Die gegenwärtige Welle von zivilem Ungehorsam in der katholischen Kirche zeige, dass sich viele Katholiken - bis hin zu Priestern und Bischöfen - nicht mehr einfach etwas vorschreiben ließen, sagte sie am Donnerstag in einem Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) in Bonn. "Autoritäre Ansagen gehen dann nach hinten los - und bedeuten letztlich einen Autoritätsverlust für Rom. Umso wichtiger ist es, die Gläubigen mitzunehmen."
Zuletzt hatte das Nein des Vatikan zur Segnung homosexueller Paare breiten Protest bei deutschen Katholiken ausgelöst. Auch römische Vorgaben zu Gemeindereformen und zum Eucharistie-Empfang von evangelischen Christen hatten Widerspruch ausgelöst.
Synodaler Weg wichtiges Mittel zur Einbeziehung der Gläubigen
Ein wichtiges Mittel zur Einbeziehung der Gläubigen sei der in der katholischen Kirche in Deutschland begonnene Synodale Weg, sagte die Theologin. Aber auch über diesen auf ursprünglich zwei Jahre angelegten Prozess hinaus brauche es ständige Elemente der Mitbestimmung in der katholischen Kirche. "Ohne eine dauerhafte institutionelle Beteiligung der Laien wird es nicht mehr gehen", sagte sie. "Es geht nicht nur um eine kirchliche Verwaltungsgerichtsbarkeit. Laien müssen auf allen Ebenen mitberaten und mitentscheiden können - von den Kirchenfinanzen bis zur Seelsorge."
Die ZdK-Vizepräsidentin räumte ein, dass unter den katholischen Laien im Zentralkomitee die Ungeduld über den Reformprozess wachse und Ergebnisse vom Synodalen Weg gefordert würden. "Deutlich geworden ist auch, dass viele ZdK-Mitglieder, die nicht unmittelbar mit dem Synodalen Weg befasst sind, sich nicht gut informiert fühlen. Wir müssen dringend für mehr Transparenz und Information sorgen."
Die Theologin wandte sich aber gegen Forderungen, in den Debatten des Synodalen Wegs rote Linien und Bedingungen zu formulieren. Das ZdK habe durchaus schon vor dem Synodalen Weg zu vielen Themen klare Positionen entwickelt, etwa zum Diakonat der Frau oder zur Frauenweihe. "Aber wir haben uns auf einen gemeinsamen Weg eingelassen und suchen gemeinsam nach Lösungen", sagte sie.
Deutschland nicht Vorreiter für den weltweiten synodalen Weg
In dem von Papst Franziskus ausgerufenen synodalen Weg für die Weltkirche sieht die Theologin eine Stärkung des Synodalen Weges: "Wahrscheinlich gibt es sehr unterschiedliche Vorstellungen über Inhalt und Ablauf, aber dass nun auch die Weltkirche einen solchen Weg einschlagen soll, zeigt ja, dass etwas in Bewegung gekommen ist". Schon dass der Papst den Begriff des synodalen Wegs übernommen habe, unterstreiche dies.
Lücking-Michel betonte, sie sehe Deutschland nicht als Vorreiter für den weltweiten synodalen Weg. "Diese Rolle wäre nicht angemessen und würde uns auch nicht gut bekommen»", sagte sie. Es gebe in mehreren Ländern inzwischen eine Vielfalt von synodalen Prozessen. Die deutschen Katholiken sollten ihren eigenen Reformdialog voranbringen. "Wir sollten natürlich schauen, wie wir dies mit den römischen Plänen verzahnen."
Wichtig sei, dass die Bischöfe sich auch selbst an die Synodal-Beschlüsse bänden. "Und dass die Themen, die die Weltkirche betreffen, auch wirklich in Rom eingebracht werden."
Nicht-Annahme des Marx-Rücktritts begrüßt
Lücking-Michel begrüßte, dass Papst Franziskus das Rücktrittsangebot des Münchner Kardinals Reinhard Marx abgelehnt habe. Marx sei einer der "Architekten" des Synodalen Wegs in Deutschland. "Von daher hoffe ich, dass er uns als starke Stimme erhalten bleibt und der Papst den Synodalen Weg damit stützen will."
Die Theologin räumte zugleich ein, dass das Schreiben von Papst Franziskus bei ihr mehr Fragen als Antworten zurücklasse. Sie finde es sehr wichtig, dass Marx in seinem Rücktrittsgesuch neben der persönlichen auch die institutionelle Verantwortung hervorgehoben habe, die ein Bischof für die Kirche trägt. "Papst Franziskus spricht in seiner sehr spirituellen Antwort vom Martyrium, das Marx mit seinem Rücktrittsgesuch in Kauf genommen habe. Von der institutionellen Verantwortung der Bischöfe bleibt im Papstbrief nicht viel übrig."
Papst Franziskus hatte im Mai einen weltweiten synodalen Weg angekündigt. Zwei Jahre lang soll damit die nächste Vollversammlung der Bischofssynode in Rom vorbereitet werden. In Deutschland hatten die katholischen Bischöfe und das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) Ende 2019 einen Synodalen Weg begonnen.
Ausgangspunkt ist eine jahrelangen Kirchenkrise, die der Missbrauchs-Skandal verschärft hat.