Trotz aller Einschränkungen des öffentlichen Lebens aufgrund der Coronapandemie hat die Zahl politisch motivierter Gewalttaten einen neuen Höchststand erreicht. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) nannte die Entwicklung bei der Vorstellung der Statistik des Bundeskriminalamtes (BKA) für 2020 am Dienstag in Berlin "sehr, sehr beunruhigend".
Demnach stieg die Zahl gegenüber dem Vorjahr um 8,5 Prozent auf insgesamt 44.692 Delikte. Dabei verzeichnet das BKA im Berichtsjahr auch eine deutliche Zunahme der Straftaten mit dem "Oberangriffsziel Religionsgemeinschaften". Es gebe "eine klare Verrohungstendenz in unserem Lande", so das Fazit des Ministers.
Die Zahl der politisch motivierten Gewalttaten nahm um fast 19 Prozent auf 3.365 zu. Dazu zählt auch der rechtsextremistische Terrorangriff von Hanau, bei dem neun Bürger mit Migrationshintergrund ihr Leben verloren. Die größte Gefahr geht nach Seehofers Einschätzung weiter vom Rechtsextremismus aus.
Straftaten gegen "religiöse Repräsentanten"
Bei Straftaten gegen "Religionsgemeinschaften" verzeichnete die Statistik insgesamt einen deutlichen Zuwachs. Er ist vor allem auf 2.217 Straftaten gegen "religiöse Repräsentanten" und Angehörige der jeweiligen Religionsgemeinschaft zurückzuführen. Genauere Ausführung zur Religionszugehörigkeit macht die Statistik aber nicht. Bei 81 von 87 Gewaltdelikten handelte es sich demnach um Körperverletzungen.
Zumeist ging es aber mit 1.375 Fällen um Volksverhetzungen. Über 90 Prozent der Straftaten wurden dem Rechtsextremismus zugeordnet.
Insgesamt kam es im Bereich "Religionsgemeinschaften" zu 1.611 Fällen von Volksverhetzungen, 348 Beleidigungen und 345 Propagandadelikten sowie 323 Sachbeschädigungen. Das Bundeskriminalamt zählt dabei im Berichtsjahr rund 100 Übergriffe auf Kirchen und 103 auf Moschee sowie 34 auf Synagogen und 59 auf religiöse Einrichtungen.
Jüdische Gemeinde besonders betroffen
Ganz besonders betroffen ist weiterhin die jüdische Gemeinschaft. So stieg die Zahl der antisemitischen Straftaten um 15,7 Prozent auf 2.351 Straftaten. Hiervon wurden knapp 95 Prozent als rechtsmotiviert eingestuft. Diese Entwicklung sei nicht nur "besonders besorgniserregend", sondern angesichts der deutschen Geschichte auch "zutiefst beschämend", sagte Seehofer. Die antisemitischen Gewalttaten gingen hingegen um knapp 22 Prozent zurück.
Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, bewertete die Zahlen als "absolut alarmierend und ein Armutszeugnis für Deutschland". Judenfeindlichkeit sei "allerorten anzutreffen, auf der Straße und im Netz". Er forderte einen Schulterschluss aller Demokraten." Benjamin Steinitz vom Bundesverband der Recherche- und Informationsstellen Antisemitismus beklagte vor allem einen wachsenden Antisemitismus und antisemitisches Verschwörungsdenken bei Anti-Corona-Demonstrationen und Querdenkern.
In einer eigenen Statistik erfasste das BKA das Phänomen der Anti-Corona-Proteste. Dabei kam es zu 3.569 Straftaten, darunter 478 Gewalttaten, besonders bei Veranstaltungen gegen die Corona-Maßnahmen. Für Seehofer ist dies auch ein deutliches Zeichen für eine Polarisierung in der Gesellschaft.
Islamistisch motivierte Anschläge
Im Bereich der religiösen Ideologie und des Islamismus verzeichnete das BKA mit 477 Straftaten ein Zuwachs um 12 Prozent. Der Anteil der Gewalttaten reduzierte sich hingegen mit 43 Fällen um zehn Prozent.
Die Gesamtzahl der bundesweit geführten Ermittlungsverfahren sowie die Anzahl der "Gefährder" und "Relevanten Personen" in diesem Phänomenbereich bewegt sich laut BKA aber "weiterhin auf einem hohen Niveau". Die islamistisch motivierten Anschläge des Jahres 2020 "unterstreichen das Fortbestehen der anhaltend hohen Gefahr jihadistisch-motivierter Gewalttaten in Deutschland", heißt es in dem Bericht.
Zum 1. April dieses Jahres hätten die Behörden 579 Personen als Gefährder und 533 als sogenannte Relevante Personen eingestuft. Zudem seien mehr als 1.200 Ermittlungsverfahren gegen 1.300 Beschuldigte im Bereich des islamistischen Terrorismus geführt worden. Deutschland sei weiter Teil eines einheitlich europäischen Gefahrenraums und die Bedrohung durch den Islamismus weiter hoch, betonte Seehofer.