Autor und Kampfsportler zieht aus Kampfkunst Mut und Hoffnung

Kämpferherz und Gottvertrauen

Autor und Kampfsportler Ronny Kokert hilft jungen geflüchteten Menschen, ihre Ängste zu überwinden und in Freiheit zu leben. Im Himmelklar-Podcast erzählt er, wie sein Training bei der Überwindung von Konflikten oder Krisen helfen kann.

Ronald Kokert / © Lukas Beck (privat)
Ronald Kokert / © Lukas Beck ( privat )

Himmelklar: Vor einiger Zeit haben wir uns gewundert: Steigende Corona-Infektionszahlen bei Ihnen in Österreich – trotzdem hat Bundeskanzler Kurz entschieden, alle Maßnahmen zu lockern. Inzwischen haben sie dann die dritte Impfung für ab Oktober beschlossen. Wie ist die Lage momentan?

Ronald "Ronny" Kokert (Autor, ehemaliger Kampfsport-Weltmeister und Begründer der "Shinergy"-Trainingsmethode): Die Lage ist relativ ungewiss. Die Menschen wissen im Prinzip nicht, was jetzt kommt. Es gibt ziemliche Unsicherheit, Verunsicherungen und ich denke, dass das Einhalten dieser 3G-Regel, der wir uns da unterworfen haben, im Moment das Wichtigste ist. Und daran halten sich alle. Das ist mittlerweile auch zum Alltag geworden.

Himmelklar: Wie hat sich dieser Alltag für Sie persönlich verändert?

Kokert: Ich habe ein Trainingszentrum in Wien, das ich sehr lange zusperren musste. Ich habe diese Zeit aber auch genutzt, um innezuhalten und um zu schauen, wo die Reise hingehen soll. Ich habe ein Buch in dieser Zeit geschrieben und wirtschaftlich bekamen wir in dieser Zeit auch ganz großartige Unterstützung von Österreich. Das Problem ist jetzt das Wiederaufsperren gewesen, denn jetzt mussten wir wieder aufsperren im Mai, wenn eigentlich die Hauptsaison vorbei ist. Da stehen wir jetzt ein bisschen vor einer Herausforderung. Aber ich bin das gewohnt und stelle mich gerne dieser Herausforderung.

Himmelklar: Eine der Herausforderungen haben Sie ja schon ganz früh in Ihrem Leben erlebt: Eine Krankheitserfahrung schon als Kind mit 13 Jahren. Die zeichnet ja auch Ihr Leben. Den Kampf gegen die Knochenmarkserkrankung damals und die Prognosen der Ärzte haben Sie dann aufgenommen. Hat Sie das jetzt auch für den Umgang mit dem Coronavirus und der Pandemie-Situation geprägt?

Kokert: Ich glaube, das hat mich für mein Leben geprägt. Denn als ich die Diagnose einer Knochenmarksentzündung und die Aussicht auf ein Leben ohne Sport von den Ärzten bekam, hat das mein Kämpferherz sozusagen erweckt.

Da habe ich mich begonnen zu interessieren, zu faszinieren für die Kampfkunst und für diesen Spirit der Kampfkunst: Widerstände aufzulösen, kämpfen zu lernen und nicht mehr kämpfen zu müssen. Ich habe diese innere Stärke der Samurai bewundert und habe da alles verschlungen zu diesem Thema, ich habe alle Bücher verschlungen und hab dann auch begonnen zu trainieren. Und das hat sozusagen mein Kämpferherz erweckt und hat meinen Weg geprägt.

Himmelklar: Was ist das genau, was Sie da dann gewappnet hat für Ihr weiteres Leben? Was macht Sie da so stark?

Kokert: Der Umgang mit dem Scheitern, der Umgang mit Schicksalsschlägen und diese Zuversicht, in jedem Moment den Augenblick wahrzunehmen, die Vergangenheit ruhen zu lassen und mit Zuversicht in die Zukunft zu blicken. Gegenwärtig zu sein, im Augenblick zu sein und zu erkennen, dass jeder äußere Widerstand immer nur ein Spiegel eines inneren Widerstandes ist, wo unser Ich, unser Ego kämpft gegen das Nicht-Ich und sich ständig beweisen muss und ständig da irgendwie kämpfen muss.

