Contoc-Studie erfasst digitale Erfahrungen in der Kirche

"Ich sehe einen großen Schatz, den es zu heben gilt"

Zwangsläufig musste sich Kriche aufgrund der Corona-Maßnahmen rasant digitalisieren. Die Contoc-Studie in der katholischen und evangelischen Kirche kommt zum Ergebnis: Darin steckt viel Zukunftspotenzial.

Ein Priester nutzt sein Handy / © Stefano Dal Pozzolo (KNA)
Ein Priester nutzt sein Handy / © Stefano Dal Pozzolo ( KNA )

DOMRADIO.DE: Contoc ist die Abkürzung für "Churches Online in Time of Corona". So heißt eine Studie, die sich mit der Digitalisierung in der Kirche beschäftigt hat.

Prof. Dr. Viera Pirker (Teil des Forschungsteams von Contoc und Professorin für Religionspädagogik und Mediendidaktik an der Goethe-Universität Frankfurt): Der Titel geht zurück auf Thomas Schlag und Ilona Nord, die diese Studie vorangetrieben haben. Das Schöne an diesem Projekt ist, dass wir ökumenisch zusammenarbeiten, evangelische und katholische Theologie, Pastoraltheologie und Praktische Theologie. Im Rahmen der Studie ist im vergangenen Sommer eine Befragung unter Hauptamtlichen in Gemeinden, Pfarreien und auch international durchgeführt worden. Eine hohe Beteiligung gab es in Deutschland, Österreich und in der Schweiz.

DOMRADIO.DE: Welche Angebote gab es denn noch neben den bekannten Online-Gottesdiensten, von denen Sie durch Ihre Studien zum ersten Mal gehört haben?

Pirker: Besonders die Formen der Gottesdienstfeiern waren interessant. Das ist auch das Thema, das in der Zeit des ersten Lockdowns, auf das wir uns bezogen haben und das am stärksten diskutiert und auch sichtbar geworden ist. Ganz spannend sind interaktive Veranstaltungen in Zoom-Räumen. Es gibt neue Instagram-Gemeinschaften, die sich gegründet haben. Mich hat besonders die Gottesdienst-Information über einen Anrufbeantworter gerührt, den Senioren und Seniorinnen anrufen konnten. Ein Priester hat die Informationen oder einen geistlichen Impuls aufgesprochen, um seine Gläubigen mit dem Medium zu erreichen, das für sie am geeignetsten war.

DOMRADIO.DE: Hat er dann auch die ganze Predigt auf den Anrufbeantworter gesprochen?

Pirker: Ob es eine ganze Predigt war, möchte ich bezweifeln. Man hat schon gemerkt, dass im medialen oder digitalen Raum der Trend zu kürzeren und interaktiven Angeboten mehr angenommen wird. Vieles ist im vergangenen Jahr auch hauskirchlich begleitet worden. Das ist auch ein Zukunftsweg für Kirche ganz allgemein, dass Menschen in ihrer religiösen Praxis zu Hause begleitet werden von den pastoralen Hauptamtlichen. Im katholischen Teilbereich der deutschen Studie haben wir Priester, Gemeindereferentinnen und Pastoralreferenten in fast gleichgroßen Gruppen erreicht. Es handelt sich um sehr verschiedene Berufsgruppen, die in den Gemeinden arbeiten und dafür sorgen, dass Religion stattfindet.

DOMRADIO.DE: Was haben die Befragten berichtet, was besonders gut digital funktioniert hat?

Pirker: Zum Beispiel haben sie gute Erfahrungen mit Videokonferenzen und mit online stattfindenden Gesprächen gemacht. Diese Befragten haben auch Lust bekommen, mehr auszuprobieren. Wir haben insgesamt in der Studie ein großes Interesse wahrgenommen und auch eine große Offenheit, mal digitale Wege auszuprobieren, neue Wege zu gehen, oder neue Medien auszuwählen.

Viele haben berichtet, dass sie digital eine andere Gemeinde erreichen, und entdeckt, dass ihre Gemeinde sozial-räumlich nochmal etwas anderes ist als die Gottesdienstgemeinde oder die eng an die Gottesdienstgemeinde angebunden sind. Viele Hauptamtliche haben Gemeindemitglieder wieder erreicht, die ferngeblieben sind, oder haben neue kennengelernt. Anderen ist das nicht so einfach gefallen.

