Helfer in Afghanistan stehen vor großen Herausforderungen

Viel Elend und zu wenig Geld

Eine Luftbrücke zur Evakuierung von Menschen aus Afghanistan steht. Das diplomatische Tauziehen mit den Taliban hat begonnen, die Debatte über den Umgang mit Flüchtlingen auch. Was aber ist mit den Helfern im Land?

Autor/in:
Joachim Heinz
Binnenvertriebene Afghanen aus den nördlichen Provinzen / © Rahmat Gul (dpa)
Binnenvertriebene Afghanen aus den nördlichen Provinzen / © Rahmat Gul ( dpa )

Anna Dirksmeier hat momentan alle Hände voll zu tun. Die Afghanistan-Expertin von Misereor versucht, auch nach der Machtübernahme der radikalislamischen Taliban den Kontakt zu den afghanischen Partnern zu halten, mit denen das katholische Hilfswerk zusammenarbeitet.

Landesweit geht es um zwölf Projekte, für die rund 250 Mitarbeiter tätig sind. Die derzeitige Lage schildert Dirksmeier als unübersichtlich. "'Die' Taliban gibt es nicht, sondern man muss die Lage von Region zu Region betrachten."

Die bisherigen Signale aus den Reihen der Islamisten deuteten bislang auf eine Art "wohlwollendes Dulden" hin. "Viele Partner sagen uns, dass die Taliban durchaus ein Interesse daran haben, dass die Unterstützung durch die Nichtregierungsorganisationen weiter geht." So hätten in einem von Misereor geförderten Kinderkrankenhaus in der Hauptstadt Kabul weiterhin Operationen stattfinden können.

Hilfsprojekte weiterführen

Ähnliches ist auch von anderen Organisationen wie Caritas international zu hören. Der Büroleiter in Kabul, Stefan Recker, kündigte an, Hilfsprojekte weiterzuführen, auch wenn einige davon auf Eis lägen. Das will auch die Welthungerhilfe tun, die seit 1992 in Afghanistan aktiv ist und schon das erste Regime der Taliban erlebte.

Wie es nun weitergeht? Generalsekretär Mathias Mogge hält sich mit Prognosen zurück. "Es wird nicht die gleiche Art von Hilfe sein, insbesondere was die Unterstützung von Frauen angeht, aber wir hoffen trotzdem, das viele Leid, dass es in dem Land gibt, lindern zu können."

Denn schon vor dem überstürzten Abzug der internationalen Truppen stand Afghanistan am Abgrund. Rund 18,4 Millionen Menschen haben nicht genügend zu essen, viele sind ohne Job. Corona grassiert, die Weltgesundheitsorganisation WHO warnt vor einer Ausbreitung von Seuchen. Der Vormarsch der Taliban trieb viele Menschen in die Flucht. "Es gibt kaum einen Park in einer größeren Stadt, der nicht besiedelt ist von Menschen, die dort in zeltähnlichen Behausungen dahinvegetieren", beschreibt Misereor-Expoertin Dirksmeier die dramatische Lage. "Viele Männer sind umgebracht worden, sodass Witwen mit ihren Kindern unversorgt sind. Sie haben nicht einmal Nahrung für sich selbst und betteln um Milch für ihre Kinder."

Dringender Appell aller Organisationen

Der dringliche Appell aller Organisationen lautet daher: Über internationale Luftbrücken und die ewig gleichen Debatten zur Flüchtlingspolitik die Not der in Afghanistan verbleibenden Menschen nicht zu vergessen. Es sei dringend notwendig, dass die Unterstützung für die Bevölkerung nicht nachlasse, mahnt die Welthungerhilfe. Dass Deutschland die Entwicklungszusammenarbeit mit Afghanistan aussetzen und die EU die Hilfe an Bedingungen knüpfen will, treibt den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Misereor-Partner Sorgenfalten auf die Stirn, sagt Dirksmeier.

"Ohne Zweifel müssen die Wahrung beziehungsweise die Wiederherstellung der Menschenrechte das leitende Ziel einer jeden Politik sein", betont sie. "Allerdings steht derzeit die Befürchtung im Raum, dass die Entwicklungshilfe gekürzt wird. Das würde die Zivilbevölkerung in Afghanistan hart treffen." Skeptisch sehen viele Organisationen auch eine pauschale Evakuierung aller Mitarbeiter.

Dann, so heißt es, fehle am Ende qualifiziertes Personal, um den Menschen vor Ort beizustehen.

Hohes Risiko für die Helfer

Ein weiteres Problem: Das Bankensystem in Afghanistan ist praktisch zusammengebrochen, die afghanische Zentralbank sitzt auf dem Trockenen, der Bestand an US-Dollar geht gegen Null. "Wenn man nicht an Geld kommt, kann man keine Hilfe organisieren", sagt Welthungerhilfe-Generalsekretär Mogge.

Hilfe für Afghanistan bleibt eine Gratwanderung - mit hohem persönlichen Risiko für alle Helfer. "Jahrelang galt Syrien als das gefährlichste Land für Nothelferinnen und Nothelfer", teilte Care Anfang der Woche mit. Eine Analyse auf Basis von Daten der Aid Worker Security Database zeige nun, dass Afghanistan und der Südsudan die Liste anführten. Seit Jahresbeginn kamen in beiden Ländern je 17 Helfer ums Leben. In Afghanistan waren es in den vergangenen 25 Jahren 550 - ein bedrückender Spitzenwert.


Quelle:
KNA
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