Wegen der strittigen Aufarbeitung früherer Missbrauchsfälle bitten zwei deutsche Erzbischöfe den Vatikan um Klärung. Dabei könnte es auch um die Zukunft des Hamburger Erzbischofs Stefan Heße und des Kölner Kardinals Rainer Maria Woelki gehen. Beide Kirchenmänner sehen sich mit Vertuschungsvorwürfen konfrontiert. Heße hatte im November erklärt, Rom solle mögliche Konsequenzen für die Ausübung seines Amtes prüfen. Woelki soll einem Zeitungsbericht zufolge schon 2018 angedeutet haben, dass er zurücktreten werde, sollte ihm Fehlverhalten nachgewiesen werden.
Versäumnisse offenlegen
Am Freitag ließ der Kölner Erzbischof mitteilen: "Versäumnisse im Umgang mit sexualisierter Gewalt müssen offengelegt werden, unabhängig davon, gegen wen sie erhoben wurden. Dies bezieht auch mich ein." Er habe Papst Franziskus gebeten, die kirchenrechtlichen Vorwürfe gegen ihn zu klären. Konkret geht es um den Fall des Düsseldorfer Priesters O., der sich in den 1970er-Jahren an einem Jungen im Kindergartenalter vergangen haben soll. Woelki arbeitete in den 1980er-Jahren in O.'s Pfarrei als Pastoralpraktikant und Diakon.
Nachdem er im September 2014 als Kardinal von Köln eingeführt wurde, sah er sich 2015 O.'s Personalakte an. Damals hätte er laut Kirchenrecht den Fall nach Rom melden müssen, was nicht geschah - so lautet der Vorwurf. Das Erzbistum argumentiert, der Gesundheitszustand von O. sei 2015 so schlecht gewesen, dass er sich "in keiner Weise" zu den Vorwürfen hätte äußern können. Da zudem der Betroffene nicht mehr Stellung beziehen wollte, seien eine kirchenrechtliche Voruntersuchung und eine Meldung an den Vatikan unterblieben.
Vorwurf der Vertuschung
Dem Hamburger Erzbischof Heße wird in mehreren Fällen Vertuschung während seiner Zeit in Köln vorgeworfen - Anschuldigungen, die er selbst zurückweist. Heße war am Rhein erst Personalchef und bis Anfang 2015 Generalvikar. Auch hier geht es um die Frage, ob er Meldungen nach Rom pflichtwidrig unterlassen hat.
Er selbst könne "nicht Richter in eigener Sache sein", erklärte Heße im November. Der Vatikan, so Heßes Vorschlag, solle die Vorwürfe gegen ihn prüfen, sobald ein Missbrauchsgutachten vorliegt, mit dem Kardinal Woelki den Kölner Strafrechtler Björn Gercke beauftragt hat. Gercke soll seine Ergebnisse bis 18. März präsentieren. Es ist die zweite unabhängige Untersuchung zum Umgang mit Missbrauchsfällen im Erzbistum Köln - das bereits fertige Gutachten der Münchner Anwaltskanzlei Westpfahl Spilker Wastl enthält laut Woelki "methodische Mängel" und wird daher vorerst nicht öffentlich gemacht.
Anzeigen nach Kirchenrecht
Bevor innerkirchliche Untersuchungen gegen Woelki und Heße starten können, müssen die Vorwürfe laut Kirchenrecht angezeigt werden, etwa beim Heiligen Stuhl oder beim dienstältesten Bischof der Kirchenprovinz. Da sich die Erzbischöfe selbst an den Vatikan gewandt haben, dürfte diese Voraussetzung erfüllt sein, wie vatikanische Kirchenrechtsexperten erklärten. Zudem teilte das Bistum Münster mit, Bischof Felix Genn habe als Dienstältester in der Kirchenprovinz Köln den Nuntius in Deutschland, Nikola Eterovic, über den Vorgang informiert und ihn gebeten, seine Mitteilung nach Rom weiterzuleiten.