DOMRADIO.DE: Gibt es denn bei einigen Teilnehmenden der Studie schon Überlegungen, solche digitalen Angebote beizubehalten, auch wenn Präsenzveranstaltungen wieder möglich sind?

Pirker: Wir haben die Befragungen im vergangenen Sommer durchgeführt. Zu dem Zeitpunkt haben sehr viele gesagt, dass sie das, was sie ausprobiert haben, gerne auch weiterführen wollen. Viele haben aber auch die Ressourcenfrage gestellt: Wie soll das gehen, wenn unser Gemeindealltag so läuft wie früher? Also ob für die Arbeit im digitalen Raum überhaupt Zeit vorhanden ist, denn dafür braucht man auch Ressourcen, Kraft und Energie. Diese Frage sind schon im vergangenen Sommer aufgetaucht, als noch niemand eine zweite und dritte Welle absehen konnte.

DOMRADIO.DE: Gab es auch Probleme in der digitalen Seelsorge?

Pirker: Durch die Studie hat sich gezeigt, dass es am ehesten Probleme bei der Ansprache der Zielgruppen gibt. Schwierig war auch, die Gläubigen zu erreichen, die über die traditionellen Angebote angesprochen werden. Auch worin der Auftrag liegt, musste teils neu definiert werden. An der Studie haben zum Beispiel auch viele Krankenhausseelsorgende teilgenommen, die nicht primär in der Gemeinde verankert sein müssen. Sie durften die Kliniken nicht mehr betreten und standen vor der Frage: Wie begleiten wir eigentlich Angehörige von Corona-Erkrankten? Oder wie begleiten wir die Menschen in den Altersheimen, die einsam sind, weil sie keinen Besuch erhalten dürfen.

Hier hat die Kirche einen großen Auftrag. Dessen sind sich die kirchlichen Mitarbeitenden, die an unserer Studie teilgenommen haben, auch sehr bewusst. Die Frage nach der Solidarität und nach dem diakonischen Arbeiten stellt sich nicht digital, sondern das ist eine Arbeit, die eine persönliche Präsenz benötigt. Zu dieser Fragestellung ist eine große Reflexion auch auf den Weg gekommen.

DOMRADIO.DE: Gibt es etwas, was Sie an der Studie am meisten überrascht hat?

Pirker: Am meisten überrascht hat mich die große Offenheit der Studienteilnehmenden. Es gab eine quantitative Befragung, in der sehr viele Fragen angekreuzt werden mussten. Mein Bereich sind die wenigen offenen Fragen. Diese haben viele wirklich ausführlich beantwortet und ihre Erfahrungen, ihre Wahrnehmungen, ihr Kirchenbild, ihr Verständnis, ihren Alltag, ihr Selbstverständnis und auch ihre Theologie geteilt. Wir haben da wirklich kleine Kurzformel des Glaubens gefunden, Kurzformeln dessen, was Seelsorge heute bedeutet. Ich sehe da einen ganz großen Schatz, den es noch zu heben gilt, auch für die Kirchenentwicklung, für das, was Kirche heute bedeutet und wie sie sich in Zukunft weiterentwickeln wird.

Es ist eine disruptive Angelegenheit. Das ist uns allen bewusst, dass die Jahre 2020 und 2021, ich blicke insbesondere auf die katholische Kirche, wirklich Abbruchpotenzial haben. Traditionsbruch ist  auch etwas, was manche benennen, aber viele auch gerne vollziehen wollen. Es gibt manche Traditionen, die an der Basis nicht weitergeführt werden wollen. Diese Chance, sozusagen den Neuaufbruch zu ermöglichen, den sehen wir deutlich.

Sehr spannend auch: Es waren wenige junge Menschen unter 30 in der Befragung dabei. Die sind in den pastoralen Berufsgruppen noch wenig vertreten. Der Durchschnitt liegt bei 50 Jahren. Aber diese jungen Leute sind diejenigen, die da besonders weit nach vorne denken, die vielleicht auch schon in so einer Kultur der Digitalität beheimatet sind. Die Älteren sagen eher, sie wollen zuschauen, was die Jüngeren so machen. Das erfülle sie mit Freude und sie empfinden das auch als Unterstützung. Und sie wollen auch den Mut und das Vertrauen in die Jüngeren haben, dass sie schon den richtigen Weg gehen werden.

Das Interview führte Uta Vorbrodt.


Quelle:
DR