Die Kontaktbeschränkungen in der Coronakrise sind an den Festtagen leicht gelockert. Dennoch mahnen Politiker, auf große Feiern zu verzichten. Die Planungen für Weihnachten bergen Herausforderungen. "Natürlich machen wir uns Gedanken", sagt Anette Pütter aus Wunstorf bei Hannover. Vier Generationen umfasst ihre Familie, der ältere Sohn ist gerade Vater geworden. Er will mit seiner Familie diesmal nicht zu den Eltern reisen. Doch die anderen beiden erwachsenen Kinder wollen kommen, ebenso wie Pütters Vater (83). "Er lebt allein, ich brächte es nicht übers Herz, zu sagen, wir wollen dich schonen, bleib zu Hause", sagt die 54-Jährige.
Die Pütters sind also voraussichtlich zu fünft am Tannenbaum. "Die Kernfamilie", sagt Anette Pütter. Damit bleiben sie unter dem, was nach den von Bund und Ländern gelockerten Regeln für den 24. Dezember möglich ist. Doch vieles war bis zuletzt im Schwange. Und Anette Pütter wägt ab, was sonst kein Thema wäre. Die Tochter ist seit März im Homeoffice und sehr zurückhaltend in ihren Kontakten. Der Sohn allerdings studiert und lebt in einer großen WG. Er will deshalb schon deutlich vor dem Fest anreisen. "Wie auch für Schüler empfohlen, in eine Art Quarantäne", sagt die Mutter.
Psychologin: Gemeinsam Kompromisse finden
Mit Blick auf die Festtage rät die Kieler Psychologin Svenja Lüthge Familien dazu, gemeinsam Kompromisse finden. "Wenn mehrere aus der Familie Weihnachten zusammenkommen, der eine nicht so viel Kontakt haben möchte, der andere aber darauf besteht, dass auch die Eltern kommen: Dann müssen sie darüber sprechen." Die Feiertage unter Corona-Bedingungen markierten lediglich eine Übergangsphase mit wenig persönlichen Begegnungen oder Videokonferenzen. "Wir brauchen auch das Miteinander, das in den Arm nehmen", sagt sie. "Aber es wird ja wahrscheinlich im nächsten Jahr wieder anders sein. Und deswegen können wir das Ganze als Ausnahme betrachten."
So sieht es auch die frühere hannoversche Landesbischöfin Margot Käßmann, Mutter von vier erwachsenen Töchtern und siebenfache Großmutter. "Liebe und Geborgenheit können wir auch ausdrücken, wenn wir uns nicht unmittelbar sehen", betont sie. Käßmann plant, mit ihrer jüngsten Tochter Weihnachten an deren Wohnort Berlin zu feiern. "Wir gehen zum Gottesdienst, das ist mir wichtig. Essen und Bescheren finden dann bei ihr in der Wohnung statt. Und bestimmt telefonieren und zoomen wir mit allen anderen wie ich uns kenne." Üblicherweise versammle sich die Familie in ihrem Haus auf Usedom - nach dem Motto, wer kommen will, kommt. Das gehe diesmal nicht. "Das ist für 2020 in Ordnung - nächstes Jahr dann aber gern wieder anders."
Weniger Reiseverkehr zu Feiertagen erwartet
Auch Verkehrsprognosen für die Feiertage deuten darauf hin, dass viele auf klassische Weihnachtsbesuche verzichten werden. Laut ADAC ist davon auszugehen, dass es deutlich weniger Reiseverkehr zum Skifahren, aber auch bei Besuchsfahrten zu Verwandten geben wird. Die Deutsche Bahn verweist auf eine Umfrage, nach der sich insgesamt 60 Prozent weniger Menschen auf Reisen machen wollen, mit der Bahn oder anderen Verkehrsmitteln. Dennoch will die Bahn Sonderzüge einsetzen, um Reisenden möglichst viel Platz zu bieten. Im Fernverkehr empfehle sich überdies eine Reservierung, sagt eine Sprecherin.
Dagmar Schmidt ist noch unentschlossen, ob sie zum Heiligen Abend wie üblich in ihre Heimatstadt Wittingen bei Wolfsburg zu Onkel und Tante fährt. Beide seien Ende 80 und legten viel Wert auf ihren Besuch. "Meine Tendenz ist lieber wegbleiben. Aber dann wäre ich allein."
Zunehmende Infektionszahlen in Pflegeeinrichtungen befürchtet
Schmidt, die bei der Diakonie in Niedersachsen für Qualität in der Pflege zuständig ist, hat auch Einblicke in die Heime. Sie sorgt sich angesichts möglicherweise zunehmender Infektionszahlen. "Es gibt ja keinen Erzengel, der über Weihnachten seine schützende Hand hält", sagt die 62-Jährige. "Wir haben die Befürchtung, dass wir in den Pflegeeinrichtungen im Januar die Quittung bekommen."
Bei den Pütters sind noch viele Fragen offen. "Was passiert, wenn jemand Erkältungssymptome hat?", nennt Anette Pütter nur eine. "Normalerweise" ist ein Wort, dass sie momentan oft gebraucht. Normalerweise geht zumindest ein Teil der Familie in den Gottesdienst, normalerweise gibt es Raclette. "Ob alles auch in diesem Jahr so ist, weiß ich noch nicht. Es lässt sich ja schlecht vorausplanen."