Online-Hearing des Erzbistums Berlin zum Umgang mit Missbrauch

Wenn der Bischof nach seiner Schuld fragt

Zwei Stunden lang hat Erzbischof Heiner Koch bei einem Online-Hearing ein Stimmungsbild aus dem Erzbistum Berlin zum Thema Missbrauch eingeholt. Die Erkenntnisse sind so vielfältig wie ernüchternd.

Autor/in:
Gregor Krumpholz
Erzbischof Heiner Koch / © Harald Oppitz (KNA)
Erzbischof Heiner Koch / © Harald Oppitz ( KNA )

"Hören, Hören, Hören" mahnt eine Teilnehmerin. Bei einem Online-Hearing des Erzbistums Berlin zum Umgang mit sexuellem Missbrauch und den Betroffenen sprach sie am Dienstagabend allen auf dem Podium aus der Seele. Doch wie geht das in Zeiten, in denen die Pandemie oft das Gespräch von Angesicht zu Angesicht verhindert? Mit Angeboten in den Sozialen Medien erprobt das Erzbistum Berlin neue Formen des Austauschs auch bei diesem schwierigen Thema.

Vor einer Woche war es eine "Online-Sprechstunde" mit Erzbischof Heiner Koch und seinem Generalvikar, Pater Manfred Kollig. Bis zu 50 Teilnehmende wären nach einer verbindlichen Anmeldung möglich gewesen, es waren dann 20, zumeist haupt- und ehrenamtlich engagierte Katholiken. Nach dem zweistündigen Gedankenaustausch in großer Runde konnten sie sich anschließend zum vertraulichen Gespräch an die Beauftragten für Verdachtsfälle sexuellen Missbrauchs, die Psychotherapeutin Dina Gehr Martinez und die Juristin Birte Schneider, wenden.

Hearing auf Youtube

Im - nun öffentlichen - Hearing auf Youtube hatte die Bistumsleitung jetzt erneut eingeladen, "Unmut und Ärger zu hören und gleichzeitig Rede und Antwort zu stehen". Ein Betroffener machte den Auftakt. Bei der Aufarbeitung müsse es zuerst "um Schicksale, um gestörte Biografien, um zerstörte Hoffnungen und Träume" gehen, mahnte Johannes Norpoth. Nach selbst erlittener sexualisierter Gewalt durch einen Kaplan engagiert er sich im Betroffenenbeirat der Deutschen Bischofskonferenz. Er betonte, dass andere "das erlebte Trauma bisher nicht haben überwinden können".

Abgeschlossen ist das Thema auch für andere längst nicht. Matthias Patzelt, Pfarrer in Brandenburg an der Havel, räumte ein, vor allem mit Hilfe der Präventionsangebote einen "Lernprozess" bei der Einschätzung von Missbrauch gemacht zu haben. "Wie falsch ist eine Kultur, die der Institution mehr Wert einräumt als einer Person", zeigte er sich erschüttert. Die Veröffentlichung der 61 aktenkundigen Fälle von Geistlichen des Erzbistums aus 75 Jahren, die des Missbrauchs beschuldigt werden, auf der Homepage des Erzbistums haben dem Priester wie anderen auf dem Podium die Dimension des Missbrauch anschaulich gemacht - und "tief erschüttert", so Diakon Ralph-Dieter Feigel.

Patzelt hat auch kritische Anfragen an das Gutachten der Anwaltskanzlei Redeker Sellner Dahs. Er empfindet es als "nachhaltig vertrauenszerstörend", wenn persönliche Aufzeichnungen des früheren Erzbischofs, Kardinal Georg Sterzinsky, von Gesprächen mit Priesteramtskandidaten ins Internet gestellt werden.

Tom Urig vom Diözesanrat der Katholiken warnte davor, die Verantwortung nur kirchlichen Amtsträgern zuzuschieben. "Auch Laien haben verschleiert, vertuscht und verharmlost", räumte das Mitglied der höchsten Laienvertretung im Erzbistum ein. Pastoralreferentin Lissy Eichert, bekannt auch als eine Sprecherin beim "Wort zum Sonntag" in der ARD, betonte ebenfalls: "Lösungen dürfen wir nicht nur von Bischöfen oder Rom erwarten."

Drastische Worte einer Religionslehrerin

Doch in den Kirchengemeinden ist Missbrauch längst nicht selbstverständlich Thema, wie Gemeindereferentin Monika Patermann bedauerte. Wer etwa in der Krankenhausseelsorge mit Menschen zu tun hat, die der Kirche fernstehen, begegnet nach ihrer Erfahrung zumeist großem "Unverständnis". Religionslehrerin Christiane Krost kommentierte dies mit drastischen Worten: "Wir tragen jeden Tag unsere Haut zu Markte."

Im Hearing wurde die Rolle des Berliner Kirchenrichters Achim Faber, der im Gutachten mehrfach genannt wird, thematisiert. Dabei ging es um die Frage, wer welche Verantwortung für unsachgemäßen Umgang mit Missbrauchsfällen trug. Die Gutachter waren zu der Einschätzung gekommen, dass die Bistumsleitung den Konsistorialrat trotz "offenkundiger Schwächen" in seinen Berichten und "Wissenslücken" im Kirchenrecht immer wieder mit kirchlichen Voruntersuchungen zu Missbrauchsfällen betraut habe.

Generalvikar Kollig widersprach der Kritik nicht. Doch er wandte sich dagegen, "die ganze Schuld zu personalisieren". Es stelle sich auch die Frage, ob das Erzbistum Faber für diese Aufgabe genug qualifiziert und genug Zeit zur Verfügung gestellt habe, räumte er ein.

"Es nimmt mir den Atem, es lässt mich traurig und verzweifelt sein", reagierte Erzbischof Koch auf das Stimmungsbild aus dem Erzbistum. "Ich frage mich, wo bin ich schuldig geworden?" In seiner grundsätzlichen Entscheidung, wie er mit dem Thema Missbrauch umgehen will, hat ihn das Hearing bestärkt: "Mir stehen die Menschen vor Augen."


Quelle:
KNA