Kölner Klinikseelsorgerin spendet Trost trotz Infektionsgefahr

"An der Tür eines Covid 19-Patienten drehe ich nicht um"

Einsam sterben auf der Corona-Station – das fürchten viele, deren Angehörige mit schweren Verläufen um ihr Leben kämpfen. Doch für die Krankenhäuser der Cellitinnen gelte das nicht, betont Anne Kruse. "Im Gegenteil. Wir sind trotzdem da."

Anne Kruse ist Krankenhausseelsorgerin im Köln-Ehrenfelder St. Franziskus-Hospital / © Beatrice Tomasetti (DR)
Anne Kruse ist Krankenhausseelsorgerin im Köln-Ehrenfelder St. Franziskus-Hospital / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Anne Kruse hat keine Angst. "Ich bin vorsichtig und fühle mich gut geschützt", erklärt die 61-Jährige entschieden. Alle zwei Wochen wird die katholische Krankenhausseelsorgerin im Kölner St. Franziskus-Hospital auf das tückische Virus getestet, demnächst auch dagegen geimpft. Jedenfalls sobald sie an der Reihe ist. Solange unterschätzt Kruse keineswegs die Infektionsgefahr. Aber sie beherzigt eben auch alles, was geltende Vorschrift ist und das persönliche Risiko einer Ansteckung minimiert.

Dazu gehört, dass sie vor Betreten eines Patientenzimmers auf der Corona-Station in die entsprechende Schutzkleidung mit Maske, Haube und Overall schlüpft, dann auf Abstand bleibt und jeden Körperkontakt vermeidet, der eine Virus-Übertragung möglich machen könnte. "Das ist in der Summe nicht immer einfach, zumal mich die Patienten hinter diesen vielen Schutzschichten kaum erkennen und auch kein Lächeln hinter dem Mund-Nasenschutz wahrnehmen können, aber es ermöglicht eben die persönliche Begegnung." Und die ist Kruse und ihrem Team nun mal ein Anliegen: der Dreh- und Angelpunkt von Zuwendung, Fürsorge und Stärkung. Eben wesentlicher Bestandteil von Pastoral. "Von Anfang an war uns wichtig, dass wir als Krankenhausseelsorger an Bord bleiben, auch wenn wir seit Ausbruch der Pandemie lernen mussten, umzudenken und uns auf die verbale Kommunikation zu beschränken." 

Corona-Thema belastet alle Bereiche des Krankenhausbetriebs

"Der Mensch in guten Händen." Das offizielle Motto der Stiftung der Cellitinnen zur hl. Maria, in deren Trägerschaft sich auch das St. Franziskus-Hospital in Köln-Ehrenfeld befindet und in dem Kruse seit über sieben Jahren tätig ist, leitet dabei die studierte Theologin und ausgebildete Pastoralreferentin, die zusätzliche Qualifikationen als Krankenhausseelsorgerin, Trauerberaterin, Psychoonkologin und Supervisorin hat. Außerdem gehört sie als Klinikseelsorgerin zum Ethikteam, das ethische Fragestellungen im Krankenhaus aufgreift und in sogenannten Fallbesprechungen die Entscheidungsträger bei medizinisch-ethischen Kontroversen unterstützt.

Das wäre beispielsweise bei einer Triage, also einer Priorisierung medizinischer Hilfeleistung bei unzureichenden Ressourcen, der Fall, für die das Ethik-Komitee der Hospitalvereinigung, dem Kruse ebenfalls angehört, angesichts der öffentlichen Diskussion um mögliche Versorgungsengpässe auf Intensivstationen eine Handlungsempfehlung erstellt hat. "Bisher musste diese Gott sei Dank nicht angewandt werden, weil unser Gesundheitssystem einfach noch gut funktioniert und wir alle stationären Patienten – auch auf der Intensivstation – ausreichend versorgen können", erläutert Kruse. 

Selbst ohne derartig existenzielle Entscheidungen sei der Dienst unter Pandemie-Bedingungen schon herausfordernd genug, meint sie. Das Dauerthema Corona belaste nun mal alle Bereiche eines Krankenhausbetriebs, von denen nur eines die immer wieder kritisierten Kontaktbeschränkungen seien. "Natürlich ist es für niemanden einfach, den Ehemann oder die betagte Mutter an der Krankenhauspforte abzugeben und selbst vor der Tür zu bleiben, aber die Patienten und Angehörigen zeigen viel Verständnis für die Besuchsverbote und wissen, dass solche Vorkehrungen nur dem Schutz aller dienen."

Kruse: Den einsamen Tod im Krankenhaus gibt es bei uns nicht

Trotzdem sei das Personal sehr bemüht, gerade älteren Patienten, die sich mit dem Alleinsein in ihrem Krankenbett schwer täten, die Kontaktaufnahme nach Hause via Telefon oder per Skype zu ermöglichen und dabei jede denkbare technische Hilfestellung zu geben. Auch sie selbst, berichtet Kruse, habe bei ihren Rundgängen über die Stationen schon mal ein Handy aufgeladen oder fernmündlich Grüße ausgerichtet, wenn sich ein allzu besorgter Anrufer meldet und eine direkte Telefonverbindung zwischen Angehörigem und Patient nicht zustande kommen kann. "Wir haben alle unsere Patienten im Blick." Dabei sei für sie als Seelsorgerin die gute Verbindung zum Ärzte- und Pflegepersonal ganz entscheidend. "So erfahre ich, wo gerade der meiste Bedarf an Trost, Ermutigung oder Stärkung besteht, und richte mich mit meinen Besuchen danach."

