Vertreter aus Religion und Politik gedenken der Opfer des Holocaust

Aufruf zu Erinnerung und Menschlichkeit

Am internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust haben Vertreter aus Religion und Politik zur Erinnerung, Wachsamkeit und Menschlichkeit aufgerufen. Papst Franziskus warnte vor neuem Hass und Gewalt.

Warnschild vor der Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau / © Hana Hanigerova (shutterstock)
Warnschild vor der Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau / © Hana Hanigerova ( shutterstock )

Zum Holocaust-Gedenktag an diesem Mittwoch hat Papst Franziskus davor gewarnt, dass sich Entwicklungen zu derartigem Hass und Gewalt wiederholen könnten. "Erinnern ist ein Ausdruck von Menschlichkeit und ein Zeichen von Zivilisation", sagte das Kirchenoberhaupt bei seiner wöchentlichen Videoansprache. Sich zu erinnern bedeute aber auch, "wachsam zu sein, weil diese Dinge ein weiteres Mal geschehen können", warnte der Papst.

Videobotschaft von Papst Franziskus / © Vatican Media/Romano Siciliani (KNA)
Videobotschaft von Papst Franziskus / © Vatican Media/Romano Siciliani ( KNA )

Etwa durch scheinbar gut gemeinte, ideologische Forderungen, die aber dann doch zur Zerstörung eines Volkes und der Menschlichkeit führen könnten. "Schaut euch an, wie sie damals angefangen hat, diese Straße des Todes, der Vernichtung Brutalität", mahnte Franziskus eindringlich. Am 27. Januar, dem Tag der Befreiung des NS-Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau, wird weltweit der Opfer des Nationalsozialismus gedacht.

Bischöfe: Trauer und Scham, weil viele schwiegen

Die katholischen Bischöfe in Deutschland fordern zum entschiedenen Einsatz gegen alle Formen des Antisemitismus auf. "Die Erinnerung an den Holocaust erfüllt mich mit tiefer Trauer, aber auch mit Scham, weil so viele damals schwiegen", schrieb der Vorsitzende der Bischofskonferenz, Bischof Georg Bätzing, auf Twitter und Facebook.

Er forderte zugleich alle Menschen auf, "gemeinsam antijüdischen Vorurteilen, Verschwörungsmythen und jeder Form des Hasses im Alltag, in der Schule oder im Freundeskreis" mutig zu widersprechen. Der "industrielle Mord an den Juden", habe am Ende eines Weges gestanden, "der mit Hassreden, Verschwörungsmythen und sozialer Ausgrenzung begann. Diesen Weg dürfen wir nie wieder beschreiten."

Zentralrat prangert Verunglimpfung von Schoah-Opfern an

Am internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust hat der Zentralrat der Juden in Deutschland eine Verunglimpfung und Instrumentalisierung der Opfer angeprangert. "Als die sowjetischen Soldaten vor 76 Jahren das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau befreiten, fanden sie Berge von Leichen und deren Überreste vor sowie wenige noch lebende Menschen, die bereits vom Tod gezeichnet waren. Was die Menschen in der Schoah erlitten haben, ist mit nichts zu vergleichen", erklärte am Mittwoch Zentralratspräsident Josef Schuster in Berlin.

Die jüdische Gemeinschaft sei "entsetzt und fassungslos" über das Verhalten vieler Menschen seit Beginn der Corona-Pandemie, die sich mit Opfern der Schoah gleichsetzten. "Diese Anmaßung und Respektlosigkeit ist für uns unerträglich", betonte Schuster. Es sei außerdem "zutiefst besorgniserregend", wenn Bürger ein großes Misstrauen gegenüber Politikern, demokratischen Institutionen und Medien zeigten und wenn eine "zunehmende Gleichgültigkeit gegenüber rechtsradikalen Positionen" zu beobachten sei. "Dieser Entwicklung müssen wir mit einem festen Zusammenhalt der Demokraten entgegensteuern."

Wenn Demonstranten nachgebildete gelbe "Judensterne" trügen, komme dies einer Relativierung des Holocausts gleich und sei damit volksverhetzend und strafbar, so Schuster. Polizei und Justiz sollten solche Vorfälle konsequenter ahnden. "Wir brauchen diese Signale des Staates auch, um die demokratische Zivilgesellschaft zu stärken. Das sind wir den Opfern der Schoah schuldig."

Schäuble: Antisemitismus ist beschämend

Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble beschämen hemmungsloser und gewaltbereiter Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit in Deutschland. "Es ist niederschmetternd, eingestehen zu müssen: Unsere Erinnerungskultur schützt nicht vor einer dreisten Umdeutung oder sogar Leugnung der Geschichte. Sie schützt auch nicht vor neuen Formen des Rassismus und des Antisemitismus, wie sie sich auf Schulhöfen, in Internetforen oder Verschwörungstheorien verbreiten", sagte Schäuble bei der Gedenkstunde für die Opfer des Nationalsozialismus am Mittwoch im Bundestag.

