Wie die Kölner Wirren im Vatikan gesehen werden

"Woelki hätte Missbrauchsverdacht melden können, nicht müssen"

Hätte der Kölner Kardinal Woelki 2015 einen Missbrauchsfall nach Rom melden müssen? Hat er eine Voruntersuchung versäumt? Kirchenrechtliche Vorgaben lassen Spielräume - weshalb Münsters Bischof Genn weitere Maßnahmen prüft.​

Autor/in:
Roland Juchem
Rainer Maria Kardinal Woelki und Bischof Felix Genn / © Harald Oppitz (KNA)
Rainer Maria Kardinal Woelki und Bischof Felix Genn / © Harald Oppitz ( KNA )

Den am Donnerstag bekannt gewordenen Verdacht eines Missbrauchsfalls im Erzbistum Köln hätte Kardinal Rainer Woelki 2015 nach Rom melden können, aber nicht unbedingt melden müssen - meinen Kirchenrechtsexperten im Vatikan. Demnach besteht eine Meldepflicht, sobald sich ein Verdachtsfall durch diözesane Voruntersuchungen erhärtet. Nach Aussage des Erzbistums hatte Woelki 2015 eine Voruntersuchung für unmöglich erachtet, weil der beschuldigte Priester O. dement und schwer krank war und das Opfer nicht an der Aufklärung mitwirken und sich keiner Konfrontation mit dem Beschuldigten aussetzen wollte.

Zwar melden Diözesen Verdachtsfälle oft schon vorher an die zuständige Glaubenskongregation, doch diese erteilt dann zunächst den Auftrag zu einer Voruntersuchung vor Ort. Kirchenjuristen im Vatikan betonten dazu: Wie das staatliche geht auch das kirchliche Strafrecht von dem Grundsatz aus, dass eine Voruntersuchung die Wahrscheinlichkeit von Vorwürfen, also deren ausreichende Grundlage in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht feststellen muss. Erst dann wird ein Verfahren begonnen.

Juristische und moralische Unterschiede

Die Entscheidung über eine Anerkennungs- oder Entschädigungszahlung wird hingegen anhand der Plausibilität der Vorwürfe des Opfers gefällt. Davon rechtlich losgelöst ist die Frage nach einer Schuld des Täters; diese muss juristisch ermittelt werden. In dem jetzt bekannt gewordenen Fall hatte das Erzbistum Köln bereits 2011 dem Opfer 15.000 Euro gezahlt, nachdem sich der Mann ein Jahr zuvor gemeldet hatte. Presseberichten zufolge hatte der damals verantwortliche Kardinal Joachim Meisner unterlassen, eine kanonische Voruntersuchung zu führen und den Fall an die Glaubenskongregation zu melden.

Für die Frage, ob sich Woelki eine Verfehlung im Amt hat zuschulden kommen lassen, wäre in Rom indes nicht die Glaubens-, sondern die Bischofskongregation zuständig. Vorschriften, wie bei verletzter Aufsichts- und Rechenschaftspflicht kirchlicher Vorgesetzter vorzugehen ist, hat der Papst verbindlich 2019 erlassen. Demnach soll sich ein Bischof, der "bei der Einleitung oder Durchführung der Voruntersuchung auf Schwierigkeiten stößt" - wie 2015 der Fall -, "unverzüglich an die Glaubenskongregation wenden".

Genn verantwortlich für Prüfung

Der entsprechende Erlass "Vos estis lux mundi" von 2019 sieht vor, dass auch zurückliegende Fälle geprüft werden. Geht es um einen Metropolitan-Erzbischof, fällt die Prüfung dem dienstältesten Bischof seiner Kirchenprovinz zu. Das ist für Köln der Bischof von Münster, Felix Genn, seit 2009 im Amt. Genn hat bereits mitgeteilt, er prüfe derzeit, ob er gegen Woelki kirchenrechtliche Untersuchungen dazu aufnimmt.

Allerdings ist Genn gleichzeitig Mitglied der Bischofskongregation in Rom. Diese müsste gegebenenfalls den Kölner Erzbischof disziplinarisch bestrafen. Eine solche Interessenkollision zwischen Untersuchungs- und Entscheidungsinstanz ist im Erlass "Vos estis lux mundi" nicht vorgesehen.

Koadjutor für das Erzbistum Köln?

Die von deutschen Medien aufgeworfene Frage nach einem päpstlich beauftragten Koadjutor für den Kölner Erzbischof ist beim derzeitigen Stand aus römischer Sicht nicht aktuell. Eine solche Maßnahme könnte sich erst im Lauf des weiteren Verfahrens stellen; die Entscheidung darüber obliegt der Bischofskongregation und dem Papst. Nach dem Kirchenrecht wird ein Koadjutor "bei Vorliegen schwerwiegenderer Umstände, auch persönlicher Art, bestellt". Da ein Koadjutor im allgemeinen Kirchenrecht auch das Recht auf Nachfolge hätte, wäre es im Fall von Köln wegen des dortigen Wahlrechts des Domkapitels denkbar, dass der Papst ausnahmsweise einen Koadjutor ohne Nachfolgerecht ernennen könnte.

Im Nachgang zu der von den Bischöfen beauftragten MHG-Studie vom Herbst 2018 und weiteren eigenen Untersuchungen haben etliche deutsche Diözesen teilweise neue Fälle, teils alte mit neuen Informationen an die Glaubenskongregation nachgemeldet. Von diesen Fällen sind dem Vernehmen nach einige bereits entschieden, andere noch in Arbeit. Nachgemeldet wurden aber nur Fälle, bei denen der mutmaßliche Täter noch lebt. Der Fall des Priesters O. gehört nicht dazu, da der Beschuldigte bereits 2017 starb.


Quelle:
KNA