Entscheidung liegt bei Bischofskongregation
Gemäß dem päpstlichen Erlass "Vos estis lux mundi" von 2019 muss nun die Bischofskongregation über das weitere Vorgehen entscheiden. Denkbar ist, dass sie die Dienstältesten mit der Untersuchung beauftragt. Neben Genn für Köln wäre das der Osnabrücker Bischof Franz-Josef Bode für Hamburg. Beide würden ihre Ergebnisse zusammen mit einem Votum zurück an die Bischofskongregation geben, die dann entscheidet, ob Pflichtverletzungen vorliegen.
Problematisch ist möglicherweise, dass Genn selbst Mitglied der Bischofskongregation ist. Er könnte als befangen gelten, da er im Fall Woelki sowohl untersuchen als auch mitentscheiden müsste. Eine Lösung wäre, dass Genn an der abschließenden Abstimmung der Kongregation nicht teilnimmt, wie der emeritierte Münsteraner Kirchenrechtler Klaus Lüdicke auf Anfrage der Katholischen Nachrichten-Agentur erläuterte.
Zwangsläufig Rücktritt?
Sollte die Bischofskongregation am Ende feststellen, dass Woelki und Heße pflichtwidrig gehandelt haben, muss das nicht zwangsweise den Rücktritt der Erzbischöfe bedeuten, andere disziplinarische Schritte wären möglich. Wenn aber aufgrund eines Skandals der Rückhalt eines Bischofs bei den Gläubigen und im Klerus seines Bistums drastisch schwindet und zusätzlich eine Abmahnung aus Rom eintrifft, ist ein Rücktrittsgesuch des betroffenen Bischofs beim Papst der nahe liegende Ausweg aus einer verfahrenen Situation.
Bätzing: Missbrauchsaufklärung in Köln ein "Desaster"
Der Limburger Bischof und Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Georg Bätzing, hat die Missbrauchsaufarbeitung im Erzbistum Köln kritisiert. In einem bereits am Mittwoch aufgezeichneten und am Freitag online veröffentlichten Interview des Hessischen Rundfunks (hr) sagte Bätzing: "Ich bin über die Situation, die um die Kölner Studie herum entstanden ist, überhaupt nicht glücklich." Dies wisse der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki auch. An dessen Absicht, für Transparenz zu sorgen, sei zwar "nicht zu zweifeln", so der Limburger Bischof weiter. Aber "dass das jetzt in ein regelrechtes Desaster gemündet ist und auf uns alle abfärbt, das ist nicht gut".
In diesem Zusammenhang Bezog sich der Bischof auch auf den Fall des Hamburger Erzbischofs Heße. Bätzing sagte auf die Frage, wann ein Bischof zurücktreten müsse, Heße sage zwar "glaubhaft", er habe nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt: "Aber wenn ihm Fehler nachgewiesen werden, muss man daraus unter Umständen auch Konsequenzen ziehen." Formal könne aber ein Bischof nicht einfach selbst seinen Rücktritt bekanntgeben, ergänzte der Vorsitzende der Bischofskonferenz: "Das geht in der katholischen Kirche gar nicht, sondern es muss die römische Bischofskongregation die begangenen Fehler oder die Situation bewerten." Man könne dann anbieten, vom Amt zurückzutreten: "Entweder nimmt der Papst das an oder nicht."
ZdK fordert Herausgabe der Kölner Missbrauchsstudie
Der oberste katholische Laienvertreter in Deutschland fordert die Herausgabe des bislang unveröffentlichten Missbrauchsgutachtens im Erzbistum Köln. "Nur vollständige Transparenz kann jetzt weiterhelfen", sagte der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Thomas Sternberg, der "Rheinischen Post" (Samstag) in Düsseldorf. "Und sollte es ein Fehlverhalten des Erzbischofs gegeben haben, ist die Übernahme von Verantwortung eine Selbstverständlichkeit."