Das Scharnier zwischen beiden Päpsten bildet der Amtsverzicht, kein anderer Akt hat das Papsttum in den vergangenen Jahrzehnten so geprägt wie die Entscheidung Benedikts XVI., zurückzutreten. Die Person tritt hinter das Amt zurück, ein neuer Papst wird gewählt, der bisherige geht in den Ruhestand.
Ende Januar ist Papst Franziskus nun länger im Amt, als es Benedikt war. Und wie Benedikt das Amt geprägt hatte, so ist es nun Franziskus, der ihm seinen ganz eigenen Stempel aufdrückt.
Teil einer Entwicklung
Die Unterschiede sind offensichtlich. So offensichtlich, dass es lohnt, zunächst einmal auf die Kontinuität hinzuweisen. Beide - Franziskus und Benedikt - sind in aller Verschiedenheit Teil einer längeren Entwicklung. Seitdem Papst Pius XII. zum ersten Mal in ein Mikrofon sprach, sind Schritt für Schritt viele der Attribute der "Priester-Könige" verschwunden. Päpste wurden nicht mehr getragen, die Pfauenfedern und einige päpstlichen Garden verschwanden, immer mehr menschliche Nähe wurde zugelassen. Zuletzt hatte Benedikt XVI. noch die Papst-Krone - die Tiara - aus dem Wappen verbannt und sie durch eine bischöfliche Mitra ersetzt. Insgesamt eine Entwicklung des Papstamtes, die Franziskus fortgesetzt und beschleunigt hat.
Dabei profitierte Papst Franziskus aber immer von der Rücktritts-Entscheidung. So wie diese rückwirkend die gesamte Amtszeit Benedikts prägt, so hat sie auch die Gleise für Franziskus gelegt. Auf einmal war vieles möglich, was vorher undenkbar schien und zum Teil bis heute im Vatikan auf Stirnrunzeln stößt. Wenn schon die scheinbar unauflösliche Verbindung von Person und Amt nicht mehr sakrosankt ist, dann ist auf einmal viel mehr möglich. Das nutzt Papst Franziskus bis heute, vor allem in seinen symbolischen Gesten.
Es ist nicht alles besser
Kontinuität gibt es aber auch im Negativen, das Pontifikat Franziskus ist mindestens so stark von Skandalen geprägt, wie das von Benedikt. Vom Umgang mit den schismatischen Piusbrüdern und dem Holocaust-Leugner Williamson bis hin zu Vatileaks hatte Benedikt immer wieder mit solchen Skandalen zu tun. Unter Franziskus sind sie wenn überhaupt noch lauter geworden, bei ihm ist es aber vor allem das Geld, das die Quelle immer neuer Desaster bildet.
Selbst der eingefleischteste Vatikanbeobachter wird heute Mühe haben genau sagen zu können, wo bei all den angefangenen, abgebrochenen und veränderten Reformen nun genau Kontrolle und Aufsicht liegen. Die gute Nachricht: das alles bleibt nicht mehr unter dem Teppich, sondern kommt an die Öffentlichkeit. Ob das aber nun dem Reformeifer oder vielmehr äußerem Druck geschuldet ist, bleibt dahin gestellt.
Der Vatikan braucht Reformen
Beiden Päpsten war und ist also ein Vatikan gemein, der dringend der Reform bedarf und mindestens in Verwaltungsdingen dysfunktional ist. Dass Franziskus' Bemühungen um einen grundlegenden Neuansatz nach all den Jahren immer noch nichts gebracht haben und das laut angekündigte und mit eigenem Kardinalsrat versehene "Grundgesetz" noch nicht in Sicht ist, wirft schon ein Licht auf den nächsten Papst, wann auch immer er sein Amt antreten wird.
Dieses Thema bleibt einem Nachfolger erhalten, die Reform des Vatikan bleibt eine Aufgabe. Weder Bendikt noch Franziskus haben das lösen können.
