Ellen Adler will Nonne werden. Doch auf ihrem Weg ins Kloster wird sie von einem angehenden Priester missbraucht. Die Leiterin des Konvents, in den sie eintreten will, weist Adler ab. Sie sei ja nun keine Jungfrau mehr. So berichtet es die Autorin, die eigentlich anders heißt, in dem Buch "Erzählen als Widerstand", das kommenden Mittwoch am internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen erscheint. 23 Frauen schildern darin spirituellen oder sexuellen Missbrauch, den sie als Erwachsene im Raum der katholischen Kirche erlebt haben.
Ins Leben gerufen hat das Buchprojekt der Katholische Deutsche Frauenbund (KDFB). "An erwachsene Frauen denken die wenigsten, wenn sie die Worte Missbrauch in der katholischen Kirche hören", erklärt Mit-Herausgeberin und KDFB-Funktionärin Regina Heyder. Der Verband wisse jedoch, dass es diese Fälle gebe.
Oft Mischung von sexuellem und spirituellem Missbrauch
16 Berichte handeln von sexuellem und 17 Berichte von spirituellem Missbrauch, wobei häufig eine Mischung vorliegt. Alle Frauen benutzen Pseudonyme. Auch Täter, Bistümer und Orden werden nicht benannt. Das Buch könne dennoch Mechanismen hinter Missbrauchstaten aufdecken, betont Heyder. Der Band solle Öffentlichkeit für die Erfahrungen der Betroffenen herstellen. Jede Erzählung stärke so die Erzählung von anderen Frauen.
Auch die von der DDR-Bürgerin Ellen Adler. Sie macht sich kurz nach dem Fall der Mauer 1989 auf den Weg nach Österreich, wie sie schreibt. Dort will sie in ein Kloster eintreten. In Süddeutschland kommt sie auf Vermittlung ihres Heimatbischofs zunächst bei den Anwärtern eines Männerkonvents unter, denn sie muss auf ihren bundesdeutschen Pass warten, den sie für die Einreise nach Österreich braucht. "Ich hatte mich in diesem Noviziat in Süddeutschland sicher gewähnt, unter Menschen, deren Sehnsucht auf Gott allein gerichtet war", erklärt Adler. "Ich habe mich furchtbar geirrt."
Mit Informationen aus Beichte Druck ausgeübt
Bald bittet der Novizenmeister, der für die Ausbildung der neuen Ordensbrüder zuständig ist, Adler zur Beichte, wie sie berichtet. Auf seinen Wunsch hin sei einer der Klosteranwärter bei dem Gespräch dabei gewesen - um als angehender Priester Erfahrungen zu sammeln.
Später habe der Anwärter mit Informationen aus der Beichte Druck auf Adler ausgeübt, sagt sie. Und: "Er benutzte meine Isolation: Ich hatte kein (West-)Geld, kein Telefon, keinen Kontakt mit Familie, Freunden, Weggefährten, Mitschwestern." So sei es schließlich zum sexuellen Missbrauch gekommen - mit Wissen des Novizenmeisters.
In etwa der Hälfte der Berichte im Buch sind die Täter Priester; es gibt jedoch auch Übergriffe und Grenzverletzungen, an denen andere Frauen beteiligt sind. In 14 der 23 Fälle geschah der Missbrauch bei einer geistlichen Begleitung oder einer geistlichen Übung und fünf Mal in der Beichte.
Die Autorinnen hätten den Tätern als Seelsorger vertraut, sagt Mit-Herausgeberin Ute Leimgruber. "Wenn Missbrauch innerhalb von Seelsorgebeziehungen stattfindet, ist das ja innerhalb einer ganz fragilen Situation." Sobald es Abhängigkeitsverhältnisse und verdeckte Machtstrukturen gebe, könnten sich auch Erwachsene schwer gegen Übergriffe wehren.
Nach Missbrauchsbeichte aus Kloster geschmissen
Adler kommt schließlich in dem Kloster in Österreich an. Nach einiger Zeit habe die Oberin herausgefunden, was ihr zugestoßen war, erzählt die Autorin. "Sie konstatierte, dass ich dann ja keine Jungfrau mehr sei und somit untauglich für die Gelübde. Einen Tag später stand ich in Österreich auf der Straße."
Der KDFB schätzt, dass es eine hohe Dunkelziffer an in der Kirche missbrauchten Frauen gibt. Das Buch soll das Problem sichtbar machen, sagt Heyder. Einige Bischöfe hätten bereits Interesse an dem Band gezeigt.
Laut ihrem Bericht fährt Adler einige Wochen nach ihrem Rausschmiss noch einmal nach Süddeutschland. Sie habe eine Erklärung finden wollen, "was Gott da mit mir getan hatte". Stattdessen sei sie auf Ablehnung gestoßen. So habe der Novizenmeister behauptet, sie habe den werdenden Priester verführen wollen - und dieser habe die "Prüfung" bestanden. Mehrfach habe sie sich an kirchliche Stellen gewandt - ohne Erfolg. "Niemand fühlte sich zuständig." Auch daran will das Buch etwas ändern.