Die Kirchen dürften die Aussagen des Bundesverfassungsgerichts über die Reichweite der Selbstbestimmung am Lebensende nicht ignorieren, schreiben sie in der Frankfurter Allgemeine Zeitung (Dienstag). Die jüngsten Debatten hätten verdeutlicht, dass es in dieser Frage keine einfachen Lösungen gebe, schreiben die Theologen.
"Eine überzeugende Lösung wird es ebenso wie einen mehrheitsfähigen Gesetzesvorschlag erst dann geben, wenn sich der Diskurs, der derzeit noch vorrangig unter Fachleuten geführt wird, auf eine breitere Grundlage und einen offenen Dialog stützen kann."
Ende April hatte der Bundestag eine Grundsatzdebatte zum Thema geführt. Die Kirchen sollten überlegen, "wie sie den vom Bundesverfassungsgericht gegebenen Spielraum nutzen wollen, um Suizide möglichst zu verhindern und gleichzeitig eine Suizidhilfe in gut begründeten Einzelfällen zu ermöglichen", erklären Anselm, Karle und Lilie.
Richter hatten Verbot gekippt
Die Karlsruher Richter hatten das Verbot der geschäftsmäßigen Beihilfe zur Selbsttötung im Februar 2020 gekippt. Die Selbsttötung gehöre zum Recht auf Selbstbestimmung, so das Gericht. Das schließe auch die Hilfe Dritter ein.
Entscheidend ist aus Sicht der Theologen, "dass wir respektieren und akzeptieren können, dass auch unter guten palliativen Bedingungen Menschen in eine Lage kommen können, in der sie sagen: 'Es ist genug'". In solchen Situationen könne es "ein Akt christlicher Nächstenliebe sein, den Sterbewunsch anzuerkennen - und zwar auch dann, wenn man die Situation anders einschätzt".
Zugleich müsse der assistierte Suizid die Ausnahme bleiben. "Es geht um individuelle Grenzsituationen, nicht um ein 'Regelangebot' für alle, die des Lebens müde sind." Um dies sicherzustellen, brauche es Schutzkonzepte, eine gute seelsorgliche Begleitung und die Einbeziehung des familialen Umfeldes von Sterbewilligen, betonen die Autoren.
Gespräch mit Praktikern gesucht
"Uns läge daran, im Gespräch mit Praktikerinnen und Praktikern nach denkbaren, auf die einzelne Person und deren konkrete Situation zentrierten Wegen zu suchen." Die Kirchen dürften sich diesen "komplexen und schwierigen Fragen nicht vorschnell durch moralische Prinzipientreue oder unter Verweis auf der Fortschritt der palliativen Medizin und Pflege entziehen".
Die Debatte bietet nach Worten der Theologen die Chance, Mitarbeitende von kirchlichen Einrichtungen zu unterstützen. Sie seien mit Sterbewünschen konfrontiert, die "weder zu moralisieren noch generell zu pathologisieren" seien.
"Zugleich dürfen sie nicht ohne weiteres als Ausdruck von Selbstbestimmung verstanden werden", mahnen Anselm, Karle und Lilie. Es könne sich auch um Hilferufe handeln. Entscheidend sei, Menschen in einer solchen Situation nicht alleine zu lassen.
"Geregelte Veerfahren nicht mit Regelmäßigkeit gleichsetzen"
Der Befürchtung von einem "Dammbruch" widersprechen die Autoren. "Geregelte Verfahren sind nicht mit Regelmäßigkeit gleichzusetzen." Es handle sich um eine "spekulative Annahme", dass eine Regelung zu einem Anstieg bei den assistierten Suiziden führen werde.
"Eine rein hypothetische Gefahr darf eine konkrete Problemlösung nicht verhindern."