Und Selbsterkenntnis, Selbstverwirklichung hat immer damit zu tun, sich auch mit den eigenen Schattenseiten zu konfrontieren, mit Teilen der Persönlichkeit wie Angst, Kampf, Aggression, – Teilen, die in allen von uns stecken. Diesen Teilen Raum zu geben und konstruktiv damit umgehen zu lernen. Seine Persönlichkeit zu entwickeln, heißt sich auszudehnen. In den alten Schriften sagt man auch: Welt zu essen, sein Selbst zu verwirklichen.

Das ist ein steiniger Weg. Der fordert auch Mut, sich zu konfrontieren und hat nichts mit dieser Selbstoptimierung zu tun, wo wir uns gerade finden. Denn wenn viele Leute, die sich so für Selbstverwirklichung interessieren, wüssten, was sie am Ende erwartet, würden sie gar nicht weggehen. Denn am Ende gibt es dich nicht mehr. Denn das Ich wird aufgelöst und man wird eins mit seiner Umgebung.

Himmelklar: Müssen wir denn auch bei der Pandemie jetzt dagegen kämpfen, gegen das Virus angehen? Ist das der richtige Weg?

Kokert: Kämpfen ist ja grundsätzlich nichts Schlechtes. Man muss aber nicht unbedingt immer gegen etwas kämpfen. Man kann ja durchaus auch für etwas kämpfen: für die Gesundheit, für den Schutz unserer Mitmenschen und für eine Bewältigung dieser Krise. Da ist Energie gefragt und da ist ein Miteinander gefragt. Und da ist es gefragt, sich damit zu konfrontieren und diese Herausforderung auch anzunehmen.

Himmelklar: "Shinergy" heißt das, was Sie da machen, fasst das ganz gut zusammen. Das lehren Sie auch inzwischen an der Universität in Wien schon seit einigen Jahren. Und solche Tipps und Hilfen geben Sie ja auch als Trainer im Kampfsport, in der Kampfkunst weiter, Taekwondo und Kickboxen zum Beispiel. Ein Weg zu dieser mentalen Stärke, die Sie da benennen?

Kokert: Ein Weg, ja, ein sehr direkter Weg, weil die Kampfkunst bei "Shinergy" als Trainingskonzept direkt reingeht in den Konflikt. Wir machen den Konflikt bewusst auf der kleinsten Ebene, wo er sichtbar wird, nämlich diesen körperlichen Kampf, diese Selbstverteidigung und zeigen dort einen Weg heraus.

Im ersten Schritt "Erkenne dich selbst", da geht es um die Innenschau. Da geht es um Gegenwärtigkeit, um diese Leichtigkeit und Gewandtheit. "Erkenne den Gegner", da geht es auch um die Selbstverteidigung. Denn auch wenn man an sich selber arbeitet, von den Mitmenschen kann man das nicht immer erwarten. Ständig ist man mit Abwertungen und Angriffen auf subtilen Ebenen konfrontiert. Sich da verteidigen zu können, ermöglicht auch, mit einem offenen Herzen durch die Welt zu gehen.

Aber als letzten und wichtigsten Schritt: die Verbindung. "Erkenne dich selbst im Gegner" – erkenne, dass die äußere Wirklichkeit immer nur ein Spiegel deiner Innen-Wirklichkeit ist und werde eins. Dann kehrst du sozusagen zurück vom Alleinsein zum All-Eins-Sein.

Himmelklar: Dieses Training, in dem Sie das ja vermitteln, bieten Sie jetzt schon seit einigen Jahren auch schwer traumatisierten, geflüchteten jungen Menschen an. Die Kritik an dem Projekt "Freedom Fighters": Warum bringen Sie denen auch noch bei, wie man kämpft? Aber: Warum machen Sie es?

