DOMRADIO.DE: Das Bild und die Vorstellung davon, wie es nach dem Tod weitergeht, haben sich im Laufe der Jahrhunderte ja immer mal wieder ein bisschen geändert. Weiß man denn etwas darüber, was zum Beispiel die Juden zur Zeit Jesu gedacht haben, was nach dem Tod kommt?
Prof. Dr. Perry Schmidt-Leukel (Exzellenzcluster "Politik und Religion" der Universität Münster): Vereinfacht gesagt gab es im Grunde genommen drei unterschiedliche Vorstellungen. Zum einen die sehr alte Vorstellung, die in die Frühphase des Alten Testaments zurückgeht, nämlich dass man mit dem Tod in ein Schattenreich, mehr oder weniger in ein Nichts verschwindet.
Zum anderen die Vorstellung, dass Gott durchaus die Macht hat, Menschen aus dem Tod wieder neu zum Leben zu erwecken. Das war zur Zeit Jesu eine sehr umstrittene Vorstellung. Es war keineswegs Allgemeingut.
Und drittens gab es die aus der griechischen Kultur stammende Idee der unsterblichen Seele, sodass beim Tod eigentlich nur der Leib stirbt, aber die Seele dann sofort in ein jenseitiges Schicksal geht.
DOMRADIO.DE: Also das heißt, die Auferstehung war kein Tabubruch für die Jüdinnen und Juden zu der Zeit?
Schmidt-Leukel: Es war kein Allgemeingut und die frühe Christenheit war ja eine jüdische Gruppierung. Sie vertrat den Glauben an diese Auferweckung der Toten am Ende der Zeiten. Aber der Sonderfall bei Jesus war eben, dass einer nicht erst am Ende der Zeit, sondern schon jetzt von den Toten auferweckt wurde durch Gott. Und zwar als eine göttliche Bestätigung dafür, dass Jesus kein Gotteslästerer gewesen ist, sondern richtig von Gott gepredigt hatte.
DOMRADIO.DE: Gibt es denn etwas, was diese Jenseitsvorstellungen der drei großen monotheistischen Religionen, also der jüdischen, christlichen und islamischen Tradition heute gemeinsam haben?
Schmidt-Leukel: Sehr viel. Zum einen ist es so, dass wir in all diesen drei Religionen die beiden Grundkonzepte zum einen der unsterblichen Seele, zum anderen des Gedankens der Auferweckung der Toten finden und es eine ganze Reihe unterschiedlicher Versuche gibt, sie einander zuzuordnen, miteinander zu verbinden.
Was wir auch in diesen drei Religionen finden, ist die Vorstellung von einem zweigleisigen Schicksal. Das heißt also, nach dem Lauf der endgültigen Auferweckung der Toten oder auch schon beim Tod geht die Seele oder der Mensch entweder in den Himmel, in eine beglückende, zeitlose Gotteserfahrung oder der Mensch geht in die Hölle, eben den Ort der Gottesferne.
Auseinandersetzungen gab und gibt es in allen drei Religionen über die Frage, ob diese Hölle dann als etwas Ewiges zu verstehen ist, wovon man nicht mehr wieder erlöst werden kann oder ob dann doch die Barmherzigkeit Gottes siegt und letztlich keiner ewig verdammt bleibt.
DOMRADIO.DE: Würden Sie denn sagen, dass auch unsere multireligiöse Welt, in der wir heute leben, die Vorstellung vom Leben nach dem Tod beeinflusst?
Schmidt-Leukel: Ja, unbedingt. Und zwar ist das gar nichts Neues. In der Religionsgeschichte können wir sehen, dass jede große religiöse Tradition durch Einflüsse entstanden ist, diese wiederum von anderen Religionen und auch in ihrer weiteren Entwicklung von anderen Kulturen in sich aufgenommen hat. Das heißt, keine Religion ist homogen. Religionen sind wandelbare und vielschichtige Traditionen.
Und das intensiviert sich heute natürlich. Denn heute ist die Begegnung mit anderen Religionen und das Wissen um andere Religionen bei jedem Einzelnen unvergleichlich viel stärker, als es früher der Fall war. Und so finden wir, um nur ein Beispiel zu nennen, das heute laut Umfragen etwa um die 20 Prozent von Christen an Reinkarnationen glauben, und zwar an Wiedergeburt in einem deutlich von östlichen Religionen beeinflussten Sinn. Man muss sich dessen bewusst sein, dass es den Glauben an Seelenwanderung in Randströmungen des Christentums immer schon gegeben hat, weil das ein Gedanke war, der sich durch die Idee der unsterblichen Seele nahelegte.
Das Interview führte Verena Tröster.