DOMRADIO.DE: Sie hatten in der Nacht des starken Regens noch das Auto in Sicherheit gebracht, und dann haben Sie es nicht mehr nach Hause geschafft. Wie haben Sie diese Nacht letztlich verbracht?
Renate Steffes (Pfarrsekretärin von Sankt Laurentius in Ahrweiler): Ich war auf dem Heimweg. Da hat mein Mann mich kurz angerufen und gefragt, wo ich sei. Ich solle da bleiben, wo ich bin. Er wollte mich unbedingt davon abhalten, nach Hause zu kommen. Ich sagte, ich stünde doch nur mit den Knöcheln im Wasser. Wo das Problem sei? Ich würde jetzt nach Hause kommen. Ich bin ein paar Meter weiter und stand auf einmal in hohem Wasser. Ich habe mich dann an der Hauswand zu Bekannten entlanggehangelt, in der Hoffnung, die wären zuhause. Aber das war ein Trugschluss. Da war niemand mehr im Haus.
Ich habe mich dann an den Handlauf des Hauses gehalten, weil von links das Wasser kam. Es stieg und stieg. Ich stand hüfthoch im Wasser. Dann wurde das Haus von hinten durchflutet. Die Haustür brach heraus und das war mein Glück. Ich konnte mich die Stufen emporhangeln und habe mich vor die obere Etagentür gesetzt. Das Wasser stieg und stieg. Es war schlimm. In dem Moment bekam ich richtig Angst, denn für mich war der Fluchtweg nach oben in diesem Moment verschlossen und das Wasser stieg.
Dann habe ich mein Handy genommen und habe meiner Familie noch eine WhatsApp geschrieben: "Ich habe euch alle lieb". Ich habe wirklich gedacht, wenn das Wasser weiter steigt, weißt du nicht wohin. Du bist jetzt hier gerade ein bisschen gefangen. Ich habe die nassen Kleidungsstücke ausgezogen und wollte sie über die Türklinke hängen. Dann ging die Tür auf und ich konnte in die obere Wohnung des Hauses.
Ich habe noch gedacht, morgen, wenn das Wasser weg ist, hast du Hausfriedensbruch begangen, dann musst du dich ja melden. Aber ich war in dem Moment dann in Sicherheit. Das Wasser hatte nur die halbe Treppe erreicht. Ich habe meinem Mann kurz Bescheid gesagt, dann musste ich das Handy abschalten, der Akku war fast leer.
Dann habe ich die Nacht in dieser Wohnung verbracht. Es war die Wohnung einer guten Freundin meiner Schwiegertochter. Von daher war ich nicht so in fremden Gefilden.
DOMRADIO.DE: Im Grunde hatten Sie sich von ihrer Familie verabschiedet?
Steffes: Ja, genau so war es. Ich habe immer wieder mal aus dem Fenster geschaut und konnte dann nach drei, vier Stunden erkennen, dass der Pegel deutlich sank. Morgens um sechs Uhr habe ich für mich gedacht: "Jetzt willst du nach Hause." Ich hatte nur noch eine Ecke, es waren wenige hundert Meter, die ich noch gehen musste. Dann habe ich das auch so gemacht. Ich habe meine Sachen wieder zusammengepackt und bin runter. Die Strömung war sehr stark. Es war nicht einfach, ein stilles Hochwasser.
Aber ich habe mich dann auf den Weg gemacht. Ich kannte den Weg. Ich wusste, da ist ein Bordstein, da ist ein Mäuerchen vom Nachbarn. Dann kam eine Schneeschaufel geschwommen. Die habe ich benutzt, um zu tasten: Wo geht es hin, wo ist was? Das war eine große Hilfe für mich. Aber ganz schlimm war der erste Schritt ins Wasser. Damit hatte ich überhaupt nicht gerechnet. Das Wasser ging noch bis zur Mitte der Oberschenkel hoch. Ich konnte mich halten, aber ich bin gerutscht, weil es alles schlammig war.
Und das ist auch heute noch ein ganz großes Problem. Die Straßen sind einfach schmutzig, weil die Ahr sehr viel Schlamm mitgebracht hat.
DOMRADIO.DE: Was haben Sie in der Nachbarschaft der kleinen Stadt Ahrweiler mitbekommen?
