Für den Neurologen Magnus Heier liegt das Problem auf der Hand - ebenso seine Lösung. Der Facharzt aus Castrop-Rauxel hat in der Ruhrgebietsstadt ein Impfzentrum in der Kirche Sankt Antonius mitbegründet. Ein Kollege habe mit ihm über die anstehenden zahlreichen Impfungen bei den niedergelassenen Ärzten gesprochen, erzählt Heier.
Die Praxis des Kollegen liege gegenüber von Sankt Antonius. Da ist dem Neurologen die Idee mit dem Impfen in der Kirche gekommen. Am Mittwoch geht es los. Dann gibt es immer mittwochvormittags die Spritze in den Seitenschiffen. 180 Patienten sollen die Mediziner und Helfer pro Schicht schaffen.
Abstand und Lüften: In Kirchen oft kein Problem
Das Problem ist laut Heier, dass viele Praxen die Corona-Hygieneregeln - etwa Abstand halten und lüften - nicht optimal einhalten können. Wartezimmer könnten so zu Hotspots werden, warnt der Facharzt. Die Lösung: Kirchen mit ihren hohen und großen Räumen sowie mit mehreren Ein- und Ausgängen.
Oft sind die Gebäude zentral gelegen und für Patienten gut zu erreichen. Die Hygieneanforderungen ans Impfen würden sie zumeist bereits erfüllen, sagt Heier, denn Gottesdienste müssten derzeit ohnehin unter Corona-Auflagen stattfinden. "Es bedarf keiner Vorbereitung, denn die Kirchen sind ja quasi alle vorbereitet."
Impfaktion in der Zentralmoschee in Köln war erfolgreich
Bislang ist Impfen in religiösen Stätten hierzulande die Ausnahme. Erfolgreich verlief eine Aktion am vergangenen Wochenende in der Zentralmoschee in Köln, bei der gut 3.000 Menschen das Vakzin erhielten. Zeitweise hätten die Patienten einen Kilometer lang angestanden, teilte die Moschee-Gemeinde mit. Es habe sich um eine der größten Impfaktionen außerhalb von Impfzentren gehandelt.
Ein weiteres Beispiel: Die jüdischen Gemeinden in Köln und Frankfurt haben vor einigen Wochen für einen Teil ihrer Mitglieder eigene Säle zum Impfen bereitgestellt. "Uns ging es darum, unseren ältesten Gemeindemitgliedern die Möglichkeit zu geben, in einer ihnen vertrauten Umgebung die Impfung zu erhalten", erklärt Michaela Fuhrmann, Leiterin für politische Beziehungen der Gemeinde in Frankfurt. Alle hätten sich wohl und zuhause gefühlt. Für die Öffentlichkeit Räume bereitzustellen, sei vorerst nicht geplant - unter anderem wegen Sicherheitsaspekten.
Spanien, Italien und England sind Vorreiter
Religiöse Stätten dienen auch im Ausland als Ort für den Piks - wenn auch noch nicht massenhaft. Früh dran war die bekannte Kathedrale von Salisbury in London, wo bereits Mitte Januar hunderte Menschen geimpft wurden. Dekan Nicholas Papadopulos sprach von einem "sehr stolzen Tag für uns".
In Spanien hat die katholische Kirche das berühmteste Gotteshaus des Landes, die Sagrada Familia in Barcelona, für Massenimpfungen angeboten. Bislang ist aber noch keine Dosis AstraZeneca, Biontech und Co. in dem Gaudi-Bau verabreicht worden. Im ländlichen Raum wird hingegen durchaus in Kirchen geimpft - ähnlich wie in Italien. So berichtet der "Corriere della Sera" über das abgelegene Bergdorf Cadero in der Lombardei, wo es kein Krankenhaus gibt und deshalb die Kirche San Silvestro zur Verfügung steht.
"So naheliegend, dass man es einfach machen muss"
Brasilien nutzt die Infrastruktur der evangelikalen Großkirchen im Land. Die verfügen nämlich meist über weitläufige Parkplätze, auf denen Impfstraßen errichtet werden. Dagegen ist in Russland nur eine Religionsstätte mit öffentlichem Impfangebot bekannt: ein orthodoxes Kloster in Belgograd im Süden Russlands, fast an der Grenze zur Ukraine. Auf Initiative der Regionalregierung können die 350.000 Bürger der Stadt auch hier die Spritze bekommen.
In Deutschland ermutigt das Erzbistum Köln seine Gemeinden ausdrücklich, große Pfarrsäle und Kirchenräume wenn möglich für das Impfen zu öffnen. Heier hofft, dass die Idee Schule macht. Bald stünden in Deutschland große Mengen an Impfstoff zur Verfügung, die so rasch wie möglich verabreicht werden sollten, sagt der Mediziner. "Impfen in der Kirche ist so naheliegend, dass man es einfach machen muss."