Vatikanexperte blickt auf diplomatische Beziehungen zum Vatikan

"Eine spannende Geschichte"

Seit 100 Jahren unterhalten der Vatikan und Deutschland diplomatische Beziehungen. Dafür kam Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin nun extra nach Berlin. Vatikanexperte Ulrich Nersinger blickt zurück auf Höhen und Tiefen der Beziehung.

Pietro Parolin und Frank-Walter Steinmeier / © Gordon Welters (KNA)
Pietro Parolin und Frank-Walter Steinmeier / © Gordon Welters ( KNA )

DOMRADIO.DE: Schauen wir mal auf den Anfang dieser diplomatischen Beziehungen vor 100 Jahren. Wie war denn damals das Verhältnis zwischen der deutschen Politik und dem Vatikan?

Ulrich Nersinger (Vatikanexperte): Zunächst einmal tue ich mich ein bisschen schwer, das auf 100 Jahre zu begrenzen, denn wir hatten ja schon viel früher Apostolische Nuntien und Nuntiaturen in Deutschland. Die Erste schon im 16. Jahrhundert und Bayern hatte sie dann seit 1785.

Aber so richtig mit dem Deutschen Reich, aus dem dann natürlich auch die Bundesrepublik sich entwickelte, haben wir eben diese 100 Jahre. Diese 100 Jahre sind eigentlich eine sehr spannende Geschichte – und sie sind im Grunde auch eine Erfolgsgeschichte.

DOMRADIO.DE: Inwiefern sind sie eine Erfolgsgeschichte?

Nersinger: Weil wir natürlich keine allzu großen Spannungen hatten. Wenn wir natürlich von den Zeitumständen absehen, also vom Dritten Reich zum Beispiel und von gewissen politischen Erwägungen, ist es doch eigentlich eine Erfolgsgeschichte geworden, weil wir natürlich auch von Anfang an sehr gute Nuntien hatten.

Der erste Nuntius beim Deutschen Reich war Eugenio Pacelli, der spätere Papst Pius XII. – damals der Spitzendiplomat des Vatikans, der dann auch ein Konkordat oder mehrere Konkordate mit dem Deutschen Reich oder mit den einzelnen Ländern zustande gebracht hat.

Das ist schon mal eine sehr wichtige Sache. Auch nach dem Zweiten Weltkrieg war dann eigentlich der Vatikan so mit der erste, der diplomatisch in Deutschland vertreten war und dann Deutschland eigentlich immer sehr wohlwollend begleitet hat.

DOMRADIO.DE: Aber genau zu der Zeit, wie war das denn? Da hatten wir ja nun die Bundesrepublik und die DDR. Deutschland war geteilt. Gab es da auch zwei Nuntiaturen?

Nersinger: Nein, es gab eine Nuntiatur. Die Nuntiatur in Bonn, die dann später natürlich nach der Wiedervereinigung nach Berlin wechselte. Aber es gab nur in Bonn eine. Und das ist so ein kleiner Knackpunkt. Sehr lange Zeit hat man natürlich das alles beschränkt auf Westdeutschland.

Und dann gab es einen gewissen Punkt, das war nur wenige Jahre vor der Wiedervereinigung, wo die DDR darauf drängte, eine eigene Nuntiatur zu bekommen und wo auch Rom dazu sehr geneigt war. Im Grunde stand es kurz davor, dass man in Rom überlegte, so etwas zu machen, aber dann kam natürlich die Wiedervereinigung.

DOMRADIO.DE: Gab es aus Ihrer Sicht in den 100 Jahren einen Höhepunkt der Beziehungen und vielleicht auch einen Tiefpunkt. Fällt Ihnen da was ein?

Nersinger: Ja, als Höhepunkt würde ich trotz der Zeitumstände die Zeit ansehen, in der Eugenio Pacelli, der spätere Papst Pius XII. Nuntius in Deutschland war, weil er jemand war, der sich wirklich auseinandergesetzt hat mit Deutschland – und der Deutschland positiv gegenüberstand, der aber auch sehr früh schon die Gefahren gesehen hat.

Er besaß im Übrigen auch einen gewissen Mut. Von Diplomaten erwartet man ja eigentlich immer auf dem Parkett der Politik, dass sie so vornehm sind und dass nichts passiert. Aber schon als Nuntius in Bayern musste Pacelli sich ja auseinandersetzen mit den politischen Umständen. Nach dem Sturz der bayerischen Regierung, des Königshauses, wurde seine Nuntiatur von Spartakisten besetzt. Und zum ersten Mal sah sich dann ein Nuntius in Deutschland einer Pistole gegenüber.

Also, da hat er sehr viel Mut bewiesen. Und er hat auch versucht, in der Zeit der Weimarer Republik eine gute, positive Atmosphäre zu schaffen und dann auch das Reichskonkordat, das natürlich später dann von den Nazis nicht eingehalten wurde. Aber die Absichten waren immer sehr gut und die Intentionen auch.

Negative Punkte kann man natürlich einige nennen. Wir haben zum Beispiel dann viele Jahrzehnte später die Auseinandersetzungen mit dem Nuntius Bafile und und dem Limburger Bischof Kempf, wo es um gewisse dogmatische oder disziplinäre Sachen ging und wo der Nuntius auf die Abberufung des Bischofs drängte, was dann aber nicht geschehen ist. Also das ist immer eine wechselvolle Geschichte. Aber im Großen und Ganzen können wir eigentlich von einer sehr positiven Atmosphäre reden.

Das Interview führte Martin Mölder.


Vatikanexperte Ulrich Nersinger (EWTN)
Vatikanexperte Ulrich Nersinger / ( EWTN )

Papst Pius XII. / © KNA-Bild (KNA)
Papst Pius XII. / © KNA-Bild ( KNA )

Nikola Eterovic / © Werner Schüring (KNA)
Nikola Eterovic / © Werner Schüring ( KNA )
Quelle:
DR
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