Steffes: Eine Straße weiter lebte eine Dame, die alleine und pflegebedürftig war, in Parterre. Am nächsten Morgen wurde sie durch den Pflegedienst gefunden. Da war kein Mensch im Haus. Entweder waren die Nachbarn gar nicht mehr zuhause oder wahrscheinlich waren sie in Todesangst. Man hat die Frau auf jeden Fall aus den Augen verloren. Das ist ganz schlimm für mich. Ganz, ganz schlimm.
DOMRADIO.DE: Weil Sie das Gefühl haben, Sie hätten doch was tun müssen?
Steffes: Ja, oder können. Aber das ist nicht in Worte zu fassen, dieses Gefühl der Ohnmacht.
DOMRADIO.DE: Sie haben viele Dinge in den Fluten verloren. Auch sehr persönliche Erinnerungen.
Steffes: Ja, meine Mutter ist vor 49 Jahren gestorben. Da war ich noch ein junges Mädchen. Ich habe vieles aufbewahrt, von dem ich dachte, so kannst du daran festhalten. Es ist alles weg. Ich habe kein Hochzeitsalbum mehr. Wir hatten früher Videos gemacht von den Kindern, alle weg. Ich war zweimal in Israel im Heiligen Land. Alle Erinnerungen, die ich mitgebracht habe. Alle Fotos. Alles weg. Mein Hochzeitskleid. Weg. Alles.
DOMRADIO.DE: Wie geht es Ihnen denn jetzt? Nachdem fast drei Wochen herum sind, haben Sie das Gefühl, der Schrecken lichtet sich?
Steffes: Nein. Also mir persönlich geht es von Tag zu Tag schlechter. Es ist nichts mehr da. Und auch weil es jetzt im Moment wieder regnet. Dann ist es matschig und schlammig. Sobald ich anfange, mit den Füßen in diesen Matsch zu kommen und rutsche, dann ist mir ganz elend, mir ist schlecht. Das kann ich gar nicht so beschreiben, weil ich dann einfach wieder diese Ängste habe, wegzurutschen in die Fluten.
Um uns herum wird geräumt und gemacht. Es geht vorwärts. Das ist wirklich zu erkennen. Aber ich persönlich muss sagen, im Moment wird es von Tag zu Tag noch schlechter.
DOMRADIO.DE: Wie versuchen Sie sich Hilfe zu holen?
Steffes: Ich habe gute Kontakte. Ich habe gute Gespräche mit meiner Familie und ich weiß, wo ich anrufen kann, wenn ich den Punkt erreiche, an dem ich Unterstützung und professionelle Hilfe brauche. Das habe ich alles an der Hand. Aber wir sind berufstätig. Wir haben noch eine eigene Firma, die genauso gelitten hat. Man ist im Moment noch in dem Modus "arbeiten, arbeiten, arbeiten, weiter, weiter, weiter, weiter". Für den Fall weiß ich, wohin ich mich wende. Ansonsten habe ich meine Familie, die mich sehr, sehr stützt und trägt.
DOMRADIO.DE: Sie sind ja auch Pfarrsekretärin in der Gemeinde Sankt Laurentius. Ist der Pfarrer für Sie auch ein Ansprechpartner?
Steffes: Ja, auf jeden Fall. Wir haben mehrere Geistliche in der Pfarrei, die sind alle erreichbar.
DOMRADIO.DE: Was wünschen Sie sich jetzt gerade am meisten?
Steffes: Einen schnellen, harmonischen Wiederaufbau der Nachbarschaft. Dass die Straße wieder wohnlich wird. Vor allen Dingen, dass die Nachbarn bleiben. Viele spielen mit dem Gedanken, wegzuziehen, nicht mehr zurückzukommen in ihre Wohnungen oder Häuser. Die Angst ist einfach zu groß.
Für mich ist das gar kein Thema. Wir bleiben. Und ich wünsche mir, dass die ehrenamtlichen Helfer ein bisschen unterstützt werden. Weil ohne diese ehrenamtlichen Helfer, die gekommen sind und am ersten Tag da waren, wären wir hier in Schutt und Asche versunken. Man muss es so sagen.
Das Interview führte Uta Vorbrodt.