Wie eine Aachener Gemeinde die Menschen zurück in den Gottesdienst holt

Alte Botschaft, neue Rezepte

Neu ist die Debatte nicht, aber Corona hat sie verschärft: Wie kann den schwindenden Gottesdienstbesucherzahlen entgegengewirkt werden? Neue Wege geht die junge Aachener Gemeinde "Zeitfenster". Wie sehen diese konkret aus?

Kleines Kind in einem Gottesdienst / © Harald Oppitz (KNA)
Kleines Kind in einem Gottesdienst / © Harald Oppitz ( KNA )

DOMRADIO.DE: Die Kirche müsse mutiger werden, das fordert nicht nur der Trierer Liturgiewissenschaftler Marco Benini. Auch bei technischen Möglichkeiten wie Social Media sei noch Luft nach oben. Etwa ein Drittel der Gottesdienstbesucher sei außerdem nach den ersten Lockerungen in der Corona-Krise nicht wieder zurückgekehrt. Das Thema wird auch in den Sozialen Medien heiß diskutiert. Viele stimmen zu, andere sagen, nach der Pandemie werde sich das schon wieder einpendeln. Sie sind Teil des Leitungsteams der Gemeinde  "Zeitfenster" in Aachen. Diese Gemeinde wurde erst vor elf Jahren neu gegründet. Können Sie kurz erklären, was Ihre Gemeinde so besonderes macht?

Ursula Hahmann (Zeitfenster Aachen): Wir nehmen ja alle wahr, dass Kirche für die Menschen um uns herum weniger relevant wird. Wir haben uns vor zehn Jahren gefragt, wie wir denn Kirche nochmal so leben können, dass sie für viele oder für uns auch erst einmal nur wieder eine größere Relevanz im Leben hat. Wie können wir Ausdrucksformen finden, die vielleicht nochmal neue Leute ansprechen?

Das war die Ausgangslage, die auch geprägt war von einer eigenen Unzufriedenheit. Uns war klar, dass der aktuelle Zustand nicht zukunftsfähig ist. Aber ohne böses Blut: Wer jetzt unheimlich glücklich ist mit dem, wie Kirche traditionell seit den 80er und 90er Jahren lebt, soll das auch weiterhin tun.

Wir aber wollten nochmal gucken, wie Kirche relevant sein kann für junge Erwachsene, für Leute, die in der City leben und arbeiten. Und da haben wir erst einmal geschaut, was uns wichtig ist. Wir haben auch viele junge Menschen konkret danach gefragt. Dann kam die Idee, einen Gottesdienst zu entwickeln für Leute, die zwar durchaus kirchenerfahren sind, aber aus irgendwelchen Gründen, die ja sehr individuell sein können, nicht mehr hingehen. Daraus wurde dann der Zeitfenster-Gottesdienst.

DOMRADIO.DE: Erklären Sie das mal.

Hahmann: Vom Aufbau her ist es ein sehr klassischer Wortgottesdienst, der sich vielleicht im einen darin unterscheidet, dass er Themen aufgreift, die gerade am Puls der Zeit sind, die nah an den Menschen sind. Er hat einen Stil, der näher an vielen Menschen ist. Die Musik ist eine, die man auch im Radio hören könnte. Wir sind in der Kirche Orgelmusik sehr gewöhnt. Die hat auch ihre Freundinnen und Freunde und auch eine gute Tradition. Aber sie ist ja keine Musik, die viele Leute privat hören würden. Also knüpfen wir an die Hör- und Sehgewohnheiten der Menschen an.

Der Gottesdienst ist sehr gastfreundlich. Die Leute sollen sich wohlfühlen und willkommen fühlen. Denn wenn man eine Atmosphäre schafft, in der die Leute gut andocken können, ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass sie auch in gutes Beten kommen, einen guten Kontakt zum lieben Gott bekommen können und auch die Botschaft besser wahrnehmen und hören, sich anregen lassen können.

DOMRADIO.DE: Das ist wahrscheinlich gar nicht einfach, oder?

Hahmann: In der inhaltlichen Vorbereitung legen wir sehr viel Wert darauf, dass Herz und Hirn gleichermaßen angesprochen werden. Die Predigt sollte authentisch sein. Das Herz soll erfüllt sein, Glauben spürbar sein. Aber eben auch das Hirn gefordert werden, in dem die Menschen nicht mit einfachen Antworten abgespeist werden.

DOMRADIO.DE: Die Kirche muss mehr wagen, um Menschen für Gottesdienste zu gewinnen. Das sagt auch der Liturgiewissenschaftler Marco Benini. Was haben Sie gewagt?

Hahmann: Wir haben zumindest gewagt, nicht normativ etwas vorzugeben, sondern die Leute zu fragen, was für sie gut ist. Wir haben nach konkreten Gottesdiensterfahrungen gefragt, die den Menschen richtig gut getan haben. Danach wussten wir, dass es für viele auf das Gefühl von Gemeinschaft ankommt. Aber dass es auch Leute gibt, die erst einmal für sich zur Ruhe kommen wollen.

Und wir haben gewusst, dass das Thema total relevant und die Musik hochgradig relevant ist. Wir haben gelernt, dass die Sprache eine hohe Relevanz hat. All das haben wir berücksichtigt, um einen Gottesdienst anzubieten, bei dem die Menschen sagen: "Der tut mir richtig gut."

DOMRADIO.DE: Die Corona-Pandemie hat auch Ihre Gottesdienste beeinträchtigt. Kommen die Menschen jetzt trotzdem noch regelmäßig?

Hahmann: Wir sind noch lange nicht wieder da, wo wir gerne wären. Wir feiern den Gottesdienst einmal im Monat, da war die Kirche immer voll. Man musste rechtzeitig kommen, um noch einen Platz zu bekommen. Da sind wir noch nicht wieder. Wir können jetzt 70 bis 80 Leute je nach Inzidenzlage hineinlassen. Das ist dann sofort ausgebucht. Viele Leute fahren auch weitere Strecken. Die Anmeldelage macht uns hoffnungsfroh, dass es nach Corona auch wieder volle Kirchen geben wird, wo auch wieder eine andere Atmosphäre herrscht.

DOMRADIO.DE: Haben Sie einen konkreten Ratschlag an andere Gemeinden, die Probleme haben, die Menschen zu erreichen?

Hahmann: Man sollte sich sehr genau überlegen, wer in der Gemeinde lebt und wie man diese Leute ansprechen kann. Und dann nicht nur unterscheiden zwischen Kindern, Jugendlichen, Erwachsenen und Senioren. Da braucht es eine bessere Differenzierung. Was sind das für Kinder? Was für Erwachsene? Was ist denn für die das Richtige? Also ich muss genau auf die Gemeinde schauen. Wenn da viele Leute wohnen, die zum Beispiel jung und experimentierfreudig sind, dann muss auch mein Gottesdienst dementsprechend aussehen.

Das Interview führte Tobias Fricke.


Zeitfenster-Team: Ursula Hahmann, Dr. Annette Jantzen, Jürgen Maubach (Zeitfenster)
Zeitfenster-Team: Ursula Hahmann, Dr. Annette Jantzen, Jürgen Maubach / ( Zeitfenster )

Lockt an: Zeitfenster-Gemeinde Aachen (Zeitfenster)
Lockt an: Zeitfenster-Gemeinde Aachen / ( Zeitfenster )
Quelle:
DR
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