Früherer anglikanischer Primas Carey wird 85 Jahre alt

"Eine Generation vom Erlöschen entfernt"

Lange Zeit trug George Carey die höchste Verantwortung in der anglikanischen Staatskirche von England. Nun, im Alter und im Rückblick auf seine Amtszeit, backt er einige kleinere Brötchen.

Autor/in:
Alexander Brüggemann
 (DR)

Baron Carey of Clifton, von 1991 bis 2002 Erzbischof von Canterbury und Primas der anglikanischen Staatskirche von England, wird an diesem Freitag (13. November) 85 Jahre alt. In seiner Amtszeit galt George Carey stets als Kompromisskandidat zwischen dem konservativen und dem liberalen Kirchenflügel. Zunehmend wurden ihm öffentlich Führungsschwäche sowie ein Fehlen eindeutiger Stellungnahmen zu gesellschaftlichen Fragen vorgeworfen. Lange nach Ablauf seiner Amtszeit musste er auch Fehlverhalten im Umgang mit einem prominenten Fall von sexuellem Missbrauch einräumen.

"Konservativ" oder "liberal"?

Tatsächlich wird Carey bis heute in verschiedenen Medien entweder als "konservativ" oder als "liberal" gekennzeichnet. Auch die stetig rückläufige Zahl der Gottesdienstbesucher und eine "Entfremdung" des evangelikalen Flügels lasteten Kritiker dem damaligen Primas persönlich an - obwohl Careys theologische Wurzeln bei den Evangelikalen liegen.

Er ist ein Befürworter der Frauenordination und der Wiederverheiratung Geschiedener. Eine Segnung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften lehnt er ab, war jedoch federführend an mehreren Kompromissformeln in dieser Frage beteiligt, die die anglikanische Weltgemeinschaft bis heute spaltet. Zugleich engagierte sich Carey im ökumenischen Dialog mit Rom.

Christ mit 17 Jahren

Am 13. November 1935 im Londoner Eastend geboren, verließ Carey die Schule bereits mit 15 Jahren. Er arbeitete zunächst als Bürogehilfe, bevor er seinen Wehrdienst bei der Royal Air Force absolvierte. Mit 17 Jahren wurde er nach einem Gottesdienstbesuch Christ und strebte fortan das Priesteramt an. In Rekordzeit holte er seine Schulabschlüsse nach und studierte am Londoner King's College Theologie. 1963 wurde er ordiniert und promovierte anschließend.

Nach Jahren als Dozent und Gemeindeseelsorger wurde Carey 1987 zum Bischof geweiht und 1988 zum Bischof von Bath und Wells ernannt. 1991 folgte er Erzbischof Robert Runcie in Canterbury nach. Carey war Gastgeber der Lambeth-Konferenz 1998, zu der damals die ersten Bischöfinnen eingeladen waren. Beim Eintritt in den Ruhestand 2002 wurde er in den Adelsstand erhoben und trägt seither den Titel Baron Carey of Clifton; auf Lebenszeit ist er Mitglied des britischen Oberhauses (House of Lords). Er ist seit 60 Jahren verheiratet und hat vier Kinder.

Selbstkritische Worte

Einen dunklen Fleck erhielt Careys Priesterkarriere durch den Fall des pädophilen anglikanischen Bischofs Peter Ball (1932-2019). 2018 musste der frühere Primas einräumen, er habe sich von Bischof Ball und dessen charismatischem Auftreten "täuschen lassen" und ihm gegenüber "zu großzügig" auf die Missbrauchsvorwürfe reagiert. Im Rückblick erscheine es ihm unverständlich, dass er Briefe von Opferangehörigen, die klare Vorwürfe gegen Ball artikulierten, nicht an die Polizei übergeben habe, so Carey. Stattdessen habe man die Opfer "abgespeist". Er wolle sich bei allen entschuldigen, "die von mir und der Kirche von England im Stich gelassen wurden".

Auch zu seiner eigenen Kirche findet Carey selbstkritische Worte, sieht sie gar vom Aussterben bedroht: "In einer kalten Kirche zu hocken und Leuten auf den Hinterkopf zu gucken, ist vielleicht nicht der spannendste Ort, um neue Leute kennenzulernen und prophetische Worte zu hören." Es sei heute einfach nicht mehr "normal" für die Menschen, zur Kirche zu gehen. Er sei "überzeugt, dass Kirchen wachsen können, wachsen sollen und wachsen müssen", so der frühere Primas. Aber wenn es nicht gelinge, neue Gläubige anzuziehen, werde jede einzelne der 43 Diözesen binnen 25 Jahren verschwunden sein.

Es sei ein Vorurteil, dass die Menschen "nicht mehr hören wollen, was wir zu sagen haben", meint Carey. Dabei gebe es so viel Gewalt, zu viele getrennte Familien, zu wenig Jobsicherheit, zu viele Jugendliche ohne Ziele. Gerade in solchen Situationen suchten Menschen nach spiritueller Erfüllung. "Wir sollten uns schämen", sagt der einst Verantwortliche. "Wir sind nur eine Generation vom Erlöschen entfernt. Wenn wir nicht in die Jugend investieren, wird in der Zukunft niemand mehr übrig sein."

 

Quelle:
KNA