DOMRADIO.DE: Wer sind denn die Patienten und Patientinnen dieser rollenden Praxis?
Martin Weber (Leiter des Arztmobils): Wir haben in Berlin nicht nur das Arztmobil, sondern auch die Caritas-Ambulanz und die Caritas-Krankenwohnung. Diese drei Projekte überschneiden sich sehr stark. Alle Patienten, die wir behandeln werden in allen drei Einrichtungen gleichmäßig behandelt.
Unsere Patienten sind in erster Linie Menschen aus anderen Ländern der EU zum Beispiel aus Osteuropa. Es sind auch Menschen ohne Papiere, Asylsuchende und Menschen ohne Krankenversicherung oder auch mit Beitragsschulden, also die sich die Krankenversicherung nicht mehr leisten können.
DOMRADIO.DE: Was sind das für gesundheitliche Probleme mit denen die Leute zu Ihnen kommen?
Weber: Das ist ganz unterschiedlich. Wir haben eine große Zahl von chronischen Erkrankungen wie Diabetes oder Herzkreislauferkrankungen, Hypertonien. Was wir zunehmend feststellen ist, dass auch sehr viele Menschen an psychischen Erkrankungen leiden, die wir relativ schwierig behandeln können. Ein großer Teil sind auch chronische Wunderkrankungen. Aufgrund von mangelnder Hygiene oder Heroinabszessen öffnen sich die Beine und es entstehen große Wunden, die lange behandelt werden müssen.
DOMRADIO.DE: Das heißt, Sie sind nicht nur für akute Behandlungen da, sondern Sie betreuen die Menschen auch durchaus für einen längeren Zeitraum.
Weber: Das ist richtig. Viele unserer Patienten sind bei uns angebunden, also ähnlich wie in einer normalen Arztpraxis. Die kommen dann über Jahre schon zu uns und werden dementsprechend dann auch behandelt. Wir haben natürlich auch sehr viele akute Erkrankungen, die dann behandelt werden müssen wie zum Beispiel Wunden, ein Schnupfen oder andere alltägliche Dinge. Die behandeln wir natürlich mit.
DOMRADIO.DE: So ist das auch normalerweise. Jetzt kommt noch die Coronakrise oben drauf. Wie hat sich das auf Ihre Arbeit ausgewirkt?
Weber: Diese Frage ist relativ schwierig zu beantworten, um ehrlich zu sein. Die Coronakrise hat erstmal unsere Angebote wirklich an die Leistungsgrenze gebracht, weil wir durch die neuen Bedingungen erst einmal anders arbeiten mussten, mit Masken und Hygieneschutz. Das mussten wir alles von heute auf morgen ändern und konnten dementsprechend gleichzeitig weniger Patienten behandeln, weil die Räumlichkeiten oder das Arztmobil relativ klein sind.
Teilweise mussten wir Menschen auch draußen behandeln. Im Winter war und ist das ziemlich schwierig. Es ist ja immer noch kalt in Berlin. Was das für die Menschen bedeutet kann man sich kaum vorstellen. Für sie ist die momentane Situation eine doppelte Belastung. Sie können sich nicht in häusliche Quarantäne begeben und haben keinen Zugang zum regulären Gesundheitssystem.
Das heißt wenn jemand der obdachlos ist positiv getestet wird, haben wir die Verpflichtung ihn beim Gesundheitsamt zu melden. Von dort bekommen wir dann eine Rückmeldung was wir mit dem Patienten machen sollen. Wenn die uns sagen, dass er sich in häusliche Quarantäne begeben soll wird es schwierig. Wo soll jemand, der kein Haus hat dann hin? Das sind die alltäglichen Probleme, mit denen wir jeden Tag konfrontiert sind.
DOMRADIO.DE: Umso wichtiger wäre natürlich auch impfen. Seit gestern impfen Hausärzte gegen Corona. Bekommen Sie Impfdosen für Ihre Patienten und Patientinnen?
Weber: Eigentlich hätten wir welche bekommen sollen. Das hat sich ein bisschen verschoben, weil der AstraZeneca-Impfstoff jetzt nur noch für Menschen über 60 Jahre in Deutschland zugelassen ist und den hätten wir eigentlich auch für unsere Patienten bekommen . Das verzögert sich jetzt, bis es da eine neue Strategie gibt. Wir hoffen natürlich, dass wir bald unsere Patienten impfen können, aber im Moment gibt es da noch keine sinnvolle Lösung.
DOMRADIO.DE: In einem so reichen Land wie Deutschland klafft gerade beim Thema Gesundheit die soziale Schere ganz weit auseinander. Was müsste am dringendsten passieren, damit sich das langfristig ändert?
Weber: Wir hier in Berlin oder auch ähnliche Projekte der Caritas und in ganz Deutschland ersetzen letztendlich das Gesundheitssystem für Menschen, die keinen Zugang haben. Eigentlich müsste das Gesundheitssystem auch für Menschen ohne Krankenversicherung oder für Menschen aus anderen EU-Ländern, die sich schon sehr lange in Deutschland aufhalten, geöffnet werden. Gesetzliche Hürden müssten abgebaut werden.
Es ist sehr schwierig eine Krankenversicherung zu erhalten oder im Gesundheitssystem in die Regelversorgung wieder reinzukommen. Diese Hürden müssten abgebaut werden und im Moment ist es sehr schwierig diese Hürden zu übersteigen, gerade wenn man Sprachprobleme hat oder gar nicht der Deutschen Sprache mächtig ist. Die bürokratischen Hürden sind einfach zu hoch.
Das Interview führte Hilde Regeniter.