Religionslehrerinnen und -lehrer warnen vor Folgen von Kirchenaustritten

"Gespräche sind dringend nötig in diesem Erzbistum"

Die Krise im Erzbistum Köln, ausgelöst durch den umstrittenen Umgang mit Missbrauchsfällen, macht auch Religionslehrerinnen und Religionslehrern zu schaffen. Sie fordern mehr Austausch untereinander und mit der Bistumsleitung.

Katholischer Religionsunterricht / © Elisabeth Schomaker (KNA)
Katholischer Religionsunterricht / © Elisabeth Schomaker ( KNA )

DOMRADIO.DE: Es gibt viele Religionslehrerinnen und Religionslehrer, die in eine Distanz zur katholischen Kirche gehen und ratlos sind. Einige erwägen sogar, ihre kirchliche Lehrerlaubnis ruhen zu lassen oder sogar zurückzugeben. Warum?

Agnes Steinmetz (Vorsitzende der Vereinigung katholischer Religionslehrerinnen und -lehrer im Erzbistum Köln): Das hat ganz viele verschiedene Gründe. Das hat zum einen den Grund, dass sie in dieser gegenwärtigen großen Krise im Erzbistum Köln nicht mehr mitmachen wollen und sich deshalb auch vor ihrem Gewissen nicht mehr in der Verantwortung sehen, im Auftrag der Kirche vor Schülerinnen und Schüler zu treten. Denn das bedeutet ja "missio canonica".

Wir haben den Auftrag, in der Schule die Lehre der Kirche vorzustellen. Das bedeutet nicht, dass wir sie verteidigen müssen. Wir werden aber gefragt, was wir denn davon halten. Und dazu sind offensichtlich Kolleginnen und Kollegen nicht mehr in der Lage, dies positiv zu tun. 

DOMRADIO.DE: Offenbar herrscht in Teilen Ratlosigkeit. Was müsste aus Ihrer Sicht denn passieren, damit sich die Situation für die Lehrerinnen und Lehrer im Erzbistum wieder verbessert? 

Steinmetz: Ich würde gerne erst noch einmal schauen, woher denn diese große Ratlosigkeit kommt. Wir registrieren jetzt gerade bei uns in der Schule die große Gefahr, dass Kirchenaustritte nicht unbedingt Thema bei den Kindern und Jugendlichen sind, sondern dass sie erst einmal das Thema derjenigen Erwachsenen sind, die austreten und dann auch gar nicht mehr dafür sorgen, dass unsere Schülerinnen und Schüler im Religionsunterricht sind.

Wir befürchten, dass es da quasi einen Austritt aus dem Religionsunterricht mit Füßen gibt. Wir befürchten, dass es dann nicht mehr die Möglichkeit gibt, die Schülerinnen und Schüler mit dem zu erreichen, was eigentlich unsere Aufgabe ist. Diese besteht darin, die christliche Botschaft in die Schule zu tragen und das, was wir Christen glauben, einerseits dort zu verkünden aber andererseits auch darüber zu reden, was daran zu zweifeln ist und zu sehen, wie Glaubensleben auch durch Höhen und Tiefen gelingen kann. Das ist ja eigentlich Ziel und Zweck des Religionsunterrichts.

Wir befürchten, dass die Kirchenaustritte eine ganz fatale Folge nach sich ziehen und die jungen Menschen dann nicht mehr da sind. Vielmehr wird dann im Fach praktische Philosophie über diese Fragen geredet. Aber es stehen dann nicht Religionslehrerinnen oder ein Religionslehrer vor den jungen Menschen, die über ihre Spiritualität und ihren eigenen Glauben Auskunft geben können, sondern es wird quasi aus einer objektiven Perspektive unterrichtet. 

DOMRADIO.DE: Wie kann man mit dieser Situation umgehen? 

Steinmetz: Wir sind in die Offensive gegangen, indem wir zum Beispiel einen Brief an Kardinal Woelki geschickt haben und deutlich gemacht haben, was uns umtreibt und welche Sorgen uns jetzt belasten. Natürlich haben wir auch grundsätzlich Sorgen um den Zustand des Erzbistums in der derzeitigen Situation. Das teilen wir ja mit allen Verbänden, mit allen Räten, die im Diözesanrat und im Diözesanpastoralrat vertreten sind und versuchen, sich auch konstruktiv einzubringen. Dort sind wir ja auch vertreten.

Aber wir sind eben auch an die Presse gegangen und haben gesagt, wir müssen darüber reden, was jetzt in Zukunft auch in dieser Gesellschaft, in dieser Schule, noch dran ist. Wir stehen einfach dafür ein, dass der Religionsunterricht unglaublich wichtig ist - auch der konfessionelle Religionsunterricht, der katholische Religionsunterricht in ökumenischer Absicht. Das werden wir, so wie es unsere Kräfte erlauben, auch weiter immer wieder thematisieren. Wir sind sehr daran interessiert, mit allen, die in irgendeiner Weise unsere Sorge teilen, ins Gespräch zu kommen.

