DOMRADIO.DE: Wie erleben Sie den Alltag der Fernfahrer?
Norbert Junkkunz (Fernfahrerseelsorger Erzbistum Bamberg): Die Gesamtsituation ist durch die Situation in Dover offenbar geworden. Gerade in den Corona-Zeiten ist die Hygiene-Versogung an den Autobahnraststätten oder unterwegs kaum möglich. Das ist menschenunwürdig, wie da zum Teil gelebt werden muss.
Wenn ich mir einen Platz zum Schlafen suchen muss, dann fehlen in Deutschland 25.000 Parkplätze. Wenn ich schauen muss, wo ich duschen kann oder wo ich etwas zu essen herbekomme, dann ist das nicht ganz einfach für die Fahrerinnen und Fahrer, die jetzt unterwegs sind und uns versorgen.
DOMRADIO.DE: Deshalb sprechen Sie auch von prekären Arbeitsverhältnissen?
Junkkunz: Prekäre Arbeitsverhältnisse sind das natürlich, aber auch die Lohnsituation. Es herrscht so ein Konkurrenzdruck unter den Speditionen in der Branche, dass die ganze Last dieser Konkurrenz auf den Fahrern und deren Löhnen ausgetragen wird. Die sind in den letzten Jahren wirklich gesunken.
Durch die Öffnung nach Osteuropa hin und die mangelnden sozialen Absprachen, die die Politik hätte treffen müssen, ist ein großer Konkurrenzdruck auf die deutschen und westeuropäischen Firmen zugekommen.
DOMRADIO.DE: Jetzt kümmern Sie sich als Seelsorger genau um diese Fernfahrer im Erzbistum Bamberg. Was machen Sie da konkret?
Junkkunz: Der Kontakt ist ganz wichtig, die Kontaktarbeit. Deshalb suche ich überall die Orte auf, wo ich mit Fahrerinnen und Fahrern zusammenkommen kann. Das sind die Rastplätze, auch die einfachen, an denen es keine Versorgungsvorrichtungen, Duschen oder Klos gibt.
Oder auch Trucker-Festivals bei uns in Franken, auf denen man sich begegnet und sich immer wieder trifft. Ich veranstalte immer auch mit Gewerkschaft, Gewerbeaufsicht und Polizei Fernfahrer-Frühschoppen. Einmal im Jahr lade ich Fernfahrer mit ihren Frauen zu einem Wochenende ein.
DOMRADIO.DE: Wie reagieren denn die Fernfahrer, wenn Sie bei denen an der Lastwagen-Tür klopfen?
Junkkunz: Also erstmal sind sie überrascht, dass da jemand von der Kirche kommt. Aber wenn wir ihnen erklären, dass wir uns um ihre Situation kümmern, dass wir wissen wollen, wie es ihnen geht und dass wir versuchen, Lobbyarbeit für sie zu betreiben, dann öffnet das nicht nur die Tür, sondern auch das Herz.
So entstehen auch die Gespräche und der Kontakt zueinander. Die Wertschätzung, die ihnen entgegengebracht wird, die finden sie wirklich gut. Wertschätzung diesem Berufsstand gegenüber ist in unserer Gesellschaft Mangelware.
DOMRADIO.DE: Ihr Team hat einen Preis für Ihr Projekt "Lenkpause" bekommen. Was steckt dahinter?
Junkkunz: Das ist eine Gruppe aus dem Dekanat Hegau, die dort an der Autobahnraststätte und in der Autobahnkirche ökumenisch zusammenarbeitet und diese "Lenkpause" gestaltet: Kultur und Essen am Parkplatz für all die, die da an einem Wochenende gestrandet sind. Da geht es auch darum, Wertschätzung entgegenzubringen, den Dank auszudrücken. Das war der Grund für Diakonie und Caritas, dieses Engagement der Menschen im Hegau zu unterstützen.
Für uns war es wichtig, dass das Thema in die Öffentlichkeit kommt.
DOMRADIO.DE: Deswegen haben sie sich auch politisch engagiert und einen Brief an Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer und Bundesarbeitsminister Hubertus Heil geschrieben. Was fordern Sie denn da?
Junkkunz: Die Situation ist so, dass die Politik handeln muss. Der Konkurrenzdruck und der liberale Markt, der regelt es nicht. Er wird auf dem Rücken dieser Menschen ausgetragen. Zum Schutz dieser Menschen und ihrer Arbeitsbedingungen muss die Politik an der Stelle handeln. Es müssen Parkplätze her, dafür muss der Herr Scheuer sorgen.
Es müssen auch Arbeitsbedingungen her, die in Europa gleichberechtigt sind. Dafür braucht es einen Arbeitsminister, der dafür sorgt, dass die sozialen Richtlinien, die in Europa schon erlassen sind, auch in Deutschland umgesetzt werden. Dass es faire Arbeitsbedingungen, faire Löhne und soziale Arbeitsbedingungen und eine größere Gerechtigkeit gibt und der Druck von den Fahrern genommen wird, das ist eine ganz wichtige Forderung.
Das Interview führe Martin Mölder.