DOMRADIO.DE: Markus Söder argumentiert ja mit der Masern-Impfpflicht. Impfen ist solidarisch, man hilft, die Pandemie zu beenden. Eigentlich ethisch sauber oder nicht?
Prof. Andreas Lob-Hüdepohl (Kath. Hochschule für Sozialwesen, Mitglied im deutschen Ethikrat): Solidarität durch Impfungen ist mit Sicherheit sauber. Wenn es eine Entscheidung ist, die jeder für sich selber trifft. Denn auch mit einer Impfung sind ganz gewöhnliche Risiken verbunden.
Bei der Masern-Schutzimpfung hat der Ethikrat für bestimmte Gruppen im Gesundheits, Bildungs und Sozialwesen eine berufsspezifische Impfpflicht befürwortet. Denn erstens: Masern-Schutzimpfungen sind eingeführt. langfristige Risiken weitestgehend ausgeschlossen. Das kann man derzeit mit Blick auf die Corona-Schutzimpfung noch nicht sagen.
Und zweitens, und das ist eigentlich das Hauptargument, was auch den Ethikrat bereits im letzten Herbst dazu verleitet hat zu sagen: Jetzt nicht eine solche Impfpflicht. Denn mit einer Impfung muss sich auch die Nichtinfektiösität verbinden. Das heißt, ich muss nicht nur selber immun sein, sondern ich darf das Virus auch nicht mehr weiter übertragen.
Das ist aber bedauerlicherweise derzeit noch nicht geklärt. Klar ist nur, ob man selbst geschützt ist. Insofern würde eine solche Impfpflicht, wenn man sie einführen wollte, hochgefährlich sein, weil es genau um dieses Wissen erst noch gehen muss.
DOMRADIO.DE: Jetzt könnte man ja auch so argumentieren: Der Staat kümmert sich in seiner Fürsorgepflicht ganz besonders um die Pflegerinnen und Pfleger. Es ist aber auch nicht das richtige Argument für Sie, oder?
Lob-Hüdepohl: Nein, überhaupt nicht. Denn das Wichtigste ist mit Verlaub die Priorisierungsgruppe der Hochaltrigen. Die haben ein vielfach erhöhtes Risiko, selber nicht nur das Virus zu bekommen. Das entscheidende Problem ist, dass über das Virus schwere und gar tödliche Verläufe stattfinden.
Und da sind natürlich die Hochaltrigen und die Bewohner von Altenheimen sehr gefährdet. Sie müssen geschützt werden. Die werden geschützt durch eine priorisierte Impfung. Das läuft jetzt an. DIe Pflegefachkräfte werden auch zu schützen sein, damit sie nicht ausfallen.
Deshalb haben sie eine zweite Priorität. Aber das erste, um der staatlichen Fürsorgepflicht nachzukommen, ist, dass die gefährdeten Gruppen zuerst geimpft werden. Und das läuft ja jetzt an.
Ansonsten muss der Staat sich darum kümmern, dass es eine breite Aufklärungskampagne gibt, damit Vorbehalte abgebaut werden können. Und zum jetzigen Zeitpunkt über eine Impfpflicht nachzudenken, halte ich persönlich eher für kontraproduktiv.
DOMRADIO.DE: Aber es ist ja nun mal der Wunsch des bayerischen Ministerpräsidenten, dass Sie als Ethikrat beraten sollen, welche Berufsgruppen für eine solche Impfung infrage kommen. Werden Sie ihn nicht einfach auf November verweisen und damit das Thema ad acta legen?
Lob-Hüdepohl: Wir haben im Rat darüber noch nicht gesprochen und ich bin nicht befugt, für den Rat als solches zu sprechen. Wir werden darüber sicherlich beraten, weil ja nicht nur Herr Söder darüber gesprochen hat, sondern weil es schon immer auch in der Diskussion des Ethikrat selbst war.
Eine Grundsatzpositionen haben wir formuliert, gemeinsam übrigens mit der Leopoldina und auch mit der Ständigen Impfkommission. Und wir werden jetzt sicherlich immer prüfen, ob die Vorbehalte, die wir damals schriftlich niedergelegt haben und auch der Bundesregierung übermittelt haben, ob die noch bestehen. Aus meiner Perspektive bestehen sie noch.
Aber wenn die Mehrheit des Rates sagt, nein, sie bestehe nicht mehr, dann können wir auf eine Stellungnahme des Ethikrates verweisen von 2019. Da haben wir die Kriterien für eine berufstspezifische Impfpflicht, etwa für Gesundheitswesen oder auch für Sozialwesen, festgelegt.
Und dann werden wir möglicherweise auch genauere Gruppen benennen können. Aber nach meinem Dafürhalten ist das jetzt nicht notwendig.
Das Gespräch führte Tobias Fricke.