Kokert: Gerade deshalb, weil das junge Männer sind, die vor Krieg und Terror geflüchtet sind, die schwer traumatisiert sind, die eine unsägliche Angst und unsägliches Leid erlitten haben und die hier angekommen sind. Die habe ich getroffen und ich habe genau gewusst, ich bin mit meinem Handwerk da am richtigen Platz. Ich habe gewusst, ich kann mit meiner Kampfkunst, mit "Shinergy", mit meiner Trainingsmethode, diese jungen Männer und Frauen wappnen für ein Leben in Freiheit.

Denn: Wie kann man denn mit Angst, wie kann man denn mit Wut und mit dieser Aggression besser umgehen lernen, als wenn man sich damit konfrontiert und einen konstruktiven Umgang damit findet. Hineingehen in den Schatten, das ist unser Weg. In unserer Gesellschaft werden immer so Persönlichkeitsanteile verneint. So wie kleine Kinder glauben, man hält sich die Augen zu und ist unsichtbar, glauben viele Menschen, dass wenn man diese Seiten seiner Persönlichkeit nicht anschaut, sind die auch weg. Im Gegenteil, die wuchern dann im Schatten.

Wir schauen hin. Wir lernen zu kämpfen, um nicht mehr kämpfen zu müssen. Ziel der Kampfkunst ist immer das achtsame miteinander Umgehen, ist die friedliche und konstruktive Lösung von Konflikten und die Fähigkeit, einen Konflikt und eine Krise auch als Chance und als Kraftquelle zu nutzen.

Himmelklar: Und diese Menschen, die das ja dann anwenden, die kennen Sie nicht nur aus Österreich, sondern Sie haben sich auch selbst ein Bild gemacht von den Geflüchteten-Lagern in Moria und Kara Tepe auf Lesbos. Wie ist die Situation mittlerweile – also jetzt mit Corona?

Kokert: Ja, ich konnte da nicht mehr tatenlos zusehen, wie Menschen dort leben, leiden und sterben mitten in Europa. Ich bin da zum ersten Mal vor eineinhalb Jahren hingefahren, habe mich ins Lager Moria hinein geschummelt mit einem Trick. Ich habe dort gefilmt und die Bilder auch veröffentlicht, damit die Menschen sehen, wie dort eben jedes Menschenrecht gebrochen wird. Wie Menschen auf dem nassen Boden leben, leiden, sterben, nichts zu essen haben, keine sanitären Anlagen. Ich war dann noch zweimal dort im neuen Lager Kara Tepe, wo sich die Lage um keinen Deut verbessert hat. Habe mich da wieder reingeschummelt und habe dieses Mal Spenden überbracht. Ich habe eine Spendenaktion gestartet in Österreich und habe dieses Geld direkt den Menschen dort in den Zelten in Kara Tepe übergeben.

Ein kleiner Tropfen, gewiss, das ist mir bewusst. Aber für die Menschen, denen ich dieses Kuvert mit 400/500 Euro gegeben habe, hat es sehr viel verändert. Die können selbstbestimmt damit umgehen, können sich kaufen, was sie brauchen und vor allem haben sie das Gefühl, gesehen zu werden. Gesehen in ihrem Leid. Denn die Situation ist unverändert. Leute leben dort unter unbeschreiblichen Zuständen. Jedes Menschenrecht wird gebrochen, auch in der Corona-Zeit. Da sind Menschen weggesperrt im Stacheldraht, furchtbare Zustände. Menschen sind teilweise ins Lager auch eingesperrt. Und das findet mitten unter uns statt, mitten in Europa.

Hilfe wäre dort so leicht möglich und für mich ist es auch von der österreichischen Politik immer noch der Tatbestand unterlassener Hilfeleistung, dort nicht hinzuschauen und die Menschen dort nicht zu evakuieren. Das würde für uns, für Europa keinen Unterschied machen und es würde niemandem auffallen, die würden niemandem etwas wegnehmen. Im Gegenteil: Wir könnten erkennen, wie viel wir profitieren können von diesen Menschen, die geflüchtet sind, die alles verloren haben, aber sich die Hoffnung auf ein besseres Leben behalten.

