DOMRADIO.DE: Wenn der Mars-Rover Perseverance wirklich Leben entdecken würde, was hieße das für unseren christlichen Glauben?
Dr. Christian Weidemann (Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für philosophisch-theologische Grenzfragen, Ruhr-Universität Bochum): Das kommt sehr auf die Details an, die er findet. Eine wichtige Unterscheidung, die man machen muss, wenn er Leben findet, ist, ob dieses Leben einen gemeinsamen Ursprung hat mit dem Leben auf der Erde. Es könnte ja sein, dass sich das Leben mit Meteoriten im Sonnensystem verteilt hat. Wenn das der Fall wäre, würde das gar nichts bedeuten, philosophisch oder theologisch.
Interessant wird es, falls man Leben fände, dessen Ursprung vom Ursprung des Lebens auf der Erde unabhängig ist. Dann könnte man nämlich "mit gewisser Unsicherheit" darauf schließen, dass Leben im Universum relativ weit verbreitet ist. Die Verbreitung von Leben als solchem ist theologisch auch noch relativ unverdächtig. Man hätte dann vielleicht eine Erklärung, warum das Universum so groß ist.
Wenn es überall Leben gibt, kann man sagen, Gott hat vielleicht gewollt, dass es ein sehr vielfältiges Leben gibt, das sich im Universum verteilt. Aber man hätte auch ein Argument dafür, dass auch intelligentes Leben im Universum verbreiteter ist. Intelligentes Leben wirft theologisch eine Reihe von Problemen auf.
DOMRADIO.DE: Warum?
Weidemann: Das Hauptproblem für das Christentum ist sicherlich, dass anderes intelligentes Leben uns in vielerlei Hinsicht sehr ähnelt: Das tut es in einer entscheidenden Hinsicht besonders, nämlich der Sünde. Es gibt wenig Grund anzunehmen, dass - wenn es anderes intelligentes Leben gibt - es sich dabei nicht auch um Sünder handelt. Und wenn es sich um Sünder handelt, dann ist dieses Leben auch erlösungsbedürftig. Dann haben wir das Problem, dass nach christlicher Vorstellung Jesus Christus für die gesamte "Welt" gestorben ist.
Im Johannes-Evangelium heißt es, glaube ich, Gott hat Jesus gesandt, um die Welt, wörtlich den "Kosmos" zu retten. Aber wenn der Kosmos eng besiedelt ist, wäre es sehr unwahrscheinlich, dass das Heil des gesamten Kosmos von der Erde ausgeht.
Das wäre eine extreme Form von Geozentrismus, den haben wir ja eigentlich schon nach Kopernikus geglaubt überwunden zu haben. Da war der Geozentrismus räumlich. Jetzt kommt durch die Hintertür ein, wie die Theologen sagen, "Heils-Geozentrismus" wieder ins Spiel. Und der ist eigentlich genauso unplausibel wie der räumliche Geozentrismus.
DOMRADIO.DE: Nun wäre das ja nicht das erste Mal in der Weltgeschichte, dass sich unser Wissens- und Erfahrungshorizont erweitert. Wir haben andere Kontinente entdeckt. In der Bibel sprechen wir im Alten Testament vor allem von den Israeliten, die das erwählte Volk Gottes sind. Könnte man da eine Analogie finden zur Situation, dass man auch mit Blick auf Leben auf dem Mars in größeren Dimensionen denken müsste?
Weidemann: Es gibt sicher zwei Analogien. Das eine ist, dass es in der in der Religionsgeschichte eine Tendenz zum "Heils-Universalismus" gibt, dass die Götter nicht mehr lokal sind, sondern für die gesamte Welt zuständig sind.
Das andere ist die Frage: Was ist mit dem Heil von Menschen, die nie von Jesus erfahren haben und zwar ohne eigene Schuld? Also entweder, weil sie zu früh gelebt haben oder weil sie an zu entfernen Stellen der Erde gelebt haben. Was ist mit der Erlösung von diesen Menschen?
Da hat die Kirche sich ja auch schon bewegt. Das heißt, dass die Kenntnis der Heiligen Schrift oder die Kenntnis des Lebens Jesu Christi wird nicht für das individuelle Heil als notwendig erachtet. Da hat man dogmatisch schon Justierungen vorgenommen. Man müsste ähnliche, vielleicht aber noch radikalere Justierungen vornehmen, wenn man tatsächlich intelligentes Leben im Universum fände, oder zumindest falls man gute Anhaltspunkte hätte, dass es sehr, sehr weit verbreitet ist im Universum.
Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.