Schulseelsorgerin über Lerneffekte in der Corona-Pandemie

Wie bewältige ich eine Krise in einer Gemeinschaft?

Der Schulalltag wird durch die Corona-Einschränkungen erschwert. Die Schulseelsorge wird dadurch immer wichtiger. Doch eine Krise wie diese kann auch dabei helfen, Selbstvertrauen zu entwickeln, meint Seelsorgerin Sabine Lindemeyer.

Schüler im Unterricht / © Harald Oppitz (KNA)
Schüler im Unterricht / © Harald Oppitz ( KNA )

DOMRADIO.DE: Wie wird Ihre Arbeit zu Beginn des neuen Jahres aussehen?

Sabine Lindemeyer (Landespfarrerin, Schulseelsorge der Ev. Kirche im Rheinland): Die Schulseelsorgearbeit hat sich durch die Corona-Situation, die wir ja schon seit letztem März haben, ziemlich verändert. Wir stehen da in gewisser Weise auch an einem Wendepunkt, so wie der Unterricht auch. Es verändert sich auch die Schulseelsorge. Wir müssen uns einfach Neuem zuwenden und auch mit digitalen Medien arbeiten. Dennoch ist es ganz wichtig, auch in dieser Zeit und auch jetzt gerade, wenn wir alle erwarten, dass wir nicht am 11. Januar schon zum Präsenzunterricht für alle zurückkehren, dass der persönliche Kontakt erhalten bleibt. Dass das möglich gemacht wird, von Klassenlehrerin und Klassenlehrer, Schulseelsorgerinnen und Schulseelsorgern, auch den anderen, Schulsozialarbeit oder Vertrauenslehrern, dass sie Kontakt halten, zum Beispiel über Telefon, dass sie einfach mal anrufen und fragen: Wie geht es dir denn? Wir wissen einfach nicht, wie es den Schülerinnen und Schülern geht. Wir wissen auch nicht, wie es den Kolleginnen und Kollegen geht. Die sehen wir ja auch nicht. Aber der persönliche Kontakt ist sehr, sehr wichtig.

DOMRADIO.DE: Viele Schüler und auch Lehrer stehen ja fragend vor diesem Schuljahr 2021. Es kommen Fragen auf: Welche Bedeutung haben eigentlich die Noten, die ich bekomme? Was ist mein Abschluss überhaupt wert? Sind das auch Fragen und Sorgen, mit denen Sie konfrontiert werden?

Lindemeyer: Ja, natürlich. Da machen sich besonders die Abgänger berechtigte Sorgen. Schulseelsorge möchte immer auch vermitteln: Mensch, es geht hier darum eine Krise zu bewältigen. Das ist auch ein ganz, ganz wichtiges, elementares Lernen. Hier kann ich lernen, wie ich in einer Gemeinschaft eine Krise bewältige. Ich persönlich finde - und das ist auch die Meinung der Schulseelsorge: Das sollte eigentlich im Vordergrund stehen. Es ist, glaube ich, sehr, sehr wichtig, im Hinblick auf die Noten auch anzupassen und nicht die Maßstäbe anzulegen, die sonst gelten. Aber da sind sich eigentlich alle Lehrerinnen und Lehrer einig, dass wir da, was die Noten angeht, ein bisschen sanft, vorsichtig und nachsichtig sein müssen.

DOMRADIO.DE: Wenn Schulen wieder öffnen, wird es sicherlich Gesprächsbedarf in den Klassen und im Lehrerkollegium geben. Was wird dann Ihre Aufgabe sein?

Lindemeyer: Das ist natürlich dann wieder eine neue Situation. Das hatten wir ja schon mal nach den Sommerferien, als der Präsenzunterricht wieder gestartet ist. Da geht es darum, auch wieder zu fragen: Wie war es eigentlich, einfach mal anzuknüpfen an das, was gegeben ist, gewesen ist und Raum zu geben? Damit das auch ausgesprochen werden kann, dass Schülerinnen und Schüler das verarbeiten können, was die Krise mit ihnen auch gemacht hat. Denn in der Krise selber, in diesem Zustand kommt das ja oft gar nicht raus. Da ist man angespannt, da macht man dicht. In der Zeit danach entwickelt sich das dann häufig, sodass dann auch die Verarbeitung erfolgen kann. Und ich glaube, es ist sehr wichtig, gerade dann auch für Gespräche bereit zu stehen, Räume zu schaffen, Räume der Stille zu öffnen, Gesprächsangebote zu machen. Es ist eine Aufgabe, die Aufarbeitung dessen, was gewesen ist, aber auf der anderen Seite auch Zuversicht zu vermitteln, Verbindung wieder zu schaffen und Gemeinschaft zu stärken und Halt zu geben in der Schule. Das ist die andere Seite. Auch das ist wichtig. Diese beiden Pole wird es geben.

DOMRADIO.DE: Diese Corona-Zeit zeigt ja nun, wie wichtig Seelsorge sein kann. Welchen Effekt hat das für die Zukunft?

Lindemeyer: Ich glaube, dass sich an den Schulen, an denen es Schulseelsorge gibt und wo sievauch ausgeübt werden konnte, Einiges entfalten konnte. Lehrkräfte, Schüler und Schulleitungen haben dort auch festgestellt, wie wertvoll es ist, dass eine Schulseelsorge zum Beispiel Mutmachbriefe an die Schulgemeinschaft schreibt oder ein Tabet mit Angeboten zur Verfügung stellt . Dass Audio-Dateien, Podcasts oder Webseiten erstellt wurden mit Sprüchen und Ermutigungen. Wo das geschehen ist, glaube ich, wurde der Wert erkannt und wird die Schulseelsorge umso mehr wertgeschätzt. Ich glaube, das gibt der Schulseelsorge einen richtigen Schub. Hat es auch schon gegeben. Es gibt auch schon sehr viele positive Rückmeldungen in Schulen, was mir Schulseelsorgerinnen und -seelsorger zurückmelden, weil es einfach eine Möglichkeit ist, mit dieser Ohnmacht und mit diesem Verlassenheitsgefühl umgehen zu können. Immer dann, wenn es um existenzielle Fragen geht, ist die Seelsorge gefragt. Und es ist eine existenzielle Frage, vor der wir hier stehen. und die diese Pandemie aufwirtft. Deswegen ist Seelsorge hier sehr wichtig und gefragt. Und ich glaube, da wird die Schulseelsorge nochmal einen richigen Schub bekommen und erstarken. 

Das Interview führte Carsten Döpp.


Quelle:
DR