Außerdem gebe es jederzeit für höhergradig dementiell erkrankte oder psychisch sehr belastete Patienten Ausnahmen bei den Besuchsregelungen. Ebenso für Kinder, die ihre Eltern brauchten, oder für Sterbende. Selbstverständlich werde niemand allein gelassen. "Den einsamen Tod im Krankenhaus – den gibt es bei uns nicht", weist Anne Kruse mit Entschiedenheit zurück. Die Isolation von Menschen in der finalen Phase ihres Lebens habe es auch im ersten Lockdown schon nicht gegeben. Selbstverständlich sollten die Angehörigen einem Sterbenden auf seinem letzten Weg nahe sein, von ihm persönlich Abschied nehmen dürfen. "Auch als Seelsorgerin lasse ich niemanden in diesen schweren Stunden allein. Sterbende begleiten und Trauernde trösten – das gehört doch zum Kernauftrag von Kirche und zu meinem persönlichen Selbstverständnis."

"Ich will jedem vermitteln: Du bist nicht allein"

Natürlich stelle auch für sie Sterbebegleitung unter Corona-Bedingungen eine besondere Herausforderung dar. "Ich muss zwei Meter Abstand nehmen und darf keine Hand halten, auch wenn mir danach ist und ich weiß, dass das in diesem Augenblick ein wichtiges Zeichen wäre, um Nähe zu signalisieren", sagt Kruse. Gerade für Menschen, die niemanden mehr hätten und sich vielleicht nach einer solchen Geste in der Stunde ihres Todes sehnten, täte ihr das besonders weh. Und dann gelte es auch schon mal abzuwägen. 

"Schließlich will ich jedem Kranken vermitteln: Du bist nicht allein – nicht im Leben und auch nicht im Sterben. Gemeinsam mit dir halte ich jetzt aus, was gerade dran ist – und wenn es das Schwerste ist." Nach solchen Tagen besonders aufwühlender Begegnungen macht Anne Kruse auf dem Nachhauseweg oft noch einen Schlenker über die Krankenhauskapelle. "Dann hole ich mir alle ins Gedächtnis, die mir während meines Dienstes begegnet sind, mit denen ich gebetet oder die ich gesegnet habe."

Jede Krankheit bedeutet eine Krise

Auch unabhängig von einer ansteckenden oder tödlichen Erkrankung geht es der Seelsorgerin immer darum, für die Patienten da zu sein – selbst wenn oft die Worte fehlen oder ein Gespräch nicht möglich ist. Tumor-Patienten hätten Angst davor, ob und wie es weitergehe. Mit anderen bearbeite sie die Frage nach dem Sinn ihrer Krankheit, sagt sie. Und wieder andere lehnten religiöse Gespräche rundherum ab. "Mit Kirche habe ich nichts zu tun." Nicht selten wird die Theologin gleich an der Türschwelle mit einer solchen Abwehrhaltung konfrontiert. Doch selbst dann könne sich oft noch ein für den Patienten wertvolles Gespräch ergeben, weiß Kruse aus Erfahrung. "Auch Menschen, die sich nicht der Kirche zugehörig fühlen, nutzen die Gelegenheit zu einem Austausch. Denn jede Krankheit bedeutet eine Krise, und der Gesprächsbedarf ist immer groß." Dann sei jemand, der Zeit mitbringt, ganz wichtig. 

"Als Seelsorgerin bin ich ein Angebot, das man annehmen oder ablehnen kann. Ich eröffne einen Raum, Gefühle ins Wort zu bringen, und komme mit der absichtslosen Bereitschaft, gemeinsam mit dem Patienten auf seine Ressourcen zu schauen. Nur weil er krank, vielleicht schwerstkrank ist, bedeutet das ja nicht, dass mit einem Mal alles weg ist, was ihn bisher ausgemacht hat. Vielmehr ist mir immer der wertschätzende, würdevolle und aufmerksame Umgang auf Augenhöhe ganz wichtig." Und das völlig unabhängig davon, ob jemand muslimischen, jüdischen oder christlichen Glaubens ist. "Da mache ich keinen Unterschied."

Nicht alle hätten mit Religion oder Kirche positive Erfahrungen gemacht. Bei anderen könne sie wiederum genau da ansetzen. Doch in den meisten Fällen gehe es um Krisenbewältigung, so Kruse, und darum, "dass ich einfach nur da bin". Was im Übrigen genauso die Angehörigen betreffe, die ja oft auch jemanden zum Reden oder Zuhören brauchten. "Dann bin ich in Reichweite", sagt sie.

Tägliche Gratwanderung zwischen Nähe und Social distancing

Grundsätzlich habe die Pandemie noch einmal die Wichtigkeit und Systemrelevanz von Krankenhausseelsorge gezeigt, betont Kruse. Und dass sie unverzichtbarer, integrativer und anerkannter Teil eines interdisziplinären Teams bei der ganzheitlichen Behandlung von Patienten sei. Aber darüber hinaus auch von enormer Bedeutung für die Angehörigen und Mitarbeitenden. "Denn auch Pflegekräfte brauchen einen Ort, um offen über ihre Sorgen und Belastungen sprechen zu können."

Die Gratwanderung zwischen Anteilnahme und emotionaler Nähe auf der einen sowie Social Distancing auf der anderen sei täglich neu eine Herausforderung – gerade auch bei Corona-Patienten. Doch die Klinikseelsorgerin sieht keine Alternative. "Trotz Corona – wir müssen zu diesen Menschen hingehen. Wenn mich jemand braucht, will ich da sein und meine Unterstützung anbieten." Im Franziskus-Hospital wird die Humanität nicht dem Infektionsschutz untergeordnet. Anne Kruse betont: "Auch an der Tür eines Covid-19-Patienten drehe ich nicht um. Da gerade nicht." 

Beatrice Tomasetti


Quelle:
DR