Wie ein Flüchtling aus dem Südsudan zum Lebensretter wurde

"Der Junge, der niemals aufgab"

Auf diesen Flüchtling wurde geschossen, und man steckte ihn ins Gefängnis. Trotzdem rettet Emmanuel Taban zahlreichen Menschen das Leben - dank Deutschland, Durchhaltevermögen und einer Dose Cola.

Flüchtlinge im Südsudan / © Beatrice Mategwa (dpa)
Flüchtlinge im Südsudan / © Beatrice Mategwa ( dpa )

Er wuchs in einer Lehmhütte auf, ohne Wasser, Toilette und Strom. Später beobachtete der Junge, wie seine Nachbarn einander in einem blutigen Kampf um Ressourcen und Macht erschossen. Als er aus Juba floh, der heutigen Hauptstadt des Südsudans, standen die Chancen auf Erfolg im Leben eigentlich gegen den jungen Bürgerkriegsflüchtling.

Heute ist Emmanuel Taban 44 Jahre alt und rettet das Leben von Covid-Patienten. In seiner Praxis liegt die kürzlich veröffentlichte Biografie des Lungenspezialisten aus: "The Boy Who Never Gave Up" - er ist "der Junge, der niemals aufgab".

Kurz vor dem Erstickungstod

Johannesburg: In einem Krankenhaus am Rande der südafrikanischen Millionenmetropole hat Taban seit Ausbruch der Pandemie mehr als 170 Covid-Patienten vor dem Erstickungstod bewahrt. Er revolutionierte die Bronchoskopie als Behandlungsmethode für blockierte Lungen. Bis dahin war der Eingriff weitgehend nur als Untersuchungsverfahren bekannt. Südafrika feiert den Arzt aus dem 3.500 Kilometer nördlich gelegenen Bürgerkriegsland nun als Lebensretter.

Außergewöhnlich war Tabans Alltag schon immer. "Wir lebten als Selbstversorger, umgeben von Natur", erzählt er über das Leben im ländlichen Sudan. "Ich hatte ein gutes Leben - bis der Krieg ausbrach." Sobald die Kalaschnikows knatterten, floh die Familie in den Busch, wo sie sich oft nächtelang versteckte.

Offiziell ging es bei dem Konflikt um die Unabhängigkeit des Südsudans. Die Sudanesische Volksbefreiungsarmee (SPLA) wehrte sich gegen die Regierung im Norden. "Dem Anschein nach war es ein Kampf zwischen Christen und Muslimen, aber das war nicht der Fall. Es ging um Ressourcen", so Taban. Die Parallele zum Bürgerkrieg der Gegenwart ist für ihn offensichtlich.

Im Einsatz für verhafteten Priester

Mit 14 Jahren landete Taban zum ersten Mal im Gefängnis. Er hatte sich für einen verhafteten Priester eingesetzt. Später beschuldigte man Taban, ein Spion zu sein. "Ich wurde gefoltert und verprügelt", erinnert sich der dreifach diplomierte Mediziner. 1994 beschloss er, wie bereits Hunderte Jugendliche vor ihm, zu fliehen.

Der Arzt Emmanuel Taban, steht vor einer Wand mit seinen Diplomen in Johannesburg / © Markus Schönherr (KNA)
Der Arzt Emmanuel Taban, steht vor einer Wand mit seinen Diplomen in Johannesburg / © Markus Schönherr ( KNA )

Zunächst nach Eritrea, Äthiopien und Kenia. Taban erzählt, wie er aus Pfützen trank und die Nacht zu seinen Stunden machte: "Ich hatte keine Angst vor wilden Tieren, aber vor Menschen und davor, erwischt zu werden." Unterwegs arbeitete er als Tellerwäscher, verbrachte als illegaler Migrant Wochen im Gefängnis, lebte auf Straßen - und wurde in Kenia fast erschossen. In ein Flüchtlingscamp wollte der Südsudanese keinesfalls.

