DOMRADIO.DE: Seit den Regionalforen ist ein halbes Jahr vergangen. Nun tagt der Synodale Weg bis Freitag online. Was ist in der Zwischenzeit hinter den Kulissen inhaltlich passiert?
Dr. Wolfgang Picken (Bonner Stadtdechant): Gerade in den Foren wird diskutiert. Die Texte, die heute und morgen vorgelegt werden, sind in den Foren entstanden. Allerdings kann man sich vorstellen, dass die sehr komplizierten Diskussionen, in denen die Mitglieder der Foren involviert sind, sich auch unter den Corona-Rahmenbedingungen darstellt, weil sich vieles einfach über Videokonferenzen auch nur sehr schlecht besprechen und abgleichen lässt.
Da braucht man eigentlich das Face-to-Face. Man muss sich auch irgendwie langsam mal selber und persönlich untereinander kennenlernen. Das ist wirklich ein schwieriger Diskussionsprozess. Aber auf jeden Fall haben die Foren und Arbeitsgruppen ihre Arbeit fortgeführt.
DOMRADIO.DE: In der Öffentlichkeit wird die Missbrauchsaufarbeitung viel diskutiert. Wird das auf die Beratungen heute und morgen Auswirkungen haben?
Picken: Ich kann das selber nur der Tagesordnung entnehmen. In der Tagesordnung ist das der erste große Tagesordnungspunkt, nämlich eine Auseinandersetzung mit der gegenwärtigen Lage. Das liegt ja auch nahe. Zum einen ist die Missbrauchsstudie der Ausgangspunkt des Synodalen Weges und zum anderen ist ja im letzten Jahr durchaus viel passiert durch die Aufklärung in einigen Diözesen, auch durch die Skandalisierung dieser Entwicklungen.
Das hat Auswirkungen auf die deutsche Kirche. Und damit muss es auch auf einem Synodalen Weg angesprochen werden.
DOMRADIO.DE: Bei DOMRADIO.DE sagte Schwester Margareta Gruber, die Beraterin des Synodalen Weges ist, die Weihe der Frau zur Diakonin sei eine Frage der Zeit. Sehen Sie das auch so, dass es nur eine Frage der Zeit ist?
Picken: Ja, ich weiß nicht, ob das klug ist, sich so prophetisch auszudrücken. Ich glaube, das ist mehr als eine Frage der Zeit. Das braucht ganz viele Diskussionen und die Diskussionen sollten vielleicht auch mal innerhalb der Kirche in die Richtung gehen, nicht nur Vorhandenes zu verändern, sondern möglicherweise auch mal etwas ganz Neues zu schaffen.
Wir haben hier gegenwärtig den Zusammenhang der drei Weiheämter aufzubrechen. Das wird wahnsinnige Energien kosten, ist theologisch auch nicht einfach, auch wenn man natürlich diese Zielvorgabe gut verstehen kann. Aber warum nicht ein neues Amt schaffen, das Frauen offensteht und das ohne Weiteres auch genutzt werden kann, das man auch mit Macht und Kompetenz ausstatten kann, statt immer nur all dem hinterherzulaufen und darin dann die Glückseligkeit zu sehen?
Also, ich bin mir nicht so sicher, ob das wirklich funktioniert. Ich würde mir wünschen, man wäre noch viel kreativer und würde wirklich auch für Innovationen in der Kirche sorgen.
DOMRADIO.DE: Sie waren bestimmt schon kreativ, oder? Haben Sie Namen für das neue Amt?
Picken: Selbst das Wort Diakonie ist ja schon wirklich schwierig. Wir können das alle irgendwie noch nachvollziehen, die wir Theologie studiert haben und Griechisch lernen mussten. Aber ob das allein schon das Wort ist, das heute als wichtige Schnittstelle zur Gesellschaft verstanden wird? Wir wollen Diakonin sein oder Diakon? Weiß ich nicht. Kann das nicht präziser sein? Kann das nicht noch viel deutlicher formuliert werden, was darin zum Ausdruck kommt? Sozialbeauftragte? Ach, was weiß ich.
Ich will diesen diesen kreativen Prozess auch nicht vorwegnehmen. Aber ich habe an vielen Stellen den Eindruck, wir sind viel zu schnell. Ich kann natürlich den Druck verstehen, den viele mit Blick auf Reformentwicklungen verspüren. Aber das erlebe ich auch im Forum Eins. Wir brauchen mehr Zeit, um über die Grundlagen zu reden. Das muss nach meinem Dafürhalten ausgewogener, das muss gründlicher passieren.
Wenn wir im Forum Eins "Macht und Partizipation", dem ich angehöre, und von dem wahrscheinlich ganz viele Reformimpulse ausgehen sollen und man das auch erwartet, über Grundsatzfragen diskutiert, dann braucht es Geduld. Fragen danach, ob und wo es das Weiheamt braucht, innerhalb weniger Minuten zu diskutieren und diese auch zu Entscheidungen zu führen, ist dann im Ergebnis nicht so, dass man davon ausgehen kann, dass das auf Fels gebaut ist. Vielmehr ist das extrem wackelig.
Mit solchen Thesen kommen wir weltweit in der Kirche nicht wirklich vorwärts. Also braucht es sehr grundlegende, sehr gründliche Überlegungen. Und ich denke, dass wir uns an vielen Stellen auch gut daran tun, dass wir nicht versuchen, einfach nur alte Bastionen zu stürmen, sondern auch irgendwie neu und kreativ unterwegs zu sein.
DOMRADIO.DE: Ein bisschen Druck besteht auch, weil schon in rund einem Jahr der Synodale Weg abgeschlossen sein soll, zumindest laut Fahrplan. Wird es dabei bleiben? Oder denken Sie, es steht eine Verlängerung an, aufgrund der Pandemie oder aufgrund verhärteter Fronten?
Picken: Ich glaube, wenn eine Kirche wirklich modern sein will, dann muss sie die Situation, in der wir stehen, verarbeiten. Und jedem ist klar: Wir können gegenwärtig Diskussionen, die wirklich auf zwischenmenschlichen Dialog angewiesen sind, nicht im Schweinsgalopp in Corona-Zeiten durchtreiben. Von daher kann es für meine Begriffe auch überhaupt keine Debatte darüber geben, dass dieser Prozess verlängert werden muss. An vielen Stellen muss er auch demokratisiert werden.
Wir haben ein Präsidium im Synodalen Weg, indem nur Mitglieder des ZdK (Zentralkomitee der deutschen Katholiken, Anm. d. Red.) und der Bischofskonferenz sitzen. Da die Mehrheit der Synodalen nicht einer der beiden Gruppen angehört, hat sie gar keine Chance, sich in diesem System des Synodalen Weges so zu äußern, dass das zu Entscheidungen im Präsidium beiträgt. Das muss nach meinem Dafürhalten viel durchlässiger werden.
Beispielsweise hat die Mehrheit der Delegierten gesagt, sie wünschen keine digitalen Großformate, wie wir das jetzt, heute und morgen, erleben. Und ein Präsidium setzt sich über eine solche Entscheidung hinweg. Das sind alles Dinge, die ich unbefriedigend finde.
Zudem muss ein zeitlicher Druck raus. Wir müssen sehen, dass Corona andere Rahmenbedingungen setzt. Und es tut einer grundsätzlichen Debatte in der Kirche einfach auch gut, wenn sie sich Zeit für Grundlegendes nimmt und auch für guten Dialog zwischen Menschen. Das geht nicht so, wie wir es gegenwärtig unter Corona-Bedingungen erleben.
Das Interview führte Tobias Fricke.