Der Wiener Kardinal und Erzbischof Christoph Schönborn sagte in seiner Fronleichnamspredigt im Stephansdom, er sorge sich um den Erhalt des Religionsfriedens in Österreich. Bei aller berechtigten Vorsicht und Sorge um die öffentliche Sicherheit dürfe nie vergessen werden, dass jeder Mensch völlig unabhängig von Herkunft und Weltanschauung als Ebenbild Gottes "eine unzerstörbare Würde" habe. Und dazu gehöre auch der Respekt vor der "Gegenwart Gottes im Leben der anderen Religionen".
Stigmatisierung durch Karte
"In einer Zeit, in der viele Umfragen bestätigen, dass die antimuslimische Stimmung in Österreich und in ganz Europa zunimmt", stigmatisiere die Karte alle in Österreich lebenden Muslime als potenzielles Sicherheitsrisiko, erklärte der Präsident der Konferenz der Europäischen Rabbiner und Oberrabbiner von Moskau, Pinchas Goldschmidt, am Donnerstag.
Rechte der Religionsfreiheit beachten
Er kritisierte insbesondere, dass die Karte auch interreligiöse Organisationen wie den Muslim Jewish Leadership Council, dessen Co-Vorsitzender Goldschmidt ist, mit einschließe. "Wir fordern die österreichische Regierung nachdrücklich auf, ihre Verpflichtungen zur Achtung der Rechte auf Vereinigungsfreiheit, freie Meinungsäußerung und Religionsfreiheit einzuhalten", so der Rabbiner.
Fragwürdige Vermischung
Der Vorsitzende der Kommission Weltreligionen der Österreichischen Bischofskonferenz, Markus Ladstätter, sprach von einer Vermischung von Islam und Islamismus und Impulsen zu einer "Bespitzelung". Es erscheine "fragwürdig, warum staatliche Behörden nun einseitig eine Landkarte mit flächendeckenden Informationen und Bewertungen zu allen Institutionen einer einzelnen Religionsgemeinschaft erstellen", sagte Ladstätter am Mittwoch.
Gesellschaftlicher Friede gefährdet
Der Religionswissenschaftler an der Kirchlichen Pädagogischen Hochschule (KPH) Graz hinterfragte den von der Regierung behaupteten "Service"-Charakter. Die primäre Absicht der Landkarte sei aus dem ursprünglichen - und inzwischen wieder entfernten - Text darunter klar geworden: "Wenn Sie Informationen zu einzelnen Vereinen oder Moscheen haben, ... schreiben Sie uns bitte an ...". Dazu Ladstätter: "Solche Impulse zu gegenseitiger Bespitzelung dienen, so wissen wir aus leidvoller Erfahrung, nicht dem gesellschaftlichen Frieden."
Begriff "politischer Islam" streichen
Außerdem sei die Karte offensichtlich als "Instrument im Kampf gegen einen 'politischen Islam'" zu verstehen, so Landstätter. Durch die gemeinsame Präsentation von "Islam" und "Islamismus" beziehungsweise "politischem Islam" entstehe - "ungewollt oder gewollt" - eine Vermischung. Dies werde zur Belastung für alle friedlichen, gläubigen Musliminnen und Muslime. Aus diesem Grund sollte die Formulierung "politischer Islam" überhaupt aufgegeben werden, riet der Religionsdialog-Experte.
Auch die evangelische Kirche äußerte große Bedenken. Bischof Michael Chalupka forderte, die Karte aus dem Netz zu nehmen.
Vorgänger Karte zehn Jahre im Netz
Der in Münster lehrende islamische Theologe Mouhanad Khorchide, Leiter des wissenschaftlichen Beirats der Dokumentationsstelle, sagte am Dienstag, er könne die Kritik an der von ihm mitverantworteten "Islam-Landkarte" nicht nachvollziehen. Eine solche Karte sei bereits 2009 bis 2019, also zehn Jahre lang, online gewesen und habe niemanden gestört, sagte Khorchide. "Nun benutzen Vertreter des politischen Islam die aktualisierte Neuauflage für eine konstruierte Skandalisierung und stellen sich einmal mehr als Opfer einer Diffamierungskampagne dar. Das ist sehr weit hergeholt", so Khorchide.
Die österreichische Integrationsministerin Susanne Raab (ÖVP) hat die Landkarte, die Informationen über mehr als 600 muslimische Vereine enthält und auch deren Stellung zum politischen Islam auslotet, mehrfach verteidigt und erklärt, sie könne auch für Muslime selbst von Nutzen sein.
Muslimische Jugend strengt Klage an
Die Muslimische Jugend Österreich (MJÖ) kündigte am 30. Mai an, dagegen zu klagen. "Die Veröffentlichung sämtlicher Namen, Funktionen und Adressen von muslimischen und als muslimisch gelesenen Einrichtungen stellt eine nie da gewesene Grenzüberschreitung dar", hieß es zur Begründung.
Soziologe warnt vor Fundamentalisten
Der Schweizer Soziologe Marc Helbling mahnte zu einer differenzierteren Sicht auf den Islam in Österreich und Europa. Der Einfluss des politischen Islam dürfe sicher nicht unterschätzt werden, sagte der Integrationsforscher im Deutschlandfunk. "Studien zeigen immer wieder, dass es viele Muslime gibt, die fundamentalistische Überzeugungen haben." Weil es aber auch sehr viele gemäßigte Gläubige gebe, müsse man "sehr vorsichtig sein, wie man an die Öffentlichkeit tritt", so Helbling, der auch neuer Hans-Blumenberg-Gastprofessor am Exzellenzcluster "Religion und Politik" der Universität Münster ist.
Die spärlichen Informationen zu den in der Karte aufgeführten muslimischen Moscheen und Vereinen sowie die Tatsache, dass die Wiener Dokumentationsstelle Politischer Islam als Herausgeber fungiere, berge die Gefahr, moderate und fundamentalistische Einrichtungen zu vermengen. Die in den vergangenen Tagen besonders kritisierte Angabe der jeweiligen Adressen dieser Einrichtungen sei zudem auch irrelevant für eine wissenschaftliche Diskussion.
"Warnschilder"
Die vergangene Woche von der Dokumentationsstelle Politischer Islam veröffentlichte Islam-Landkarte verzeichnet mehr als 600 islamische Vereine und Moscheen in Österreich mit genauer Ortsangabe und den dahinterstehenden Dachorganisationen. Nachdem Unbekannte in den vergangenen Tagen "Warnschilder" aufgestellt hatten, nahmen die Herausgeber, darunter auch das Institut für islamisch-theologische Studien der Universität Wien, die Karte aus dem Netz.
Islamisches Leben in Österreich darstellen
Institutsleiter Professor Ednan Aslan veröffentlichte auf der Website der Karte eine Erklärung, in der es heißt: "Die Islamlandkarte wollte eine differenzierte Diskussion über das islamische Leben in Österreich ermöglichen und einen positiven Beitrag leisten. Es sollte die Vielfalt des islamischen Lebens in Österreich aufgezeigt werden - in all seinen Schattierungen." Die Universität Wien hatte nach der Kritik die Verwendung ihres Logos für die Landkarte untersagt.