An der Gedenkfeier nahmen auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, Bundesratspräsident Reiner Haseloff, Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sowie der Präsident des Bundesverfassungsgerichts Stephan Harbarth teil. Hauptrednerinnen waren die ehemalige Präsidentin des Zentralrats der Juden, Charlotte Knobloch, und die Publizistin Marina Weisband.

Holocaust-Gedenktag - Wolfgang Schäuble (CDU), Bundestagspräsident, spricht im Deutschen Bundestag / © Michael Kappeler (dpa)
Holocaust-Gedenktag - Wolfgang Schäuble (CDU), Bundestagspräsident, spricht im Deutschen Bundestag / © Michael Kappeler ( dpa )

Das jüdische Leben in Deutschland bestehe in seiner Vielfalt seit 1.700 Jahren, erinnerte Schäuble. Doch die Nationalsozialisten hätten den Antisemitismus in nie Dagewesenes gesteigert: Sie hätten den Juden das Mensch-Sein abgesprochen. Danach schien jüdisches Leben in Deutschland unmöglich. Und doch gebe es heute wieder ein vielfältiges deutsch-jüdisches Leben. "Ein unglaubliches Glück für unser Land, das wir uns immer wieder neu verdienen müssen. Wir verdanken es auch den vielen jüdischen Zuwanderern, die sich bewusst für Deutschland entschieden haben", sagte Schäuble.

Der Bundestagspräsident betonte die Verantwortung aller, jüdisches Leben zu schützen. "Wir müssen die Formen des Erinnerns erneuern. Unsere kollektive Verantwortung bleibt. Sie schließt auch nachfolgende Generationen ein".

Die Gedenkstunde, die 1996 vom damaligen Bundespräsidenten Roman Herzog initiiert und wie der Internationale Holocaust-Gedenktag auf den Tag der Befreiung des KZ Auschwitz gelegt wurde, stand in diesem Jahr auch unter dem Zeichen des Jubiläumsjahres "321 - 2021: 1.700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland". Hierfür wurde nach der Gedenkstunde die restaurierte Thorarolle der einstigen jüdischen Gemeinde von Sulzbach von 1793 im Andachtsraum des Bundestags durch Hinzufügung eines letzten Buchstabens vollendet.

Rabbiner warnen vor Antisemitismus und Populismus

Der Präsident der Konferenz der Europäischen Rabbiner, Oberrabbiner Pinchas Goldschmidt, erinnerte anlässlich einer Gedenkveranstaltung des EU-Parlaments an seine ungarischen Urgroßeltern Jacob und Mariam Schwartz, die 1944 in Auschwitz-Birkenau ermordet worden waren. Auch gedachte er der Gerechten unter den Völkern, die bei der Rettung von Verfolgten ihr Leben riskierten.

Der Oberrabbiner von Moskau kritisierte, dass immer mehr Länder dabei seien, Restriktionen gegen die jüdische Gemeinschaft in Europa zu erlassen und damit die Glaubensfreiheit zu beschneiden, die Juden in Europa seit weit über einem Jahrtausend genössen. Als Beispiele nannte er das Verbot rituellen Schlachtens in Teilen Belgiens und eine aufflammende Beschneidungsdebatte in Skandinavien.

Darüber hinaus hätten eine "Welle des islamisch-fundamentalistischen Terrors" und "unkontrollierte Einwanderungswellen" Europa bis in den Kern erschüttert, sagte Goldschmidt. Herausforderungen seien auch die Corona-Epidemie sowie Antisemitismus und Populismus. Wenn Juden weiter in Europa bleiben sollten, dann müsse Religionsfreiheit sichergestellt sein - so wie in Deutschland und Österreich.

Auschwitz und der Holocaust-Gedenktag

Jeweils am 27. Januar wird weltweit der Opfer des Holocaust gedacht. Das Datum erinnert an die Befreiung der überlebenden Häftlinge des größten NS-Konzentrationslagers Auschwitz durch sowjetische Truppen am 27. Januar 1945. Seit 1996 gedenken die Deutschen an diesem Tag der Millionen Opfer des Völkermords. Im November 2005 verabschiedete auch die Vollversammlung der Vereinten Nationen eine Resolution, die den 27. Januar zum weltweiten Gedenktag macht.

Zaun in Auschwitz-Birkenau / © Markus Nowak (KNA)
Zaun in Auschwitz-Birkenau / © Markus Nowak ( KNA )
Quelle:
KNA