Himmelklar: Da bleibt die Frage natürlich, ob dann ein Kuvert mit Geld für einzelne Personen ausreicht. Aber Sie haben selbst Initiative ergriffen und den Menschen dieses Geld gebracht. Und Sie sagen, es wäre ein Leichtes, den Menschen zu helfen. Was müsste denn von der Politik aus passieren? Was wünschen Sie sich?

Kokert: Von der Politik müsste man mal hinsehen. Natürlich bedarf es auch langfristiger Maßnahmen und natürlich müssen auch die Fluchtursachen betrachtet werden. Aber dort auf Lesbos ist ein Notfall. Das ist ein Notstand. Dort sterben Leute. Ich habe dort Kinder getroffen, die sich das Leben nehmen wollen. Dort muss man hinschauen und muss helfen. Man muss die Leute dort evakuieren. Man muss für sie einen Zugang zu einem vernünftigen Asylverfahren schaffen.

Und man muss mit Integrationsmaßnahmen begegnen, die den Namen wirklich verdient haben. Wie zum Beispiel bei den "Freedom Fighters", wo ich junge Männer und Frauen einlade, mit mir gemeinsam Kampfkunst zu trainieren, Körper und Geist zu wappnen, um Energie und Kraft zu schöpfen für das neue Leben in Freiheit.

Himmelklar: Welche Perspektive geben Sie den jungen Menschen denn da in Österreich, die Sie begleiten, weit über das Kampfsporttraining hinaus?

Kokert: Ich bereite sie auch auf Kampfsportturniere vor – mit großem Erfolg. Die Burschen haben Staatsmeistertitel gewonnen, World Cup-Siege bis hin zu einem Weltmeistertitel 2019. Eine schier unglaubliche Geschichte, die vor allem durch diesen Kampfgeist entstanden ist. Und das hat nichts mit Aggression zu tun, sondern die Jungs haben mit sehr viel Achtsamkeit, mit sehr viel Respekt gekämpft, konnten auch verlieren. Die Art und Weise, wie sie mit Niederlagen umgehen, wie sie mit ihren Gegnern umgehen, das zeichnet sie aus.

Und zusätzlich begleite ich sie auch zu Lehrstellensuchen, vermittle ihnen Lehrstellen, das auch mit Erfolg. Ein junger Mann hat jetzt eine Kochlehre im Hotel Sacher absolviert. Ich begleite sie da und begleite sie auch zu Asylverfahren, wo ich versuche, sie zu unterstützen und auch als Zeuge darzulegen, wie gut sie integriert sind. Denn diese jungen Männer, und ich will jetzt nicht mit der rosaroten Brille drauf sehen, denn es gab auch junge Männer, die ich nicht in den Kurs aufnehmen konnte oder die ich des Trainings verweisen musste, die zu aggressiv waren, die zu rücksichtslos waren, die sich nicht integrieren konnten oder die zu sehr gefangen waren in ihren religiösen Dogmen. Die muss ich auch verweisen. Aber die, die geblieben sind, die haben es geschafft, die sind Teil unserer Gesellschaft, ein sehr wertvoller Teil unserer Gesellschaft. Und die zeichnen sich vor allem durch diese Verbundenheit aus, durch eine Dankbarkeit, durch eine Höflichkeit und den Mut zur Freiheit.

Himmelklar: Es geht nicht nur einfach ums Kämpfen und einfach draufhauen – keine Schlägerei. Dazu verbinden Sie ja den Sport mit dem Zen-Buddhismus. Selbstverteidigung, -bewusstsein und Meditation spielen da auch eine große Rolle. Es gibt aber ja diese Kritik, also die Gefahr vielleicht auch, die man dabei sieht, dass es grausame Angriffe oder terroristische Anschläge gibt und man sich deswegen jetzt der Gefahr ausgeliefert sieht. Was erwidern Sie denn kritischen Stimmen wie diesen?

