Papst Johannes Paul II. und die Befreiungstheologie

Ein wunder Punkt des Pontifikats

Theologen wurden gemaßregelt, eine ganze Bischofsriege in den Senkel gestellt und ausgetauscht. Die linke Befreiungstheologie war nichts für den Papst aus dem kommunistischen Polen. Ihr Anliegen freilich verstand er gut.

Autor/in:
Alexander Brüggemann
Papst Johannes Paul II. im Jahr 1987 / © N.N. (KNA)
Papst Johannes Paul II. im Jahr 1987 / © N.N. ( KNA )

Die Befreiungstheologie aus Lateinamerika gehört für viele zu den wunden Punkten der langen Amtszeit von Papst Johannes Paul II. (1978-2005). Den Untergang des Kommunismus in seiner Heimat Polen und im gesamten Ostblock hat er tatkräftig befördert, ja mitbewirkt. Als Antikommunist, dessen Steckenpferd das christliche Menschenbild war, reagierte er jedoch geradezu allergisch auf jedwede christliche Annäherung an den Marxismus.

In Lateinamerika stand die katholische Kirche bis weit in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts häufig auf Seiten der Mächtigen, stützte Despoten und Diktatoren. In den 60er Jahren entstand dann zunächst in sogenannten Basisgemeinden Brasiliens eine Gegenbewegung. Sie wollte der "Stimme der Armen" Gehör verschaffen und wandte sich gegen Entrechtung und Unterdrückung.

Neupositionierung von unten

Dieser Neupositionierung von unten schlossen sich die Bischöfe Lateinamerikas bei ihren Vollversammlungen 1968 in Medellin und 1979 in Puebla an. Mit päpstlicher Zustimmung wurde die "Option für die Armen" zum Programm. Doch unter Johannes Paul II. kritisierte der Vatikan nun, dass bestimmte Vertreter der sogenannten Befreiungstheologie in ihrer Gesellschaftsanalyse auch marxistische Deutungsmuster gebrauchten und einige wenige sogar zur Revolution aufriefen. Wurde hier der Theologe zum marxistischen Politologen, zum Werkzeug für den Klassenkampf?

Mit einem Dekret der römischen Glaubenskongregation vom August 1984 wollte die vom späteren Papst Benedikt XVI. und damaligen Kurienkardinal Joseph Ratzinger geleitete Vatikanbehörde die lateinamerikanischen Theologen in die Schranken weisen. Offenbar fürchtete Johannes Paul II., der Papst aus Polen, einen marxistischen Einfluss auf die Ortskirchen in Mittel- und Südamerika.

In der Instruktion heißt es, dass die Befreiungstheologie "schwerwiegend vom Glauben der Kirche abweicht, mehr noch, dessen praktische Leugnung bedeutet". Die Bibel werde auf ihre politische Botschaft verkürzt, dem Tod Christi eine "ausschließlich politische Deutung" gegeben, die Eucharistie "zur Feier des Volkes in seinem Kampf".

Anleihen an den Marxismus

Ratzinger machte viele Anleihen an den Marxismus aus. Zugleich schränkte er ein, dass er nicht jene verurteilen wolle, die sich im Geist des Evangeliums um die Armen kümmerten. Trotzdem begann eine polemische Debatte. Das lag zu einem guten Teil daran, dass das Vatikanpapier weder Ross noch Reiter nannte und so einen Generalverdacht nährte. Theologen sprachen damals von einem römischen Albtraum, den es in Wirklichkeit nicht gebe. So geißelte die Instruktion etwa die marxistischen Systeme als "Schande unserer Zeit".

Im Hintergrund des Konflikts stand eine tiefe kulturelle Kluft: Den Lateinamerikanern ging es darum, Theologie "mit dem Gesicht zur Welt" (Johann Baptist Metz) zu machen. Und dazu gehörte, aus soziologischer und politischer Sicht die Frage nach den Wurzeln von Gewalt und Ungerechtigkeit zu stellen - nicht aber dem Gesellschaftssystem der damaligen Sowjetunion und ihrer Trabantenstaaten zu huldigen.

Dieser Position konnte der Papst aus Polen, der die Folgen der repressiven Politik im Ostblock jahrzehntelang am eigenen Leib erlebt hatte, nicht folgen - und machte vielfach kurzen Prozess: Theologen und Priester wie Clodovis Boff, der theologisch bedeutsamere, aber weniger bekannte Bruder von Leonardo Boff, Antonio Moser und der später von Papst Franziskus rehabilitierte Priesterdichter Ernesto Cardenal wurden mit Lehr- und Schreibverboten belegt oder suspendiert.

Dennoch breiteten sich Denkmuster der Befreiungstheologie auch nach Afrika und Asien aus. 1986 veröffentlichte der Vatikan ein weiteres Papier zur Befreiungstheologie - eine Art Wiedergutmachungsversuch.

Ausdrücklich wurden nun deren Anliegen gewürdigt und eine positive Sicht des katholischen Freiheitsverständnisses entfaltet. Johannes Paul II. nannte die Befreiungstheologie nun "nützlich und notwendig".

Der Papst fremdelte

Dennoch fremdelte Karl Wojtyla weiter mit dem Kurs der Kirche in Lateinamerika. Seine Erfahrung aus der polnischen Untergrundkirche war, so der Papstbiograf Matthias Drobinski: "Wir sind nur dann stark und dann gut, wenn wir zusammenstehen; wenn zwischen uns keine Lücke entsteht." Innerkirchliche Diskussionen betrachtete der Papst als unangebracht, ja sogar als Bedrohung.

So etablierte Johannes Paul II. in Lateinamerika aus seinem Verständnis von Einheit heraus eine neue Bischofsgeneration. In Brasilien, aber auch in anderen Ländern wurden betont konservative Charaktere eingesetzt: etwa die Opus-Dei-Männer Juan Luis Cipriani Thorne in Lima/Peru oder Fernando Saenz Lacalle in San Salvador, letzterer als Nachfolger der 1980 ermordeten Ikone Oscar Romero. Der Kolumbianer Dario Castrillon Hoyos wurde Generalsekretär und später Präsident des Lateinamerikanischen Bischofsrates CELAM.

Die Freiburger Theologieprofessorin Ursula Nothelle-Wildfeuer betont, der Papst aus Polen habe eine "Theologie der Menschenrechte" verfolgt. Deren Verwirklichung sei für ihn der "Prüfstein für die Glaubwürdigkeit der kirchlichen Verkündigung überhaupt" gewesen. Bei aller Auseinandersetzung um die Befreiungstheologie sei es Johannes Paul II. gewesen, der die Formel der "Option der Kirche für die Armen" am Ende hoffähig gemacht habe. Auch hier gilt wohl, was Drobinski als Merkmal des gesamten Wojtyla-Pontifikates sieht: Johannes Paul II. sei "Revolutionär und Reaktionär zugleich" gewesen.


Quelle:
KNA
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