Er misstraute dem System des UNHCR und erkannte schon als 17-Jähriger: "Ich hatte es selbst in der Hand, ob ich scheitern oder Erfolg haben würde."

Cola als Inspirationsquelle

Das lebensverändernde Ereignis war ein Schluck Cola: Auf der Rückseite der Dose fand Taban die Worte "Made in South Africa". Vom Land Nelson Mandelas wusste er zu dem Zeitpunkt kaum etwas. Trotzdem beschloss er, die Tausenden Kilometer zurückzulegen - oft per Anhalter, meist zu Fuß.

Einen besonderen Platz in seinem Herzen hat Taban für Deutschland und die katholische Kirche reserviert. Die Bundesrepublik, weil er hier einen Teil seiner Ausbildung absolvierte und viele seiner Freunde hier leben. 

Die Kirche, weil sie ihn in Juba zur Grundschule schickte und Missionare ihn auf seiner Reise unterstützten. "Sie ist der Grundpfeiler meines Erfolgs", so Taban.

Gedanken an Südsudan

Er fährt einen BMW und wohnt in einem schicken Haus. Trotzdem sei er immer noch nicht angekommen, meint Taban: "Ich wurde aus einem bestimmten Grund im Südsudan geboren." 

2011 erlangte die Nation ihre Unabhängigkeit. Zwei Jahre später brach erneut ein Bürgerkrieg aus, dieses Mal zwischen den beiden SPLA-Gruppen und deren Anführern, Präsident Salva Kiir Mayardit und Oppositionsführer Riek Machar.

Das Problem vermutet Taban in der "Denkweise" der Südsudanesen: "Jeder fühlt sich unfair behandelt" - dies in Verbindung mit einfachem Zugang zu Waffen habe seine Heimat zerstört. 

Laut Taban starren die gierigen Machteliten auf ein Glas Milch - aber ohne sich zu fragen, "wie könnten wir die Kühe füttern, um noch mehr Milch zu bekommen." Dieses Problem ziehe sich durch alle Generationen.

Am Frieden mitwirken

Taban möchte im Südsudan seine "eigene Statue" bauen - anders als die gierigen Eliten aber keinen weiteren Prunkklotz, sondern ein Erbe. "Die Chinesen kommen nach Afrika und bauen dir eine schöne, breite Straße. Währenddessen sitzen unsere Jugendlichen unter einem Baum und haben keine Ahnung, wie sie diese Straße erhalten sollen. Dabei sollten sie diejenigen sein, die mit ihren Fähigkeiten die Straße bauen."

Der "Junge, der niemals aufgab" will nach eigenen Worten am Frieden mitwirken und zugleich ein "Fundament" für die nächste Generation gießen. "Dieses Fundament wird Bildung sein. Wenn ich durch meine Geschichte nur ein einziges Leben verändern kann, bin ich glücklich."

Südsudan

Papst-Reise in den Südsudan: Menschen warten auf die Ankunft von Papst Franziskus / © Gregorio Borgia/AP (dpa)
Papst-Reise in den Südsudan: Menschen warten auf die Ankunft von Papst Franziskus / © Gregorio Borgia/AP ( dpa )

Das afrikanische Land Südsudan erlangte am 9. Juli 2011 seine Unabhängigkeit vom Sudan und wird deswegen auch als "jüngster Staat der Erde" bezeichnet. Hauptstadt ist Juba. Auf einer Fläche von der ungefähren Größe Frankreichs leben rund zwölf Millionen Menschen. Das Durchschnittsalter der Bevölkerung liegt bei gerade einmal 17 Jahren.

Die Einwohner gehören einer Vielzahl unterschiedlicher Ethnien an; die größte Gruppe stellen mit 35 Prozent die Dinka. Anders als im muslimisch geprägten Sudan überwiegen im Südsudan die Christen.

Quelle:
KNA