Kokert: Es gibt furchtbare Verbrechen und es gibt natürlich auch unter Geflüchteten Menschen, die furchtbare Verbrechen begehen. Und da ist mein ganzes Mitgefühl mit den Opfern und den Hinterbliebenen. Aber man muss da eben genau hinsehen. Man darf nicht alle für das Vergehen einiger weniger verurteilen. Mein Training gestalte ich, wie gesagt, gemäß dem Spirit der Kampfkunst. Wir meditieren, wir stehen, wir aktivieren unsere Energie und üben diese Technik und wir üben diese Weichheit, diese Verbindung mit dem Partner. Aus diesem gegeneinander Kämpfen wird ein miteinander Üben – wie ein Tanz, was trotzdem sehr effektiv ist in der Selbstverteidigung. Aber es geht um diesen achtsamen, respektvollen Umgang.

Und gerade weil die Techniken so gefährlich sind – Kick-Technik, Schläge und so weiter – gerade deshalb fordert es auch einen sehr achtsamen und verantwortungsvollen Umgang miteinander. Und gerade dort habe ich die Chance, die Burschen auch abzuholen. Dort, wo sie gerade sind – in dieser Angst. Denn Angst kann sehr schnell in Wut eskalieren. Angst kann aber auch, wenn man sie nimmt, wenn man sie anschaut und wenn man sie nutzt, sich in Mut transformieren. In Mut für neues Leben. Und das machen wir. Dann muss man eben genau hinschauen. Und für mich ist die Kampfkunst und für mich ist unser "Shinergy"-Training immer noch der direkteste Weg, um mit Angst umgehen zu lernen und aus Aggression Mut zu schaffen.

Himmelklar: Gab es bei Ihnen auch einen Moment der Angst, als die Corona-Pandemie auf uns zukam?

Kokert: Nein. Erstens war ich nicht unmittelbar betroffen und Angst entsteht ja immer unmittelbar. Und es geht uns doch hier sehr gut. Also ich habe ein Dach über den Kopf, ich habe Familie, ich habe alles. Und diese Befürchtung, was alles kommen wird, die entsteht ja wieder nur durch ein Vordenken, durch ein Denken in die Zukunft, wo man immer interpretiert, wo man vergleicht mit der Vergangenheit und wo so diese Prägung zum Vorschein kommt.

In dem Moment, wo man gegenwärtig bleibt, wo man achtsam bleibt, gibt es diese Befürchtungen nicht mehr und man reagiert im Moment genau so, wie es der Moment erfordert. Man gibt sein Bestes und nimmt die Veränderung auch an – im Gleichmut, wenn Sie so wollen.

Himmelklar: Und außerdem kann man ja auch die Hoffnung aus dem Glauben schöpfen. Sie sind zwar katholisch aufgewachsen, dann eher vom Glauben abgekommen, aber wieder zurückgekehrt. Wie ist es dazu gekommen?

Kokert: Ja, ich habe sehr viel von den Burschen, von meinen "Freedom Fighters" auch gelernt. Ich habe das Buch "Der Weg der Freiheit" geschrieben und erst beim Schreiben ist mir so richtig bewusst worden, wie sehr es mich verändert hat, wie sehr mich die Burschen gelehrt haben, worauf es wirklich ankommt. Ich habe sie das Kämpfen gelehrt und sie haben mich gelehrt, worauf es wirklich ankommt im Leben: Bei sich zu sein, sich zeigen zu dürfen und der zu werden, der man ist, – anzukommen bei sich selbst.

Und ein ganz wichtiges Erlebnis war auch den Glauben betreffend. Denn ich bin als Kind auf dem Land aufgewachsen, in so einer gut katholischen Umgebung, war dann mit traumatischen Erlebnissen konfrontiert und musste die nach außen hin verstecken, weil das nicht hineingepasst hat in diese heile Welt. Und aus dieser Wut auch auf die Gesellschaft habe ich mich da vom Glauben abgewandt. Ich war da ziemlich verloren, weil da entsteht dann sehr schnell diese kindliche Allmachtsfantasie – alles lastet dann auf den eigenen Schultern, weil es nur vom eigenen Tun abhängig ist.

