Ein paar Gitarrentöne, dann setzt eine prägnante, klare Stimme ein - mit prägnanten, klaren Worten: "We Shall Overcome" (dt. Wir werden (es) überwinden). Im August 1963 machte die Frau mit der hellen Stimme das Lied berühmt: Joan Baez sang es beim Marsch auf Washington, bei dem über 200.000 Menschen für Arbeit und Freiheit demonstrierten - und Martin Luther King die berühmte Rede "I Have a Dream" hielt. Sechs Jahre später - inzwischen das "Gewissen ihrer Generation" - führte Baez den Protestsong beim Woodstock-Festival auf. Im Januar wird die Künstlerin 80 Jahre alt.
Prägende Erfahrungen in jungen Jahren
Geboren 1941, machte Joan bereits als Kind prägende Erfahrungen, die ihr späteres Engagement für die Bürgerrechte oder gegen den Vietnamkrieg beförderten. Ihr Vater, ein Physiker, weigerte sich, für die Rüstungsindustrie zu arbeiten. Als Joan zehn Jahre alt war, lebte die Familie in Bagdad, wo sie die Armut der Bevölkerung aus nächster Nähe miterlebte. Zurück in den USA wurde sie als Tochter eines mexikanischen Einwanderers immer wieder beschimpft.
Als Teenager sang Joan auf dem Schulhof - und politisierte sich. 1956 hörte sie bei einem Quäker-Seminar eine Rede Kings. Ein Jahr später verweigerte sie in der Schule die Teilnahme an einer Luftschutzübung mit der Begründung, die Schutzräume seien unmöglich zu erreichen, wenn wirklich sowjetische Raketen im Anflug auf die Stadt seien. In den folgenden Jahren wurde die junge Frau radikaler, etwa in den 1960ern zahlte sie ihre Lohnsteuer aus Protest gegen den Vietnamkrieg auf ein Sperrkonto ein.
Eindrucksvolles Engagement
Protestmärsche und Benefizkonzerte, aber auch zahlreiche Reisen in Krisengebiete prägten Baez' Karriere. 1972 überlebte sie in der vietnamesischen Stadt Hanoi ein mehrtägiges Bombardement durch die Amerikaner. Ein traumatisches Erlebnis, das sie in einem Gedicht verarbeitete. Vom Reisen ließ sie sich nicht abhalten: Unter anderem besuchte sie Kambodscha und Bosnien-Herzegowina. In der Heimat trat sie in Krankenhäusern und Gefängnissen auf, demonstrierte für die Rechte von Homosexuellen und gründete eine Hilfsorganisation für vietnamesische Bootsflüchtlinge.
Baez' Engagement wirkt heute so eindrucksvoll wie ungewöhnlich. Sie selbst bezeichnet sich als Realistin. "Jeder auch nur kleine Sieg ist in der zurzeit angespannten Atmosphäre sehr wichtig", betonte sie in einem Interview. Zuletzt setzte sie sich etwa gegen ein verschärftes US-Einwanderungsgesetz ein.
"Botschafterin des Gewissens"
Heutige Protestformen sieht Baez mit Skepsis. "Es ist sehr leicht, mal eben einen Hashtag zu retweeten", sagt sie. "Aber um Veränderungen herbeizuführen, muss man oft Risiken eingehen." Aktionen in den Sozialen Medien dienten oft eher dazu, das eigene Gewissen zu beruhigen, so die Aktivistin, die von der Punkmusikerin Patti Smith einmal als moderne Jeanne d'Arc bezeichnet wurde.
Hinzu komme: "Man braucht erst mal ein Fundament, nennen Sie es: Haltung oder Wissen, bevor man Tausende oder Millionen anderer Menschen erreicht." Für ihre eigene Haltung wurde Baez von Amnesty International als "Botschafterin des Gewissens" ausgezeichnet. 2011 benannte die Menschenrechtsorganisation einen Preis nach ihr; im vergangenen Sommer erhielt sie den Woody-Gurthrie-Preis für ihr musikalisches Lebenswerk und ihr Engagement.
Musik mit starker Botschaft
So wie sie die Politik mit vollem Einsatz anging, ist auch Baez' Musik kaum als Hintergrundrauschen geeignet. Das gilt für die Aufnahmen von "We Shall Overcome" ebenso wie für ihr bekanntestes eigenes Stück, "Diamonds and Rust", das ihre unglückliche Liebe zum Sängerkollegen Bob Dylan thematisiert. "diamondsandrustpro" heißt auch ihr Youtube-Kanal, auf dem sie in Corona-Zeiten Songs hochlud - "for all the heroes" wie die Beschäftigten im Gesundheitssystem, im Einzelhandel oder auch Politiker, die schwere Entscheidungen zu treffen hätten.
Auch in Zukunft will sie die Dinge ganz oder gar nicht machen, wie die Sängerin einmal der Zeitung "Die Welt" sagte. "Der Tag wird kommen, an dem ich die Klänge, die aus meinem Hals kommen, selbst nicht mehr hören mag. Das wird's dann gewesen sein - mit der Singerei." Für Baez kein Grund zu verzagen: "Vielleicht fange ich dann mit Malen an."