In der Pfarrkirche Sankt Georg in Sursee ist es an diesem Tag sehr still. Im Gottesdienst läuten die Totenglocken fünf Minuten lang. Zum Gedenken an Hans Küng. In dieser Kirche wurde er getauft, er ging hier zur Erstkommunion und Firmung. Und hier feierte er auch seine Primiz.
Unter den Besuchern in der Kirche ist auch Hans Ambühl, Mitglied im Rat der Stiftung Weltethos Schweiz. Wenn er als Kind mit seinen Eltern zum Neujahrsgottesdienst hierherkam und Küng predigte, habe man früh aufstehen müssen. "Von Küngs Predigten hat man sich immer etwas versprochen", so Ambühl.
Im Pfarrhaus gegenüber redet eine kleine Runde darüber, was ihnen Hans Küng bedeutet hat. Anton Kaufmann kannte den Theologen von Kindesbeinen an; sein Onkel Franz Xaver Kaufmann war Stadtpfarrer von Sursee und Küngs "geistlicher Vater". "Die beiden hatten eine sehr enge Beziehung; auch geprägt durch die gemeinsame Zeit in der Jungwacht", sagt Anton Kaufmann. Oft war er dabei, wenn Küng am Pfarrhaustisch von seinen Reisen oder seinen Erlebnissen als Professor erzählte.
Küng trat nicht aus der Kirche aus
Vielen wäre es recht gewesen, wenn der unbequeme Theologe aus der Kirche ausgetreten wäre. "Aber diese Kirche ist es ihm wert gewesen", sagt Kaufmann, der Küng als Vorbild für das eigene Verhalten sieht: "klar, konsequent und offen für andere".
Josef Mahnig, leitender Priester im Pastoralraum Region Sursee, kam mit Küng im Gymnasium erstmals auf Tuchfühlung durch das Buch "Was ist Kirche?", das er mitgebracht hat. Er habe immer auf seinen Hoffnungsträger geblickt: "Wenn du in dieser Kirche bleiben kannst - dann kann ich es auch." Als dem Theologen 1979 die Lehrerlaubnis entzogen wurde, habe ihn das persönlich getroffen. "Es gab in meiner Predigt daraufhin von mir ein ziemliches Donnerwetter darüber", erinnert er sich.
Mit am Tisch sitzt auch Stadtpräsidentin Sabine Beck-Pflugshaupt.
"Die Verbundenheit der Surseer mit Hans Küng war stets spürbar und präsent", sagt sie. "Seine unglaubliche Schaffenskraft und sein wertvolles Wirken für Ethik und Weltfrieden haben in Sursee prägende Spuren hinterlassen." Die Stadt werde ihren Ehrenbürger in wertschätzender Erinnerung behalten.
Viele Erinnerungen an Hans Küng
Egal, mit wem man an diesem Tag über Küng spricht; für die meisten war er auch als Typ eine Erscheinung. Ein drahtiger Mann mit festem Händedruck und offenem Blick; das von Lachfalten durchzogene Gesicht meist sonnengebräunt.
Eine Gehminute von der Kirche entfernt liegt sein Elternhaus, das Schuhhaus Küng, das viele Jahre von seiner Familie geführt wurde. Im ersten Stock war sein Zimmer. An der Außenmauer eine große Muttergottes. Kaplan Gerold Beck erinnert sich an Gastfreundschaft und Geselligkeit im Hause Küng. Zu Fasnacht sei die ganze Familie verkleidet durch die Straßen von Sursee gezogen.
Das zweite Haus, das hier für Hans Küng wichtig war, liegt idyllisch direkt am Sempachersee. "Es war für ihn ein Kraftort", so der Kaplan.
Hier verbrachte Küng regelmäßig im Sommer einige Zeit. "Eigentlich waren das seine Ferien; aber er war auch hier ein unglaublich produktiver Mensch", sagt Ambühl. Küng habe eine extreme Energie, Arbeitskraft und Disziplin gehabt. "Sonst hätte er wohl all das in seinem Leben nicht erreichen können."
Der Theologe hielt sich fit. "Er ging morgens in aller Herrgottsfrüh schwimmen, dann setzte er sich wieder an seinen Arbeitstisch", erzählt Ambühl. Um 17.00 Uhr sei er dann jeweils bereit gewesen, Leute zu treffen. "Oft hat Hans Küng hier große Gesellschaften zum Gespräch und geselligem Beisammensein empfangen", berichtet Ambühl.
Küngs Ideen nach wie vor aktuell
Bei den Gesprächen heute geht es auch um Fragen wie: Wie präsent sind Küngs Gedanken bei den jungen Theologen von heute? Josef Mahnig glaubt, dass seine Reformanliegen bei ihnen keine allzu große Rolle mehr spielen. "Etliche Reformanliegen, die Hans Küng so lange umtrieben, sind für sie nicht mehr relevant", sagt er.
Beim "Projekt Weltethos" sieht das für Hans Ambühl anders aus: "Die Suche nach gemeinsamen ethischen Standards, die alle Religionen verbindet, interessiert auch junge Leute heute." Küngs Gedanken dazu fänden auch Eingang im schulischen Ethik- und Religionsunterricht, ist er überzeugt.
In Sursee will man seines berühmtesten Sohnes bald in besonderer Weise gedenken. Angedacht ist eine Art "Hans-Küng-Gedächtnispfad", der die Wirkungsorte und Gedankenwelt des Theologen sichtbar machen soll. Gut möglich, dass dann auch eine Info-Stele vor seinem Haus am See steht.