Der Hochschullehrer und Franziskaner-Ordensmann Johannes Freyer ist nicht in allen Punkten mit Papst Franziskus zufrieden. "Beim Thema Armut sicherlich"; das könne man weltweit sehen "und an dem, was Papst Franziskus in Rom für die Armen tut", sagte Freyer im Interview der "Süddeutschen Zeitung" (Freitag). Der Papst sei ja schon als Erzbischof von Buenos Aires mehr in den Slums zu finden gewesen.
Franziskus berufe sich allerdings auch auf den heiligen Franz von Assisi, so der Franziskaner; "und mit diesem Namen verbindet sich auch der Gedanke eines alternativen Kirchenbildes, einer Kirche der Geschwisterlichkeit". Papst Franziskus habe schon als Erzbischof ein konservatives und wenig geschwisterliches Kirchenbild vertreten, sagte Freyer; "sowohl was die Zusammenarbeit von Klerikern und Laien angeht als auch von Männern und Frauen in der Kirche". Das habe sich "leider nicht geändert".
Freyer: Kirche verliert Glaubwürdigkeit
Wenn der Papst über Armut predige und der frühere Kurienkardinal Giovanni Angelo Becciu gleichzeitig Geld des Heiligen Stuhls in London Immobilien investiert habe, verliere die Amtskirche Glaubwürdigkeit. Aber, so Freyer, "Kirche ist nicht nur das, was von oben kommt, sondern überall dort, wo sich Menschen im christlichen Glauben zusammenfinden und auch versuchen, alternativ zu leben oder ein alternatives Kirchenbild aufzubauen".
Der 67-Jährige, der vor seinem Eintritt bei den Franziskanern als Banker arbeitete, lehrt normalerweise im Frühjahr an der University of San Diego in Kalifornien Systematische Theologie. Wegen der Corona-Pandemie unterrichtet er derzeit von Bonn-Bad Godesberg aus per Videokonferenz.
Freyer verwies auf einen langjährigen Aktienfonds, der von der Missionszentrale der Franziskaner initiiert wurde. Es gehe dabei darum, die vorhandenen Instrumente der Marktwirtschaft sinnvoll zu nutzen. "Mit unseren Terrassisi-Fonds investieren wir nicht nur am Kapitalmarkt, wir investieren in die Zukunft von Menschen", sagte der Ordensmann. Die Anleger profitierten nicht nur von der in den vergangenen Jahren positiven Wertentwicklung der Fonds.
Gleichzeitig täten sie etwas Gutes, so Freyer. "Ein großer Teil der Verwaltungsvergütung des Fonds, die normalerweise an die Kapitalanlagegesellschaft geht, wird in Hilfsprojekte investiert." Aus den Erlösen sei etwa zuletzt Pandemie-Nothilfe für eine Sauerstoffmaschine an ein Franziskaner-Krankenhaus am Amazonas geflossen. Andere Unterstützungen erhielten ein Programm gegen Frauenhandel in Indien, der Aufbau einer Solaranlage für eine Gesundheitsstation in Tansania oder eine Gemeinde im Kongo für den Brunnenbau.
Wirtschaft als säkulare Religion
Der frühere Banker sieht in der Wirtschaft eine säkulare Religion. Das religiöse Bedürfnis des Menschen lasse sich durch ein religiöses Leben im eigentlichen Sinne sättigen - oder eben auch in einer Ersatzreligion.
Große Einkaufs- und Freizeitzentren etwa seien wie Wallfahrtsorte - oder die New Yorker Börse der "Tempel eines wirtschaftlich verfassten religiösen Lebensstils". Menschen brauchten Wallfahrtsorte, so der Ordensmann: "Das kann das Fußballstadion sein, das kann so ein Freizeitpark sein, das kann aber auch ein klassischer Wallfahrtsort sein wie Altötting."
Der 67-jährige Freyer lehrt normalerweise im Frühjahr an der University of San Diego in Kalifornien Systematische Theologie. Wegen der Corona-Pandemie unterrichtet er derzeit von Bonn-Bad Godesberg aus per Videokonferenz.
Freyer berichtet im Interview auch von seiner Zeit als Banker. Durch den Kontakt zu den Franziskanern habe er damals mehr über das einfache Leben und das Prinzip der Solidarität des heiligen Franziskus erfahren. Ihm sei klar geworden, dass die Werte und Menschenbilder nicht zusammenpassten. In der Bank sei es "immer nur um Geld und Besitz" gegangen. Doch wenn die Menschen getrieben seien, "immer mehr haben zu wollen", sei "irgendwann der Punkt erreicht, da verliert man seine Freiheit" und werde vom Besitz versklavt. Etwa an der Börse "treibt das Geld die Menschen vor sich her", so der Ordensmann.
Der Franziskaner kritisierte, das Weltbild des Westens sei zu stark auf den Menschen ausgerichtet. "Der Mensch ist der Bauchnabel, von dem aus alles geschieht"; die Umwelt habe dem Menschen zu dienen. Dem Klimawandel könne man nur begegnen, indem man dieses Weltbild in Teilen "hinter uns lassen, auch um zukünftigen Generationen eine Chance zu geben, auf dieser Erde gut leben zu können". Die Franziskaner sprächen "nicht von Umwelt, sondern von Mitwelt". Der Mensch sei, so die mittelalterliche Theologie, "nur ein Tier unter anderen Tieren, wenn auch mit einer besonderen Begabung, der Seele".
Finanzielle Geschwisterlichkeit im Orden
Der Hochschullehrer will sich über seinen eigenen geringen finanziellen Spielraum als Ordensmann nicht ärgern. Dass sein Professorengehalt der Orden erhält und er nichts von dem Geld hat, sei genau das, was ihn am franziskanischen Leben fasziniere. "Dieser Gedanke der Geschwisterlichkeit. Wir teilen unser Leben miteinander und eben auch die Einkünfte."
Es habe auch Zeiten gegeben, wo er auf Kosten seiner Mitbrüder gelebt und nichts verdient habe, während Promotion und Habilitation. Nun sei es anders herum, so Freyer: "Durch meine Einkünfte und die anderer Mitbrüder ist das Auskommen unserer alten Mitbrüder gesichert."
Der Franziskaner berichtet, die Brüder bekämen ein sogenanntes Verfügungsgeld von 150 Euro im Monat. Hinzu komme ein Reisebudget für Privatreisen von 600 Euro im Jahr. Dienstreisen könne er abrechnen. Auf die Frage, ob er sich von dem Verfügungsgeld auch zehn Flaschen Rotwein kaufen könne, sagte er: "Theoretisch ja, aber nur, wenn ich die mit meinen drei Mitbrüdern in meiner Bonner Wohngemeinschaft teile."
Wenn er wirklich etwas vermisst habe, "dann vielleicht die eine oder andere größere Reise", so Freyer; dafür sei das private Reisebudget mit 600 Euro zu knapp. Allerdings sei er als Rektor der päpstlichen Universität des Ordens mit Niederlassungen in vielen Ländern "ganz gut herumgekommen" und habe "die halbe Welt gesehen".