitere stammen aus den Bistümern St. Pölten und Eisenstadt, die ihre Priesterausbildung im Haus in der Wiener Strudlhofgasse gebündelt haben.
Dass diese Zahl höchst ungewöhnlich ist, daran lässt Subregens Markus Muth keinen Zweifel: "Ich weiß von Bistümern in Österreich, die schon das dritte Jahr in Folge keinen Neueintritt mehr verzeichnet haben." Woran es liegt, dass Wien hier eine Ausnahme bildet - darüber kann der Geistliche nur spekulieren. "Es gibt Erklärungsversuche, aber die greifen nur zum Teil."
"Hauptstadtbonus" und Internationalität
Einer davon ist laut Muth die Nähe zur beliebten Hochschule im Stift Heiligenkreuz, die ihrerseits Studenten aus dem gesamten deutschsprachigen Raum anzieht. Manche davon haben dann in Wien angeklopft. Ein anderer Grund sei der "Hauptstadtbonus". Einige Kandidaten seien schon lange vor ihrem Eintritt nach Wien gezogen, fühlten sich dort wohl und wollten von daher auch ihre Ausbildung dort absolvieren.
Das betreffe nicht nur Seminaristen aus anderen österreichischen Bundesländern. "Unter den Neuzugängen sind auch ein Pole, ein Kroate und drei Deutsche", berichtet der Subregens.
Natürlich werde nicht jeder aufgenommen, der sich bewirbt. Ein Bezug zu Österreich, Wien oder einer der anderen beiden Bistumsstädte müsse schon gegeben sein. Schließlich wolle man ja anderen Diözesen keine Kandidaten wegnehmen. "Aber wenn jemand gute Gründe hat, zu uns zu kommen, dann weisen wir ihn nicht aus Prinzip ab." Auch gebe es in Wien - anders als in manch anderen Diözesen - keine Altersgrenze.
Seminaristen mit den verschiedensten Hintergründen
Entsprechend bunt stellt sich die Gruppe der derzeit 52 Priesteramtsanwärter im Wiener Haus dar. Frühere Beamte sind ebenso darunter wie Musiker, Chemiker, Führungskräfte in internationalen Unternehmen, Lebensmitteltechniker, Krankenpfleger oder ein Weinbauer. Die Geburtsjahrgänge reichen von 1950 bis 2000.
Sehr unterschiedlich sind auch die persönlichen Berufungsgeschichten. Für manche führte der Weg über Entfremdung oder gar Kirchenaustritt. Andere wiederum bringen Vorerfahrungen in Orden oder neuen geistlichen Gemeinschaften mit.
Muth: Seminaristen sind nicht weltfremd
Deshalb wehrt sich Subregens Muth auch gegen das Klischee vom weltfremden Seminaristen, der - hinter hohen Mauern verborgen - keinen Anschluss ans wahre Leben bekommt. "Wenn Sie sich die geballte Lebenserfahrung in unseren drei Seminaren ansehen, dann merken Sie schnell, dass das nicht stimmen kann."
Umgekehrt erhöht diese Vielfalt laut Muth auch die Attraktivität des Seminars: "Unser Ausbildungskonzept ist stark modular aufgebaut, das heißt, es lässt sich gut an die teils sehr unterschiedlichen Voraussetzungen der einzelnen Kandidaten anpassen. Dazu braucht es auch einen gewissen Pragmatismus."
"Ein ziemlich bunter Haufen"
Ein weiteres Vorurteil lehnt der Geistliche ebenfalls ab: Dass nämlich Seminaristen von heute allesamt eine konservative Schlagseite haben. "Wenn vor 25 Jahren das Kollar (der klassische Priesterkragen) noch ein eindeutig konservatives Statement war, so ist das heute nicht mehr so. Da haben sich Dinge verschoben." Auch in dieser Hinsicht seien die Seminaristen "ein ziemlich bunter Haufen".
Bleibt noch die Frage nach Corona. Hat vielleicht auch die Pandemie beim einen oder anderen zu einer stärkeren Hinwendung zum Glauben und zum Priesteramt geführt? Markus Muth ist hier sehr vorsichtig.
Einstweilen weiß er nur von einem Kandidaten, bei dem eine coronabedingte berufliche Zwangspause den Berufungsprozess klar beschleunigt habe. Letztendlich, fasst Muth zusammen, seien Berufungen ja nie rational erklärbar. Dass es in Wien jetzt so viel mehr Kandidaten als anderswo gibt, ist für ihn deshalb vor allem eines: "eine große Gnade".