Sharon Dodua Otoo über Kolonialismus, Sexismus und die Gottesfrage

Gott ist eine Brise

In ‘Adas Raum’ wechselt Sharon Dodua Otoo immer wieder die Perspektive. Sie erzählt die Geschichten von vier Frauen in vier Epochen. Sie läßt sich aber auch von Gott an die Hand nehmen – oder von einem Reisigbesen, einem Türklopfer, einem Reisepass.

 (DR)

Ich möchte mich mit einer fragenden, demütigen Haltung an Themen wagen und nicht davon ausgehen, dass ich das besser weiß”, sagt Sharon Dodua Otoo im DOMRADIO.DE Interview.

In ihrem Roman ‘Adas Raum’ erzählt die Autorin von vier Frauen in vier ganz unterschiedlichen Lebenswirklichkeiten, die alle Ada heißen. Sie beginnt ihre Erzählung in der Zeit des Kolonialismus im 15. Jahrhundert in Westafrika. Ich wollte etwas schreiben, was mit mir biografisch zu tun hat”, sagt sie.

“Ich habe diese Gegend Westafrika genommen, weil meine Eltern dort geboren und aufgewachsen sind. Dann habe ich England genommen, wo ich selber geboren und aufgewachsen bin. Und Deutschland ist der Ort, wo meine Kinder zum Teil geboren und alle hier aufgewachsen sind”.

Gott ist immer anders

In ihrem Roman geht Otoo ganz nah dran an die Menschen. Sie folgt der Spur Adas im Afrika des 15. Jahrhunderts. Sie gibt einer Schwarzen Frau heute auf Wohnungssuche in Berlin eine Stimme. “Wenn ich einen Roman lese, wo ich das Gefühl habe, die Person persönlich kennengelernt zu haben, dann bin ich bewegt”, sagt die Autorin.

“Ich sehe eine menschliche Verbindung. Diese Person wird Mensch. Und dann habe ich das Gefühl, ich möchte wirklich, wirklich etwas unternehmen”.

Den Menschen in ihrem Roman stellt Otoo Gott an die Seite, der immer anders sein kann. Eine Brise, die ‘Bewegung in die Sache bringt oder für Chaos sorgt’ – oder eine Steppenpflanze, ein Vogel. “Wahrscheinlich hat das alles mit meiner eigenen Auseinandersetzung mit Religion zu tun”, sagt die Autorin.

Sie sei in England angelikanisch erzogen und eine Zeit lang auf einer katholischen Schule unterrichtet worden. Ihre Darstellungen von Gott, so sagt sie, sollen auch eine Annäherung an die Frage sein, wie Gott den Schmerz und das Leid in der Welt zulassen kann, eine Frage, auf die sie keine Antwort habe.  

Über gesellschaftliche Traumata schreiben

Sharon Dodoa Otoo sucht in ihrem Roman auch Lebenswelten auf, die Gesellschaften in der Vergangenheit traumatisiert haben. Da ist die Zeit des brutalen Kolonialismus aber auch die Situation einer Zwangsprostituierten, die in einem KZ vergewaltigt wird. “Ich habe beim Schreiben mehrere Momente gehabt, wo ich Angst hatte. Ich erinnere mich, dass ich dachte, das kann ich nicht machen”, erzählt Otoo.

“Und dann habe ich mir diese Emotion angeschaut und ich habe gedacht: Was ist das für eine Stimme, die mir sagt, ich soll das nicht machen? Warum genau? Und ich habe mich mit dieser Stimme auseinandergesetzt und habe gedacht: Genau dahin, das ist die Geschichte dann, die so gewagt, wie sie ist, auch am brisantesten ist. Das ist die Geschichte, womit die lesenden Personen vielleicht am meisten anfangen können, wenn sie genau diese Gewagtheit beim Schreiben merken”.

Geraubte Identitäten

Mit der Schilderung verschiedenster Lebenswelten von Frauen in unterschiedlichen Epochen der Vergangenheit will Sharon Dodoa Otoo aufzeigen, wie diese Vergangenheit uns auch heute angeht, wie sie sich bis in unsere Zeit fortsetzt.

“Viele von den Themen, die mit heutigem Rassismus zu tun haben, basieren darauf, dass im Großen und Ganzen diese Gesellschaft keine Vorstellung davon hat, dass afrikanische Menschen wirklich eine Geschichte haben, wirklich ein Leben vor dem Kolonialismus hatten. Dieses Kulturgut oder Raubgut, das jetzt in westlichen Museen ausgestellt wird, das hat doch eine schwere Bedeutung für die Menschen in den Gesellschaften vorher gehabt. Diese Kulturgüter sind einfach entwendet worden und werden heute in Museen, in Berlin, London und Paris ausgestellt”.

Damit streift Otoo eine brandaktuelle Diskussion um Raubgüter aus Afrika in vielen Museen der westlich geprägten Welt. Ihr Roman ‘Adas Raum’ macht sehr nachdenklich, macht sensibel, genauer hinzuschauen, wo lebt der Kolonialismus weiter, der Rassismus und Sexismus in unserer Gesellschaft? Und was können wir dagegen tun?

“Ich wollte aber auch gucken: Was und wer sind wir und wie werden wir gemacht? Wie werden wir zu Frauen gemacht? Wie werden wir zu Schwarzen gemacht? Oder eben auch: Wie werden wir zu Weißen gemacht? Das war auch ein Thema”.


Quelle:
DR