Mahnende Worte zum Tag gegen weibliche Genitalverstümmelung

"Eine sehr gewaltvolle Erfahrung"

Der "Internationale Tag gegen weibliche Genitalverstümmelung" will auf ein Thema aufmerksam machen, das gefühlt weit weg ist. Aber auch in Deutschland sind Frauen betroffen, erklärt Birgit Wetter-Kürten von der "esperanza"-Schwangerschaftsberatung.

Rasierklinge / © bg_knight (shutterstock)

DOMRADIO.DE: Eine Studie spricht von 66.000 in Deutschland lebenden Frauen und Mädchen, die betroffen sind. Vielleicht fangen wir mal mit der Frage an, welchen Sinn und Zweck so eine Beschneidung denn überhaupt hat. Was steckt da dahinter?

Birgit Wetter-Kürten (Beraterin bei der Schwangerschaftsberatungsstelle "esperanza" des Sozialdiensts katholischer Frauen Köln): Grundsätzlich hat eine weibliche Genitalverstümmelung natürlich keinen Sinn und keinen wirklichen Zweck.

Es gibt viele verschiedene Erklärungsansätze dafür, die teilweise zu finden sind in der Begründung, dass die weibliche Sexualität kontrolliert wird, dass es gesellschaftliche, kulturelle Jahrtausende, alte Traditionen gibt, die dieses grausame Ritual erklären oder begründen.

Aber einen eine einheitliche Erklärung gibt es nicht, weil die Gründe, die die Gesellschaften äußern, die das pflegen, sehr und sehr unterschiedlich sind.

DOMRADIO.DE: Welche Auswirkungen hat so eine Beschneidung auf die Frauen?

Wetter-Kürten: Eine Beschneidung kann ganz unterschiedliche Auswirkungen haben. Grundsätzlich kann man sagen, dass es im Leben der Mädchen und Frauen auf jeden Fall eine sehr gewaltvolle Erfahrung ist. Das ist bei jeder Form der Beschneidung so. Es gibt verschiedene Typen der Beschneidung. Alle bedeuten aber einen gewaltsamen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit.

DOMRADIO.DE: Begegnet Ihnen dieses Problem ganz konkret auch bei Ihrer Arbeit? Haben Sie mit diesen Mädchen und Frauen direkt zu tun?

Wetter-Kürten: Ja, durch die weltweiten Migrationsbewegungen sind mittlerweile auch viele Frauen in Deutschland, die hier leben, die von weiblicher Beschneidung betroffen sind. Diese Frauen gehen zu Ärzten, in Beratungsstellen, sie sind in unserer Gesellschaft und deswegen natürlich auch bei uns in der Schwangerenberatung. Deswegen ist das Thema auf jeden Fall bei uns angekommen.

DOMRADIO.DE: Das heißt aber auch: Diese Genitalverstümmelung findet bei uns in Deutschland statt: Oder findet das statt, wenn ausländische Familien zum Beispiel in den Urlaub reisen und wieder für eine bestimmte Zeit in ihren Herkunftsländern sind?

Wetter-Kürten: Genitalverstümmelung ist in Deutschland seit 2013 explizit per Gesetz verboten, auch wenn Mädchen, die hier leben, im Ausland beschnitten werden. Dass das trotzdem passiert, das berichten Organisationen – vor allem, wenn Familien in ihre Herkunftsländer reisen.

DOMRADIO.DE: Die Bundesfamilienministerin Giffey hat nun einen Schutzbrief veröffentlicht für diese Familien, die in ihre Heimat fahren. Was steckt dahinter?

Wetter-Kürten: Das soll die Familien darin unterstützen, zu sagen: Wir dürfen das nicht. Wir wollen unsere Töchter auch nicht mehr beschneiden lassen. Und hier haben wir ein Papier, was sagt: Das ist verboten in Deutschland und wir können rechtlich belangt werden..

DOMRADIO.DE: Ich muss sagen, wenn ich mir das vorstelle: Ich wäre zum Beispiel Mutter einer Tochter und wäre selbst beschnitten worden. Ich würde doch niemals wollen, dass das meinem Kind angetan wird. Warum passiert das trotzdem?

Wetter-Kürten: Für viele Frauen, die das auch sehr gewaltsam und schrecklich erlebt haben, gehört das zur Normalität in der Gesellschaft. Und dadurch, dass die Frauen woanders leben, hört ja nicht unbedingt die Verbindung zur Familie oder gegebenenfalls der Druck der Familie auf diese alte Tradition auf.

Da braucht es eben auch Unterstützung von uns hier in Deutschland, dass diese Frauen sich auch durchsetzen können und dass das nicht mehr passiert mit ihren Töchtern. Da kann man einiges tun. Vor allen Dingen kann man eben diese die betroffenen Frauen gut beraten und begleiten, dass sie erst einmal auch ihre Rechte kennen und etwas für sich tun können, für ihre Gesundheit, für ihre Sicherheit in der Schwangerschaft und bei der Geburt.

Darüber informieren wir und vermitteln auch an Fachstellen weiter. Und wir schulen auch Fachleute, dass die einfach auch mehr den Blick in diese Richtung lenken und Frauen und Mädchen schützen und unterstützen können.

Das Interview führte Verena Tröster.


Quelle:
DR