Und dann hatte ich auf einer langen Autofahrt ein Gespräch mit einem meiner "Freedom Fighters" – mit Abbas. Der hat mir damals von seinem Glauben erzählt. Er hat mir Dinge erzählt, wo ich normalerweise die Handbremse angezogen hätte und laut schreiend aus dem Auto weggelaufen wäre. Diese Geschichten, die er mir da erzählt hat von seinem Glauben. Aber in dem Fall war es alles anders. Denn Abbas hat mir mit so viel Ruhe, mit so einer Liebe auch davon erzählt, was ihm Kraft schenkt, was ihm Vertrauen gibt, dass ich tief berührt war und damit und nach diesem Gespräch auch wieder zu meinem Glauben zurückgefunden habe, nämlich zum Glauben an eine göttliche Macht, die größer ist als wir, diese verbindende Kraft. Und ich habe mich befreit von dieser Allmachtsfantasie, alles laste auf meinen Schultern – und ich habe mich da, wie gesagt, verbeugt vor dieser göttlichen Kraft – vor Gott.

Himmelklar: Herr Kokert, was gibt Ihnen denn bei all dem, also der Arbeit mit Menschen wie Abbas zum Beispiel und auch jetzt in der Corona-Situation, Hoffnung?

Kokert: Hoffnung ist so eine grundlegende Eigenschaft, nämlich dass ich – das hat jetzt nichts mit positivem Denken zu tun, sondern das ist viel mehr so ein holistisches Denken –, dass ich einfach immer mit Zuversicht in die Zukunft blicke, weil ich weiß, dass ich in jedem Moment auch mein Bestes gebe und gar nicht anders kann. So wie jeder andere Mensch auch. Das heißt, sich von diesem freien Willen, von dieser Illusion des freien Willens zu befreien und sich auch einzuklinken und bewusst zu werden, wie klein jeder einzelne Mensch ist, welches Staubkorn wir sind, wie kurz das Leben ist und wie schnell man nicht mehr am Leben ist und dass das ganze Leben eigentlich Scheitern bedeutet – denn am Ende lebt man eben nicht mehr – das schenkt einem diese Lebensfreude und das lässt einen jeden Augenblick als ganz besonderen Augenblick wahrnehmen.

Das schenkt einfach diese Freude am Leben, diese Freude am Leben zu sein. Und mit meinen Burschen, diese Verbindung, die da stattgefunden hat, ich habe noch nie so einen Sinn in meinem Leben gespürt. Und ich denke in der Frage nach dem Sinn: Jeder Mensch kann seinem Leben den Sinn geben, den er will. Und der Sinn ergibt sich immer auch im Nutzen für seine Mitmenschen, sich auch für andere einzusetzen und zu sehen, wie man mit seinem eigenen Glück auch das Glück anderer Menschen positiv beeinflussen kann. Ich habe noch nie so eine Sinnhaftigkeit und so eine Erfüllung gespürt wie mit dem Training mit den Burschen, wo ich ihnen gezeigt habe, wie gesagt, "zu kämpfen, um nicht mehr kämpfen zu müssen" – und so viel zurückbekommen habe. So viel Lebensfreude, so viel Gleichmut und das Gefühl, angekommen zu sein bei mir selbst, habe ich zurückbekommen, dass ich den Burschen unendlich dankbar bin.

Das Interview führte Katharina Geiger.

Der Podcast Himmelklar ist ein überdiözesanes Podcast-Projekt, koordiniert von der MD GmbH in Zusammenarbeit mit katholisch.de und DOMRADIO.DE. Unterstützt vom Katholischen Medienhaus in Bonn und der APG mbH. Moderiert von Renardo Schlegelmilch und Katharina Geiger.


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