Bedeutende Unterschiede
Aber bei aller Kontinuität bleiben dann doch die Unterschiede zwischen beiden bedeutender und aussagekräftiger. Da ist zum einen der geänderte weltkirchliche Fokus. Vom Papstnamen angefangen war Joseph Ratzinger ein klassisch-europäischer Papst. Seine 24 Auslandsreisen waren bei aller kulturellen Begegnung auch immer Reibeflächen, etwa was Latein als liturgischer Sprache oder die Themen der Ansprachen anging. Franziskus war bislang 31 Mal im Ausland unterwegs - und das bei de facto einem Jahr weniger, weil Corona das gesamte Jahr 2020 blockiert hatte.
Bei ihm fehlen auf der Liste die klassischen Besuchs-Länder: Frankreich, Deutschland, Spanien, eben die prägenden europäischen Länder. Ähnliches sehen wir bei den Kardinals-Ernennungen. Gleich zu Beginn, im März 2013, hatte Franziskus sich einen "Papst vom Ende der Welt" genannt, diese Prägung und Perspektive ist ihm geblieben. Damit tritt Europa in der Wichtigkeit der Weltkirche, zumindest im Vatikan, weit zurück.
Auftreten und Inszenierung
Der sichtbarste Unterschied ist für jeden die Inszenierung. Der etwas schüchtern auftretende Benedikt XVI., gehüllt in Brokat und Hermelin, und der hemdsärmelige Franziskus, jegliche Distanz ignorierend und alles umarmend, nie den roten Schulterumhang oder andere traditionelle Papstgewänder tragend, bilden einen starken Kontrast. Franziskus geht einfach souveräner mit Symbol-Kommunikation um: er hat ohne, dass es weiter aufgefallen wäre, selbstverständlich die päpstlichen Symbole beibehalten, die heute noch "funktionieren", die also sein Amt verkörpern ohne seiner Absicht im Wege zu stehen.
So trägt er weiter das päpstliche Weiß als Soutane und nutzt das Papamobil auf dem Petersplatz als fahrbare Bühne. Benedikt XVI. war da unbeholfener, die Auswahl der Symbole, von Kreuzstab über liturgische Kleidung bis hin zum Nutzen des "Camauro", der roten hermelinbesetzten Mütze früherer Päpste, zeigte immer wieder deutlich, wie fremd ihm diese Form der direkten Kommunikation über Symbole letztlich war und ist.
Die große Gemeinsamkeit
Was uns in unseren Überlegungen wieder zurück führt zur vielleicht größten Gemeinsamkeit beider Päpste, überhaupt des Papstamtes: es bleibt auf eine Weise an den Träger gebunden, wie wenige andere Ämter auf der Welt. Die Persönlichkeit prägt das Amt. Das ist zum einen gewollt, der Titel lautet ja auch "Nachfolger Petri", jeder Papst muss also das Amt neu für sich erfinden und kann nicht einfach seinen Vorgänger fortsetzen. Zum anderen hängt so das Amt - unter Franziskus sicherlich noch stärker als unter Benedikt - von der Persönlichkeit ab. Das monarchisch-sakrale mag abgenommen haben, das monarchisch-kommunikative wird dabei aber stärker. Charisma, Authentizität und mediale Präsenz dominieren das Amt wie nie zuvor. Und die Art, wie es ausgeübt wird, trägt zu dieser Entwicklung bei.
Trotz seines hohen Alters und seiner Vorerkrankungen ist Papst Franziskus weder schwach noch amtsmüde, wir können also davon ausgehen, dass letztlich das aktuelle Pontifikat deutlich länger sein wird als des Papstes aus Bayern. Aber die Grundlinien werden sich nicht mehr ändern, in der Kontinuität ebensowenig wie in den Unterschieden.
Bernd Hagenkord SJ
Zum Autor: Der Jesuitenpater Bernd Hagenkord leitete von 2009 bis 2019 die deutschsprachige Abteilung von "Radio Vatikan". Er arbeitete sowohl unter Benedikt XVI. als auch Franziskus. Seit 2019 lebt er in München und ist im Moment geistlicher Begleiter des "Synodalen Weges".