Wir möchten im Gespräch mit denjenigen sein, die es betrifft, auch mit denjenigen, die sagen: Wir wissen noch nicht, wie es mit der missio aussieht. Möchte ich sie jetzt noch weiter haben oder möchte ich sie zurückgeben? Wir möchten mit den Kolleginnen und Kollegen sprechen, die katholisch sind, aber keine Religionslehrerinnen und Religionslehrer sind. Die sind ja genauso von dieser Kirchenkrise betroffen.

Also ich denke, das Gespräch ist mal der erste Punkt, dass wir sagen, wir reden miteinander auf Augenhöhe. Wir teilen uns unsere Sorgen. Wir teilen die Erfahrungen und schauen dann gemeinsam, wie wir hier weiter zusammenarbeiten können. Ich glaube, das ist ganz dringend nötig in diesem Erzbistum. 

DOMRADIO.DE: Also ein Dialog auf Augenhöhe, aber dann eher unter Kollegen. Wie sieht es mit der Bistumsleitung aus? Gibt es da auch einen Dialog? 

Steinmetz: Wir sind dabei, diesen Dialog wieder zu erbitten. Wir haben den Dialog mit Kardinal Woelki schon diverse Male geführt, aber er ist in dieser Situation dringender denn je. Denn wer, wenn nicht wir, erreicht noch die jungen Leute, die in der Gemeinde schon längst nicht mehr so erreicht werden, wie das vielleicht mal war und wie es auch wünschenswert wäre.

Die Zusammenarbeit mit allen, die in irgendeiner Weise an der Jugendarbeit beteiligt sind, ist unglaublich wichtig und natürlich unbedingt das Gespräch und vielleicht in diesem Fall auch die Auseinandersetzung mit der Bistumsleitung. 

DOMRADIO.DE: Jetzt haben wir ja in der Corona-Krise gemerkt: Der Religionsunterricht ist teilweise ein bisschen unter den Tisch gefallen, ist zu kurz gekommen, hat gar nicht stattgefunden. Fürchten Sie, dass jetzt einige denken, eigentlich können wir auch ganz drauf verzichten? 

Steinmetz: Das ist natürlich der zweite Grund, warum wir sehen, dass wir hier möglicherweise eine Krise haben. Es ist allerdings jetzt nicht so eingetreten, wie wir es befürchtet haben. Wir haben auch auf Landesebene Eingaben an das Ministerium und an die Bischöfe gemacht. Und wir haben auch einen Brief bekommen. Eigentlich hat jeder Religionslehrer und jede Religionslehrerin in den Bistümern in Nordrhein-Westfalen einen Brief des zuständigen Bischofs bekommen.

Und Kardinal Woelki hat nochmal ganz dezidiert darauf hingewiesen, dass der Religionsunterricht nach der geltenden Rechtsordnung wieder stattfinden muss und hatte noch im Blick, dass es bis zu den Sommerferien Distanzunterricht geben könnte. Das hatten wir ja alle auch gedacht. Wir haben ja nicht damit gerechnet, dass wir in den Präsenzunterricht zurückkehren.

Im Moment ist auch alles in Ordnung. Allerdings nur deshalb, weil wir uns gewehrt haben, denn der Religionsunterricht war schlicht vergessen worden. Religionsunterricht findet ja in gemischten Gruppen statt, aus verschiedenen Klassen. Es hätte dann locker den gemischten Unterricht in den anderen Differenzierungsfächern gegeben. Aber der Religionsunterricht wurde einfach vergessen. Das haben wir moniert und wir haben tatsächlich Erfolg gehabt, Gott sei Dank.

Wir hoffen, dass es nach den Sommerferien genauso weitergeht, dass wir nicht mehr in die Situation kommen, dass der Religionsunterricht ausfällt. Das ist er nämlich de facto, weil es eben in der Distanzphase und auch in den Phasen des Wechselunterrichts eigentlich keine Mischung der Gruppen geben durfte. Da waren wir als erste betroffen, obwohl - ich muss es mal deutlich sagen - der Religionsunterricht das einzige Fach ist, das sogar durch das Grundgesetz gesichert ist. De facto hätte man alle anderen, für die man eine Mischung erlaubt hätte, eigentlich nicht erlauben dürfen. Religionsunterricht hätte als allererster wieder in gemischten Gruppen stattfinden müssen, einfach aufgrund der Rechtslage. Das schützt uns eigentlich auch.

Deswegen weise ich darauf auch nochmal hin. Wir haben eine Rechtslage, die es uns erlaubt, auch immer wieder darauf hinzuweisen, dass es zu unserem demokratischen Staatswesen gehört, dass der Staat nicht über die Inhalte des Religionsunterrichts bestimmt, auch nicht, ob er existiert oder nicht, sondern ihn einfach einrichtet - auch in vielen Konfessionen, in Nordrhein-Westtfalen sind es ingesamt acht. Das ist unser Schatz. Den gilt es, immer wieder bewusst zu machen und dafür zu kämpfen. Und dafür sind wir, glaube ich, im Moment in verschiedener Hinsicht ganz gut aufgestellt. 

Das Interview führte Tobias Fricke.


Quelle:
DR