DOMRADIO.DE: Papst Franziskus hat seinen Lieblingsfilm verraten - "La Strada - Das Lied der Straße" von Federico Fellini aus dem Jahr 1954. Passt das zu ihm?
Dr. Markus Leniger (Vorsitzender der katholische Filmkomission Deutschland): Ja, meiner Meinung nach passt das sehr gut. Das Jahr 1954 zeigt, wann er filmisch sozialisiert wurde. In den letzten Jahren ist er wahrscheinlich weniger ins Kino gekommen, aber es passt auf jeden Fall zu ihm, denn "La Strada" ist kein Wohlfühlfilm, auch kein religiöser Erbauungsfilm, wie man das vielleicht erwarten könnte, sondern es ist ein sehr wahrhaftiger Film über menschliche Beziehungen, über die Liebe, über Treue, über Verlust, Schuld und Reue.
Es geht um die Geschichte von Gelsomina, gespielt von Giulietta Masina, die Frau von Regisseur Federico Fellini, die an einen starken Mann, dem Zirkuskünstler Zampano - gespielt von Anthony Quinn - verkauft wird. Sie leidet als seine Dienerin unter seiner Gewalttätigkeit, verlässt ihn aber trotz aller Demütigungen nicht.
Zampano ist unfähig, die Liebe zu erkennen, geschweige denn auf sie liebevoll zu reagieren. Er ist im Zirkus der Kettensprenger. Der Witz ist aber, dass er die ganze Zeit über in seiner Gewalttätigkeit gefangen ist und diese Ketten erst ganz zum Schluss los wird.
DOMRADIO.DE: Franziskus hat in seinem Lehrschreiben "Amoris Laetetia" auch einen anderen Film lobend erwähnt - den dänischen Film "Babettes Fest" von 1987 - was hat es mit dem auf sich?
Leniger: Ja, das passt natürlich wunderbar zu Amoris Laetitia, denn es ist auch ein Film über die Liebe, aber ein dänischer Film nach einer Erzählung von Tania Blixen. Ein Film über die Liebe, die durch den Magen geht, könnte man sagen. Es geht um eine französische Meisterköchin, die 1871 nach dem Deutsch-Französischen Krieg ihre Heimat verlassen muss, Flüchtling ist und in einem Kaff in Dänemark landet, das total dominiert ist von einer sehr freudlosen puritanischen Form des Protestantismus.
Essen kennt man da eigentlich nur zur Erhaltung der Körperfunktionen und sie lädt aus Dankbarkeit dafür, eine neue Heimat gefunden zu haben, einige dieser Dorf-Honoratioren zu einer Agape ein, aber nicht eine Agape mit Brot und Wein, sondern wirklich auf Sterneküchenniveau. Etwas, was man dort überhaupt nicht kennt.
Die Skepsis der Gäste ist ziemlich groß, aber sie findet den Weg in die Herzen dieser Menschen. Und das passt natürlich zum Papst super, weil es im Grunde zwei seiner Anliegen aufzeigt: Liebe als Grundhaltung und Offenheit jedes Menschen und jedes Christen und zweitens das Thema der Gastfreundschaft für Fremde, die Zuflucht bei uns suchen und die uns vielleicht etwas mitzuteilen haben, was wir bislang gar nicht auf dem Schirm hatten.
DOMRADIO.DE: Dem Papst schwebe eine Art Mediathek für audiovisuelles Erbe vor, heißt es in dem Buchauszug. Das ist ein bisschen vage und die Grundfrage ist, ob Franziskus ein analoges oder digitales Archiv meint. Was meinen Sie?
Leniger: Ja, da kann man wirklich rätseln. Wenn es ein physisches Archiv wäre, vielleicht sogar ein analoges mit 35-Millimeter-Kopien, dann wäre das natürlich ein Alleinstellungsmerkmal. Dann könnte das so etwas sein wie eine Arche der Langzeit-Archivierung. Denn 35-Millimeter-Kopien sind auch heute immer noch die beständigsten Bild- und Datenträger.
Alles, was im digitalen Bereich stattfindet, braucht riesige Serverkapazitäten und eine ständige Erneuerung der technischen Infrastruktur. Diese 35-Millimeter-Kopien ließen sich natürlich auch mit einem Projektor des Jahres 1950 noch tadellos abspielen. Und der Charme wäre, vielleicht jedes Jahr auf dem großen Vorplatz von St. Peter ein Filmfestival mit diesen 35-Millimeter-Kopien zu veranstalten.
DOMRADIO.DE: Sie sind schon allein von dem Vorhaben an sich fasziniert, oder?
Leniger: Absolut. Es ist gut, wenn der Papst sich für den Film ausspricht und auch etwas von seinen Vorlieben für Filme erzählt. Ein solches Wort des Papstes sorgt für Aufmerksamkeit für Filme, die eben mehr sind als bloße Unterhaltung oder Zerstreuung. Filme, die als Kunst das Leben der Menschen bereicheren und Impulse geben.
Ich fühle mich persönlich in meiner Arbeit dadurch sehr bestärkt. Ich weiß, dass auch in Rom jemand sitzt, der diese Art von Film mag und daraus etwas für sein Leben und auch für sein Wirken in der Kirche gewonnen hat.
Das Interview führte Uta Vorbrodt.